Wer ein Buch über »Die Nibelungen« vorlegt, muss schon einen triftigen Grund vorweisen, um die hundertfach wiedergekäute Heldensaga um den Drachentöter Siegfried und seine legendären Taten erneut aufzugreifen und in Buchform anzubieten. Felicitas Hoppe hat es gewagt und mit ihrem Werk zugleich die Hand nach dem Deutschen Buchpreis 2021 ausgestreckt, für den der Titel mit 19 anderen Bewerbern nominiert wurde.
Wer allerdings erwartet, die blutige Geschichte um das legendäre Nibelungengold in frischer Form erzählt zu bekommen, der kann mit diesem Text wenig anfangen. Die Autorin setzt schlicht voraus, dass ihr Leser en detail weiß, worum es in der vertrackten Geschichte mit den vielen Handlungssträngen geht. Deshalb Achtung: Wer die Geschichte der Nibelungen nicht aus dem Effeff kennt, hat als Leser null Chancen.
Felicitas Hoppe nutzt die jährlichen Nibelungenspiele in Worms als Spiegel, um sich mit verschiedenen Aspekten der Gier nach Gold und Macht zu befassen und leistet dies in einer Sprache, die betont literarisch gefasst ist. Statt das Thema zu öffnen, verschließt sie mit einem weiteren Felsbrocken den Zugang zur Neidhöhle, in welcher ein zum Drachen mutierter Riese das Gold hütet.
Nun haben die Inszenierungen auf der Wormser Freilichtbühne bislang weder in inszenatorischer noch interpretatorischer Hinsicht besondere Akzente gesetzt. Geboten wird dort solides Open-Air-Spektakel, eine Art Karl-May-Festspiele für Nibelungen-Fans. Hoppes Buch »Die Nibelungen« lässt indes nur mutmaßen, warum sie ausgerechnet das provinzielle Wormser Regietheater als Bühne nutzt, wo doch schon in Bayreuth spannendere Sichtweisen geboten werden.
Die Schatzsucherin jedenfalls steigt in einen Kahn, der leider leck geschlagen ist, um aus der nahen Ferne die Inszenierung zu beobachten und sich Gedanken zu machen. Dabei erhebt sie den legendären Schatz unter dem Namen »Die goldene Dreizehn« selbst zum Protagonisten der ganzen Geschichte und reflektiert über »eine unverfügbare Masse, die sich gerecht nicht verteilen lässt«.
Als »Zeuge im Beiboot« sowie selbst ernannte Drehbuchschreiberin leitet sie neue Spielräume ein, erfindet zusätzliche Figuren und deutet in zarter Form kritische Fragen an unsere kapitalistische Gesellschaft und den Umgang mit dem Mammon an: »… während ein freundlicher Bauchladenmann die Gäste mit Hagen-Pils und Nüssen versorgt und kleine Tüten mit Weingummidrachen verteilt, auf denen der Name des Sponsors vermerkt ist (eine Pharmafirma aus Basel)« heißt es beispielsweise in der aus dem Nibelungenlied bekannten Szene der Doppelhochzeit.
Liest sich so Gesellschaftskritik anno 2021?
Eine nette Idee der Autorin ist es jedenfalls, in den Spielpausen Darsteller zu befragen und als Projektionsfläche zu nutzen. Und sie gibt dem ratlosen Leser noch einen zweiten Hinweis mit dem Untertitel des Buches. »Ein deutscher Stummfilm« heißt es da, und endlich weiß jeder, der um das Gerangel zwischen Hagen, Siegfried, Kriemhild und Etzel weiß: Damit kann nur der grandiose Zweiteiler von Fritz Lang aus dem Jahre 1924 gemeint sein. Es ist also auch wichtig, diesen viel zu selten gezeigten monumentalen Schwarzweißfilm zu kennen, um den Gedanken der Autorin folgen zu können.
Vollends schräg wird es indes, wenn die Autorin in den Credits im Abspann des Buches Quentin Tarantino als Dramaturgen einsetzt, um der Geschichte um Mord und Totschlag den richtigen Pfeffer zu geben. Offenbar geht es um eine Anlehnung an Tarantinos Actionfilm »Django Unchained« aus dem Jahre 2012 (Danke an Dr. Lutz Kreutzer für den Hinweis!) In seinem Film erzählt Tarantino Richard Wagners Oper Siegfried. Der Regisseur vergleicht Siegfried mit seinem Protagonisten Django, der seine Broomhilda (Brünhilde) sucht und befreit. Dazu muss er den Drachen töten, der im Film von Stephen symbolisiert wird, und das Höllenfeuer durchschreiten, von dem Brunhilde zurückgehalten wird (im Film die Sklavenfesseln und das Sklaventum).
»Das Publikum will immer alles auf einmal: das große Drama und das leise Gedicht, den unsterblichen Helden und sein menschliches Antlitz, Kunst und Verständnis in einer Person, das Rätsel samt Lösung, tiefen Trost und federleichte Erbauung« heißt es bei Hoppe. Sprachliche Raffinesse, Witz, Verspieltheit, Klugheit und feine Ironie mag man der Autorin gern attestieren. Aber L’art pour l’art ist eine Kunsttheorie des 19. Jahrhunderts, wonach künstlerische Formen und ästhetische Gestaltung favorisiert werden. Auf der anderen Seite ist es beliebt – so Lektor Hans-Peter Roentgen – Bücher zu schreiben, die auf vorhandene Bücher und Geschichten anspielen. Da fühlt sich der literarische Leser gebauchpinselt.
Der Schatz der Nibelungen, den Felicitas Hoppe zu heben verspricht, bleibt leider weiter auf dem Grunde des Rheins verborgen. An dem Thema hat sich schon Elfriede Jelinek mit »rein GOLD« verhoben. Eigentlich schade. Für den Deutschen Buchpreis reicht es jedenfalls nicht.
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Als Wagnerianer hätte mich das Buch interessiert. Dank dieser Rezension spare ich kostbare Lebenszeit, die sonst vergeudet gewesen wäre. Auf Ruprecht Frieling als Wagner-Kenner ist eben Verlass!
Danke für die Blumen! 🙂
Die Nibelungen wurden doch schon hervorragend aufgearbeitet und dargeboten von einem gewissen Prinz anhand eines gern gelesenen Opernverführers, wenn ich so sagen darf 🙂
Die letzten interessanten “modernen” Anderserzählungen der Nibelungen waren für mich Stephen Grundys “Wodans Fluch” (“Rheingold” sagte mir nicht so zu, aber die Geschichte hinter hagen von Tronje ist mMn sehr gut geowrden) und der Dreiteiler “Die Töchter der Nibelungen” von MZB’s Co-Autorin Diane L. Paxson; die weibliche Sicht; der kniff bekannt seit nebel von Avalon, aber auch ansprechend geworden.
🙂