Gute Ratschläge

Entlarvend und ungebeten

Dreiunddreißig Jahre nach seinem ersten Erscheinen in Großbritannien ist unter dem Titel «Gute Ratschläge» voriges Jahr ein bemerkenswerter Roman von Jane Gardam auch auf Deutsch erschienen. Die vor drei Monaten im hohen Alter von 97 Jahren verstorbene britische Autorin hat für ihre feministische Geschichte um eine zutiefst frustrierte, 51jährige Diplomatengattin die Form des Briefromans gewählt. Wobei diese Briefe einseitig bleiben bis zum Schluss, die Adressatin schickt nie eine Antwort, was die Schreibwut der Protagonistin allerdings nur noch mehr steigert. Aus den ungebetenen guten Ratschlägen aber, die sie mit wachsendem Eifer an die ehemalige Nachbarin Joan schickt, mit der sie kaum jemals Kontakt hatte – allenfalls mal einen Gruß über die Straße hinweg – werden allmählich immer mehr Selbsterkenntnisse, die zum Ende hin ungewollt in regelrechte Geständnisse münden.

Die Frau aus dem Haus gegenüber hat ihren Mann und die erwachsenen Kinder überraschend verlassen, das Konto leer geräumt und sich mit unbekanntem Ziel Richtung Asien abgesetzt, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, niemand wusste von ihren Absichten! In den anfänglich kurzen Briefen von Eliza Peabody mit der Aufforderung an Joan, doch besser zurück zu kehren, mischen sich Geschichten aus ihrem eigenen Leben ein, die allmählich immer mehr zu Klagen und Bekenntnissen werden über ihr eigenes, unerfülltes Leben. Sie schreibt sich zusehends um Kopf und Kragen, offenbart ungewollt ihr unerfülltes Leben. So berichtet sie zum Beispiel von ihrer einstigen Fehlgeburt, nach der sie keine Kinder mehr bekommen konnte, oder von ihrem unerfüllten Sexualleben an der Seite von Henry, ihrem Mann, der ständig in diplomatischen Missionen unterwegs ist und mit dem sie sich völlig auseinander gelebt hat. Sie hat ehrenamtlich eine Arbeit in einem Hospiz angenommen, um die Langeweile zu bekämpfen und etwas Sinnvolles zu tun. Dort aber wird sie als Küchenhilfe eingesetzt und hat nur selten mal selbst Kontakt zu den Sterbenden, was sie in ihren Briefen beklagt. Auch die Mitgliedschaft in einem Lesezirkel und ihre Teilnahme bei verschiedenen anderen Aktivitäten befreundeter Damen aus der gehobenen Mittelschicht, die alle gleichermaßen frustriert seien, empfinde sie als weitgehend sinnlos, bekennt sie.

Charles, Joans verlassener Ehemann, wird von Elisa und Henry aus Mitleid häufig eingeladen und befreundet sich schnell mit ihnen, die Männer führen lange Gespräche miteinander und verstehen sich bestens. Bis Henry eines Tages überraschend verkündet, dass er mit Charles zusammenzieht. Elisa steht vor einem Nerven-Zusammenbruch, ihr soziales Umfeld kollabiert ebenso wie ihre Psyche, sie steht vor den Trümmern ihres unerfüllten Daseins als Frau. Die guten Ratschläge für ein richtiges Leben, mit denen sie Joan in ihren vielen Briefen geradezu bombardiert hat, hätte sie lieber selbst befolgen sollen. Man fragt sich als Leser irgendwann, ob es die Adressatin denn überhaupt gibt. Ganz bewusst setzt Jane Gardam in diesem Roman das Stilmittel des unzuverlässigen Erzählers in Person ihrer als Figur eher unsympathischen Protagonistin voller Hirngespinste ein, was dem teils absurden, auch surreal angereicherten Plot eine psychologisch nachvollziehbare, narrative Struktur verleiht.

Die nervenden Briefe der Besserwisserin Joan werden immer länger und sind beim Lesen schließlich kaum noch als solche zu erkennen angesichts seitenlanger Dialoge. Es stellt sich daher schon bald die Frage, ob die Briefform wirklich optimal ist für die feministische Intention der britischen Erfolgsautorin. Der Roman steckt voller satirischer Seitenhiebe auf die saturierte, dekadente Mittelschicht in der gehobenen Londoner Vorstadt, in der diese Geschichte angesiedelt ist mit ihren ebenso wohlhabenden wie frustrierten Gattinnen aus der englischen Oberschicht zur Zeit des Thatcherismus. Diese satirische Färbung macht den Roman letztendlich zu einer amüsanten Lektüre, die allerdings an den Erfolg der «Old Filth» Trilogie nicht anknüpfen kann.

Fazit:   lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Hansa Berlin

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