Der Künstlerbund Schlaraffia hatte sich mit seiner Gründung anno 1859 ein Politikverbot auferlegt. Mitglieder sollten sich Freundschaft, Kunst und Humor widmen können, ohne von profanen Themen wie Politik und Religion auseinandergebracht zu werden. Doch das bedeutet nicht, dass die Schlaraffia tatsächlich stets unpolitisch war. Eher das Gegenteil ist der Fall wie eine Arbeit des Schlaraffen Christian Säfken akribisch nachweist.
Als »Elefant im Raum« beschreibt der Autor, schlaraffisch Ritter Kleinerdrei, das Politikverbot in der Schlaraffia. Dabei existierte der 1859 in Prag gegründete, heute mit rund 9.200 Mitgliedern weltweit agierende Männerbund von Anfang an im politischen Raum. Schon die Gründung war eine ironische Reaktion auf die Zurückweisung der überheblichen »feinen« Prager Gesellschaft.
Nach den europaweit gescheiterten Revolutionen von 1848/49 zogen sich Bürgerliche und Liberale ins private Vereinsleben zurück. Nationalvereine, Schützengesellschaften, Turnvereine, Gesangs- und Konzertvereine, Missions- und Kolpingvereine, Arbeitervereine und Gewerkschaften, Männerbünde, Freimaurerlogen und Burschenschaften gaben den Ton an.
Die Schlaraffia hob sich dagegen als eine erfolgreiche deutsch/österreichisch-tschechisch-jüdische von Künstlern getragene Symbiose in Böhmen des 19. Jahrhunderts ab. Da in Prag Mitte des 19. Jahrhunderts rund zehn Prozent der Einwohnerschaft jüdisch waren, wurden entsprechend auch viele Juden Mitglieder des Bundes, der sich stets als multikulturelle Vereinigung verstand.
Schlaraffia und der Erste Weltkrieg
Der Bund der Schlaraffen ließ sich hinsichtlich des ritterlichen Spiels wie der »Rüstung» von Elementen des rheinischen Karnevals und dem Freiheitswillen der revolutionären Jakobiner leiten. Narrenkappen (»Helme«) wurden von der phrygischen Mütze des sagenhaften Königs Midas abgeleitet, dem der Gott Apoll zur Strafe die Ohren langzog. Der Verein ordnete sich in die Ambivalenz von revolutionärem Narrentum und dem harmlosen bürgerlichen Scherz ein. Gleichzeitig verstanden es die Gründer, die Sehnsucht der bürgerlichen Schichten nach Titeln und Auszeichnungen, die im Adel gang und gäbe waren, sowohl zu persiflieren als zugleich auch zu befriedigen. Zum Gegenstand des Spottes wurden die Monarchisten ebenso wie das päpstliche Dogma der Unfehlbarkeit.
Noch im Jahre 1909 betonten die Sassen der verschiedenen »Reyche«, »schlaraffische Weltbürger, die über allen Gegensätzen der Nationen, Rassen und Konfessionen stehen« sein zu wollen. Gleichwohl begrüßten sie im Gegensatz zu den Arbeitern und Bauern die Mobilisierung zum 1. Weltkrieg. Eingezogene Mitglieder wurden mit Blumensträußen und Ehrengeleit verabschiedet.
»Der Schlaraffia Zeytungen« (DSZ) wurde zu einem, so Säfken, »Organ des Chauvinismus, der Kriegseuphorie und des aggressiven deutschnationalen Hurrapatriotismus«. Selbst vor der Veröffentlichung kriegswaffenverherrlichender Texte schreckte das Zentralorgan nicht zurück. Kritische, differenzierende und abwägende Stimmen fand der Autor bei seiner umfangreichen Recherche nur wenige. Durch ihre Mitglieder und ihre Publikationen trat die Schlaraffia hingegen als aktive Kriegsteilnehmerin auf Seiten der Mittelmächte auf. Den Tiefpunkt des schlaraffischen Publikationswesens erreicht die DSZ im Jahre 1917, als pure Menschenverachtung und Mordlust in Versform abgedruckt wurden.
Auch in künstlerischer Hinsicht verweigerte sich die Schlaraffia der Weiterentwicklung und Avantgarde. Die subversive Antikriegshaltung der Dadaisten wurde erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg anerkannt. Gleiches galt für Kunstformen wie Expressionismus, Kubismus und Konstruktivismus. Entsprechend war zuvor der Anteil der Künstler an der Mitgliedschaft zurückgedrängt worden durch Offiziere, Beamte, Ärzte, Fabrikanten und weitere Angehörige »der besseren Gesellschaft«.
Schlaraffia und der Antisemitismus
Nach dem Krieg entwickelten sich Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit weiter. Das Schlaraffenreych Villa ad aquas (124) im kärntnerischen Villach forderte von allen Mitgliedern eine »unzweifelhafte arische Herkunft und völkische Gesinnung«. Rassismus und Judenhetze begannen schon in der Weimarer Zeit. Aus dem Reych Vindabona (24) spaltete sich eine antisemitische »Urschlaraffia« ab, die für ihre rund 1.800 Mitglieder erklärte, der Uhu sei »ein Arier«.
1929 bekräftigte ein schlaraffisches Concil in Salzburg das Politikverbot des Bundes. Gleichwohl begann eine öffentliche Hetze gegen Schlaraffen, die – ähnlich den Freimaurern – ein Geheimbund seien. Vor allem deutsche Schlaraffenreyche unterwarfen sich dem Judenhass der Nazis, sagten sich von der Allmutter Praga los und schlossen jüdische Mitglieder aus.
Am 23. April 1933 schalteten sich die deutschen Schlaraffenreyche freiwillig nationalsozialistisch gleich und übernahmen die Unterscheidung von »Ariern« und »Nichtariern« in ihr Vereinsrecht. An die Stelle des internationalen Bundes Schlaraffia trat der »Bund Deutsche Schlaraffia«. Die DSZ als ihr Organ bejubelte schon am 15. Januar 1934 unter der Schlagzeile »Deutschland hat ein Wunder erlebt!« die Machtergreifung Hitlers.
Ein ehemaliges jüdisches Mitglied der Stutgardia schrieb aus Anlass des Ausschlusses klagend:
Sasse war ich in Eurem Reych, Schnöd’ habt Ihr mich vertrieben.
Von Euren »Lieben Juden« ist keiner mehr geblieben.
Die Freundschaft war Euch bloßes Wort!
Rhetorik und Gefasel! Entehret habt Ihr uns. In Düsternis gestürzt.
Gebrochen uns das Herz. Wie wollt Ihr das ertragen,
Wenn Euch Gewissensbisse plagen?
Schwieriger Umgang mit jüdischen Brüdern
Die Hammonia (36) löste sich am 10. April 1933 selbst auf, um seine 20 jüdischen Mitglieder zu schützen, die »anständigsten Menschen, die nur je für Schlaraffia gelebt, gestrebt und gehandelt haben«. Die Berolina entschied, ihre zahlreichen jüdischen Mitglieder nicht auszuschließen. Die Monachia erlebte im April 33 einen SA-Überfall von Schlaraffen im Braunhemd, die von den jüdischen Mitgliedern des Vereins wussten.
Die deutsche Schlaraffia wurde im ersten Halbjahr 1933 um rund 50 Prozent ihrer Mitglieder dezimiert. Neugründungen, wie die der Colonie An der Meyenburg am 12. Mai 1934 fanden unter Hitlerbildern, Hakenkreuzfahnen und dem Absingen des Horst-Wessel-Liedes statt. Doch all das half dem Bund wenig: Am 28. Februar 1937 erklärten die Freunde »nach dem Wunsch der Reichsregierung« die sofortige Liquidation.
Es spricht für die Untersuchungen Säfkens, wenn er neben den Finsterlingen in der Schlaraffia auch deren Helden und Widerständler nennt. So bemühten sich eine Reihe von Schlaraffen um Menschlichkeit, Vernunft, Kultur und Brückenschlag. Hier traten wieder die Künstler hervor. Manche prominente, aber auch weniger bekannte Schlaraffen wurden Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie in Auschwitz und Theresienstadt. Er fällt Christian Säfken spürbar schwer, sich vorzustellen, dass die Ermordeten wenige Monate zuvor noch mit ihren Mördern brüderlich sippten, tranken und lachten.
Kritische Aufarbeitung der Geschichte fehlt
Nachdem sich die fünf Landesverbände Helvetia, Austria, Deutschland, Nord- und Lateinamerika 1956 zur Allschlaraffia zusammengeschlossen hatten, wurde die Chance einer kritischen Aufarbeitung der eigenen Verbandsgeschichte vertan. Völlig undifferenziert wurden Täter und Opfer von zwei furchtbaren Weltkriegen vermischt. Über alles wurde ein Mäntelchen des Schweigens gehängt. Eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte fand nur punktuell statt.
In der Ära der zwei deutschen Staaten kam es, so Säfken, durch die Tradition der blauen Kerze zu einer weiteren Politisierung in Richtung Antikommunismus. Gedacht werden sollte damit derjenigen, die hinter dem Eisernen Vorhang lebten. Die DDR war »finstres Land«, deren Bürger »in Dunkelheit« lebten. Nach der Maueröffnung begann sich die Schlaraffia zu konsolidieren und betonte wieder ihr Nicht-Politisch-Sein.
Im Ergebnis resümiert Autor Christian Säfken, »dass von einem Politikverbot in der Schlaraffia keine Rede sein kann«. Es sei nicht verboten, in einer Sippung politische bzw. religiöse Themen zu benennen – schon gar nicht in historischen oder literarischen Zusammenhängen. »Politische Inhalte«, schreibt der Autor, »dürfen lediglich keinen profan-langweiligen oder parteipolitisch werbenden Charakter haben und erst recht nicht die Anwesenden in ihren Gefühlen verletzen«. Er empfiehlt, künftig besser von einem »Verbot des Politisierens« statt von einem »Politikverbot« in der Schlaraffia zu sprechen.
Aus Sicht des Verfassers ergibt sich aus der Entwicklung der letzten anderthalb Jahrhunderte zwingend die Verpflichtung der Schlaraffia zu humanistischen Idealen. Ein Ritterspiel ohne Ritterlichkeit könne es nicht geben, meint Säfken.
Er sieht in einem Schlaraffenland des Geistes keinen Platz für politische Extreme und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Letzteres zähle besser zum Raubrittertum, dem sich die Schlaraffia aber bewusst nicht verschreibt. Die Schlaraffia müsse sich mit der Herausforderung des Rechtsextremismus auseinandersetzen, der in manchen Schlaraffenreychen präsent sei und dem Verband als Ganzes schadet.
Zum Thema ist eigentlich alles gesagt. Politikverbot. Punkt.
Die Rückseite des Buches ergibt beim Lesen nur eines wieder, nämlich „AfD-Bashing“. Das verwundert natürlich nicht, wenn man sich mit dem persönlichen Anschauungen und der (politischen) Vita des Schreibers befasst. Siehe https://www.nwzonline.de/wesermarsch/politik/saefken-will-ab-jetzt-zwei-monate-wahlkampf-machen_a_16,0,2895666713.html#
Als rechtsextrem gilt heute jeder, der das Regierungswirken kritisiert. Siehe hierzu https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2022/koeln-verfassungsschutz/
„Die Schlaraffia müsse sich mit der Herausforderung des Rechtsextremismus auseinandersetzen, der in manchen Schlaraffenreychen präsent sei und dem Verband als Ganzes schadet.“ Diffuses Gefasel ohne konkrete Sachverhalte. Also blabla.
Nach meiner Kenntnis ist der Autor selber der, der hier Politik in die Schlaraffia trägt, nämlich mit seinem Buch.
Stattdessen hätte ich mir eher eine Rittersarbeit gewünscht zum Thema „Der Umgang der Schlaraffia mit ungeimpften Brüdern“. Das wäre wenigstens aktuell. Da gibt es genug zum Abarbeiten!
Chapeau. Das nenne ich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Buch – beziehungsweise einem Klappentext!
Da wird ein Autor angezählt, weil er sich vor zehn Jahren kommunalpolitisch engagiert hat. Darf er sich deshalb lebenslang nicht mehr wissenschaftlich fundiert äußern?
Offenbar hat das Buch in ein Schlangennest gestoßen, wie sonst erklärt sich der Kommentar?
Viellieber Freund “Stehgreiff”,
wäret Ihr so freundlich, mir Euren Ritternamen zu nennen, damit ich Euch direkt und außerhalb der Öffentlichkeit auf Eure Polemik antworten kann?
Mit uhuhertzlichen Grüßen
Rt Kleinerdrei
Schade, dass Herr „Stehgreif“ nur unter Deckung sein Gift verspritzt. Und wenn man dann noch erfährt, dass er Junkermeister eines Schlaraffenreiches ist, dann darf man sich nicht wundern, wenn der Nachwuchs flieht.
Ich bitte um Erscheinungsjahr, Ort und Verlag. Sonst kann ich nichts zitieren.
Das Buch ist 2022 bei BoD in Hamburg erschienen. Eine erweiterte zweite Auflage ist in Vorbereitung