Kalte Füße

Kalte Füße. “Dagegen gibt es nur eine Medizin: die Erinnerung.” Wer in den Nachkriegsjahren in Mitteleuropa geboren wurde oder aufwuchs, wusste, früher oder später, dass seine Eltern in den Faschismus oder Nationalsozialismus involviert waren. Diese Erkenntnis mag viele unbeantwortete oder unbeantwortbare Fragen ausgelöst haben, nicht nur bei der 1964 geborenen italienischen Schriftstellerin Francesca Melandri, deren Vater als “Alpini” in der Ukraine kämpfte. Im sog. Russlandfeldzug, der eigentlich eine Ukrainefeldzug war…

Kalte Füße oder: Nie wieder Krieg!

Ihr Vater hatte als Journalist für die Gazzetta del Popolo gearbeitet und sich sogar in einem namentlich gekennzeichneten Artikel gegen Ende des Krieges für den Faschismus ausgesprochen. Dieses Faktum wird für Francesca Melandri zum Ausgangspunkt ihres bereits vierten Romans, der sich nicht nur mit der Aufarbeitung der Vergangenheit ihrer Vätergeneration beschäftigt, sondern auch mittels eines immer wieder wiederholten Mantras “der Krieg in Russland, der größtenteils in der Ukraine war” den Bezug zur Gegenwart herstellt. Ihre Schilderungen der Verbrechen – der Wehrmacht damals und der russischen Armee heute – lassen einen den Atem stocken, da sie so lebensnah erzählt und zeigt, dass die Vergangenheit noch lange nicht vergangen ist.

Das Ende aller Kriege

Nie wieder Krieg!” hätten wir achtzig Jahre lang gerufen, dabei hätten wir nur gehofft, dass er nicht vor unserer Haustüre stattfinde. Aber als Melandri in einem YouTube einem Gespräch zwischen einer Ukrainerin und einem russischen Soldaten folgt, gibt ihr dies den Anstoß zu vorliegendem Buch. Die Ukrainerin gab ihm Sonnen-blumenkerne in die Hand und forderte ihn auf, diese in seine Taschen zu geben, damit dort, wo er falle, später Sonnenblumen wachsen würden. Die westlichen Verbündeten der Ukraine hätten eben solche “Kalte Füsse” (Titel!) bekommen, wie ihr Vater als Soldat in der Ukraine. Hätte er damals nicht die russischen Walenki-Stiefel erbeutet, wäre er wohl nicht heil davon gekommen. Aber “heil” kommt ohnehin niemand aus einem Krieg, höchstens körperlich unversehrt.

Die Vergangenheit in der Gegenwart

Bei einem Treffen mit Macron Anfang Februar 2022, also noch kurz vor dem Krieg, soll der russische Präsident den zweiten Satz eines Songtextes der Punkband Krasnaja Plesen (Roter Schimmel) aus den 80ern direkt in die Kamera gesagt haben: (“Die Schönheit lag still in dem Sarg, schnell schlich ich näher, um sie zu vögeln.) Jetzt bist du dran, meine Schöne, ob du willst oder nicht“. Die bizarre Situation will Melandri selbst auf YouTube mehrmals überprüft haben, weil sie so unfassbar ist. Die “öffentliche “Zurschaustellung von Dominanz und Unterwerfung, in ein Ritual, das auf den visuellen Codes von Feudalsgesellschaften der Mafiaclans basiert und in dem mit theatralischen Gesten und dreisten Lügen operiert wird“, schreibt Melandri, habe hier seine volle Perfidie entfaltet. “Wahr ist nur der Tod, der Verlust und der Schmerz. Wahr ist nur die Kälte.

Flammendes Plädoyer zum Ende aller Kriege

Francesca Melandris Betrachtungen sind ein flammender Appell für die Souveränität der Ukraine. Sie greift auf die Bücher ihres Vaters zurück und zitiert diese in einem Absatz vor ihren jeweiligen Kapiteln, so stellt sie den Bezug zwischen Vergangenheit und Gegenwart spielend her. Die Invasion der Faschisten und Nazis wurde damals aber nicht nur von Russen zurückgeworfen, sondern auch von Kasachen, Tscherkessen, Tataren, Bajaren und Soldaten vieler sibirischer und kaukasischer Ethnien. Gemessen an der Bevölkerung waren es vor allem Belarussen und Ukrainer, die gegen die Invasoren kämpften, schreibt Melandri. Der Holodomor zehn Jahre zuvor hatte aber vor allem die Ukrainer geschwächt und wird gerne auch als Vernichtungskrieg gegen die eigene Bevölkerung der Sowjetunion bezeichnet. Die Nachfahren dieser Bevölkerungsgruppen der Burjaten, Tuba, Tschuktschen, Akuten und Tungusen und Jukagiren werden im heutigen Krieg als “Kanonenfutter” in den ersten Schwung der ukrainischen Artillerie geworfen und sterben zu Tausenden.

Kalte Füße, heißer Krieg

Melandri klagt aber auch die westeuropäische Linke an, die jahrzehntelang nur die Verbrechen der USA, nicht aber den Kolonialismus und Imperialismus der UdSSR thematisierte und verurteilte und durch diese “Realitätsverweigerung”, “Flucht in die Abstraktion” und “Strategie der Mapuche” einfach ignorierte, was die Fakten waren. Ein aufrührerisches Plädoyer, das man einfach gelesen haben muss, da es viele unbeantwortete und unbeantwortbare Fragen aufwirft und versucht, sie zumindest ansatzweise zu beantworten. Eine Vergangenheitsbewältigung im intimen Du-Ton, einem Gespräch mit ihrem dementen Vater, der nicht mehr antworten kann. Selbst wenn er es wollte.

Francesca Melandri
Kalte Füße
Aus dem Italienischen von Esther Hansen
2024, Quartbuch, gebunden mit Schutzumschlag, 288 Seiten
ISBN 978-3-8031-3367-0
Wagenbach Verlag
24,– €


Genre: Krieg, Politik und Gesellschaft, Politische Romane
Illustrated by Wagenbach

Identitti

Die erste Überraschung war, dass das Buch auf Deutsch geschrieben ist, mit vielen originellen Einschüben auf Englisch. Die Romanheldin Niveditha Anand ist in Essen aufgewachsen und studiert nun in Düsseldorf an der Heinrich Heine Universität „postcolonial studies“, bei Saraswati, einer indischen Professorin, ein TV-Promi, die von ihr angehimmelt wird. Die Sympathie wird erwidert, Niveditha fühlt sich endlich angenommen und verstanden. Als Tochter eines indischen Mathematikstudienrates und einer polnischen Sozialarbeiterin, die zwar in Deutschland aufgewachsen ist, war ihr das bisher nicht in den Schoß gefallen, zu oft fühlte sie sich fremd hier.

Sie lebt mit dem Smartphone in der Hand, denn sie hat einen Blog, Identitty, wo sie gerne Dinge postet, die sie bei Saraswati gelernt hat. Außerdem wird sie immer und überall begleitet von Kali, einer Göttin mit vielen Armen, die ihr Alter Ego ist, aber auch gerne mal den inneren Schweinehund gibt. Dann meldet sich noch die Kusine Prity, deren Eltern auch aus Indien kommen, die aber in England aufgewachsen ist, inzwischen studiert sie auch bei Saraswasti. Aber eigentlich glaubt sie bei jedem Ton ihres Smartphones, dass sich Simon zurückmeldet. Er hat sie nun schon zum dritten Mal verlassen. Als der Skandal losgeht, ist sie froh, dass sie Simon wenigstens für eine gewisse Zeit vergessen kann.

Der Skandal findet statt, nachdem sie vom Deutschlandfunk interviewt wird, natürlich zu Saraswati. Die Moderatorin fragt sie als Erstes, wo sie herkommt, und sie, die diese übliche Frage hasst, straft sie, indem sie sagt: „ich lebe im Internet“. Dann erklärt sie, was „Weißsein“ bei Saraswati bedeutet, und dass „jeder ernst zu nehmende Intellektuelle einen Shitstorm überstanden haben“ muss.

Und der kommt: Saraswati ist eine Deutsche aus Karlsruhe, die ihre Farbe gewechselt hat, mit verschiedenen Eingriffen, eine Op der Augenlider ist dabei und Sprachunterricht. Die Studenten fühlen sich betrogen, Niveditha eigentlich auch, aber sie steht zu Saraswati, erstmal will sie sie verstehen und zieht bei ihr ein, Prity kommt nach, denn in der gemeinsamen WG werden sie nun als Verräterinnen an der Schwarzen Sache gedisst. Es gibt sogar eine Demo, organisiert von Oluchi, die auch in der WG wohnt. Sie ist besonders entrüstet über Saraswatis Betrug. Obwohl, oder vielleicht gerade, weil sie eigentlich mal Nivedithas Freundin war (und auch mal was mit Simon hatte!), ist sie besonders scharfzüngig in ihren Blogbeiträgen, wo sie als Zadie@Outside Sisters auftritt. (Zadie von Zadie Smith und Outside Sisters ist eine Sammlung von feministischen Essays von Audrie Lorde.)

Im Internet sagen alle möglichen Menschen, viele von ihnen real-existierende Internet-Promis, Journalisten, Soziologen, Feministinnen, PoCs ihre Meinung dazu, etwa: Wenn man seine geschlechtliche Identität selbst bestimmen kann, warum nicht auch die Rasse?

Und das ist die zweite Überraschung, für mich als alte weiße Frau, dass viele der Beiträge in der Tat von mir bisher unbekannten Internet-Promis sind, im Nachwort klärt die Autorin darüber auf, wie viele sie angeschrieben hatte, die dann an diesem Buch mit ihrem Klarnamen beteiligt wurden.

Was ist so besonders an Saraswati? Sie kann zu allem, was angesprochen wird, etwas Schlaues sagen. Und sie hat immer das letzte Wort. Während wir viel über indische Mythologie lernen, etwa, dass Kali bei Bedarf auch das Geschlecht wechseln kann, gibt sich Saraswati eher als weiblichen Jesus, nimmt das Opfer der Schwarzwerdung auf sich, um den mühseligen und beladenen PoC Mut zu machen. So kann Narzissmus auch aussehen. Sie tut das, um ihre Schützlinge, „zum Leuchten zu bringen“, und es hat funktioniert, nicht nur bei Niveditha.

Nebenbei gibt es viel zu erfahren über die Geschichte des Rassismus, etwa wie unterschiedlich er sich in den USA oder Europa zeigt. Dazu ein Beispiel: Obama war kein Schwarzer, weil nur Sklaven Schwarz sein können, sein Vater aber Kenianer war. In der DNA seiner Mutter fand man dann einige Prozente Sklavenanteil, von einem John Paul, der im 17. Jahrhundert lebte. Und wir lernen, dass Rasse anders ist als race, und Rasse ein Konstrukt.

Dann habe ich beim Googeln einige dieser mir bisher unbekannten Menschen kennengelernt, weiß nun mehr über die heutigen Feministinnen, sie gaben mir wichtige Denkanstöße, allen voran die Autorin, Mithu Sanyal, der ich gerne zusehe beim Reden, da sie so schön eindringlich mit Händen und Armen spricht. Vor diesem Roman hatte sie Sachbücher zu den Themen Vulva und Vergewaltigung geschrieben.

Dies alles lerne ich als Alte zusammen mit den jungen Frauen, die Saraswati an den Lippen hängen, fühle mich woke und bin gefesselt von der Situationskomik und den überraschenden Dialogen.

Und wozu taugen Männer? Da wäre Nivedithas Vater, der nicht nachvollziehen konnte, wie sie sich vom alltäglichen Rassismus gekränkt fühlte, das sei „Sonnenscheinrassismus“ im Gegensatz zu dem, was er erlebt hatte. Von Typen wie Simon hält frau schon mal gar nichts, und dann ist da noch Saraswatis großer Bruder, der aber schwer zu verstehen ist.

Wozu auch, das Leben geht weiter, für die wieder vereinten WG-Frauen mit gemeinsamen Schauen einer Satire Show mit Shappy Khorsandy aus Großbrittanien. Over the rainbow geht es weiter: beyond-race statt trans-race. Für Saraswati war das Ganze nur ein Sprungbett, sie baut jetzt an einer Eliteuni einen Studiengang zu Whiteness Studies auf. Viel Erfolg!

Fazit: erhellend und amüsant


Genre: Liebesroman, Politische Romane
Illustrated by Carl Hanser München

Doppelte Spur

Wer Aufdeckungs-Journalismus-Romane mag, wird mit diesem, sehr kompakten und überaus profundem Werk seine Freude haben. Mir sind die Informationen stellenweise zu dicht geballt, in der Mitte des Romans kommt er aber ordentlich in Schwung, und wo es literarisch schwierig ist, Fakten (auch imaginierte) dem Leser zu vermitteln, wiegt das zumindest teilweise die kraftvolle, bilderreiche Sprache Trojanows auf, der mit wenigen Strichen Situationen und Menschen als Bühnenbild des ablaufenden Dramas zu zeichnen imstande ist. Weiterlesen


Genre: Politische Romane
Illustrated by S. Fischer

Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten

Der Hundertjaehrige der zurueckkam um die Welt zu retten von Jonas Jonasson

Sechs lange Jahre, nachdem der Hundertjährige aus dem Fenster stieg und auf wundersamen Wegen und nach absurden Abenteuern ein hübsches Barvermögen sammelte, kehrt Allan Karlsson wieder in die Bücherwelt zurück. In dieser Warteschleife alterte der Hauptheld zum Glück nur ein Jährchen, denn die Story beginnt an seinem 101. Geburtstag, den er auf Bali verbringt. Weiterlesen


Genre: Humor, Politische Romane, Romane
Illustrated by C. Bertelsmann München

Die Wahrheit sagen

Leben und Lieben in Zeiten des Krieges

formánek_mluviti-pravdu_coverJosef Formáneks zweiter Roman. In einer Straßenbahn auf die Welt gerutscht wurde der kleine Bernhard Mares von seiner Mutter bald weggegeben und seinem Schicksal überlassen. Mehr aus Zufall denn Überzeugung landet der „Sudetendeutsche“ bei der Waffen-SS und ist dort zwar nur der Fahrer, aber dennoch auf der Seite der Gewinner. Vorläufig. Als Kind hatten ihn seine tschechischen Klassenkameraden immer gehänselt, weil er der Deutsche war, als Erwachsener merkt er, dass er vielmehr Österreicher ist oder eigentlich sogar Tscheche. Und beinahe am Ende seines Lebens, auf der Suche nach seiner verschollenen Mutter in Caracas, findet er heraus, dass er eigentlich Jude ist. Sein ganzes Leben erzählt Mares – in einer Art Lebensbeichte – dem Schriftsteller Josef Formánek, der sich mit diesem auch im Buch im Dialog befindet. Selbst gezeichnet von seiner Alkoholsucht und dem gleichzeitigen Ekel und der Faszination an seiner Figur gelingt es Formánek ein wahrhaftiges Porträt eines Menschen zu zeichnen, das ehrlicher nicht sein könnte. Nicht umsonst lautet der Titel ja: „Die Wahrheit sagen“.

Wahre Liebe wartet

Der vielschichtige zweite Roman des tschechischen Schriftstellers, der gleichzeitig auch einen Verlag gegründet hat, um die Literatur seines Landes in der Welt besser bekannt zu machen, beginnt auf einer Müllhalde wo der Journalist dem Protagonisten begegnet. Der eine will eine Geschichte, der andere seine Sophie zurück. Die Liebschaft aus den Tagen bei der SS ist eigentlich auch der rote Faden dieses Lebens, denn eine wirkliche wahrhaft große Liebe kann einem tatsächlich das Leben retten. So geschehen im Falle Bernhard Mares, der zwanzig Jahre seines Lebens im Gefängnis verbrachte um dann als „letzter deutscher Soldat des Zweiten Weltkriegs aus der Gefangenschaft entlassen zu werden“. Das war erst 1969, das Jahr in dem Josef Formánek gerade seinen ersten Schrei in die Welt abgab. Denn obwohl es Mares nach dem Krieg bis zum kommunistischen Kreissekretär gebracht hatte, holte ihn doch die Vergangenheit ein. Eine seiner Liebschaften hatte ausgeplaudert, dass er früher einmal bei der SS war. Aber die große Liebe, Sophie, die trifft er immer wieder, wegen ihr bricht er sogar dreimal aus dem Gefängnis aus, nur um sie wieder zu “im Heustadel zu lieben” wie einst. Die Liebe ist aber genauso unmöglich wie sein Leben und am Ende, bei der letzten Begegnung in einem Prager Café muss wohl auch er einsehen, dass er sich getäuscht hat. Oder doch nicht? “Warum?” frägt er sie zuletzt noch, ihre Antwort: “weil es sonst ewig so weitergegangen wäre”. Lesen Sie es selbst wie Mares rückwärts: “remmi rüf”.

Einsiedlerkrebs auf Quartiersuche

Die Sprache des Romans erinnert an Bukowski, Céline, Kafka und zuletzt auch Hrabal, denn sie ist geradlinig, ehrlich und nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Stilistisch ist es als Dialog konzipiert, der immer wieder von lateinischen Zitaten und Sinnsprüchen unterbrochen wird. Der aufmerksame Leser wird auch bemerken, woher diese Sprüche stammen, wie sie den Krieg überlebten und wo er sie sich hinstecken kann. Die Reflektionen Formáneks, seine Gedanken über den Sinn des Lebens, die Liebe und den Tod, die er Mares in den Mund legt, sind prätentiös und wahrhaftig und reißen einen tatsächlich vom Hocker, etwa wenn er die Geschichte des Einsiedlerkrebses in seinem Kleiderkasten erzählt, der sich immer wieder größere Behausungen sucht, aber letztlich in seinem Schrank vertrocknet, weil er nichts größeres mehr findet. „Zum anderen, weil im Dunkel, in der Einsamkeit hinter dem Schrank, nicht nur Einsiedler sterben“, schreibt Formánek nicht ganz ohne Selbstmitleid. Immer wieder betont er auch, dass wir selbst die Meister unseres Schicksals wären und uns unser Leben ja auch selbst aussuchten, wie es auch in der psychologischen Richtung des Konstruktivismus heißt. „Nur in der Gegenwart, im einzelnen Augenblick kann man die Zukunft finden.“, alle Fragen nach dem Sinn seien aber sinnlos. Am Ende vergisst Josef Formánek auch nicht darauf eine von vielen Pointen einzubauen, denn als Mares von dem Buch erzählt in dem ein Computer die Wahrheit über den Sinn des Lebens errechnet und ihn dann ausspuckt lautet die Antwort im Gegensatz zum Original nicht „42“, sondern „48“, das Jahr in dem die Kommunisten die Tschechoslowakei für sich reklamierten.

Ein tiefsinniger Roman, den man gelesen haben muss, da er in seiner Vielschichtigkeit und Ehrlichkeit mindestens so viel über den Sinn des Lebens vermittelt, wie die lateinischen Zitate, die der Autor so gerne verwendet: Victrix fortunae sapientia (Siegerin über das Schicksal ist die Weisheit).

Josef Formánek
Die Wahrheit sagen. Brutaler Roman über die Liebe zum Leben.
Gekko Verlag
480 Seiten
ISBN-13: 978-8090635401
23 Euro


Genre: Biographien, Briefe, Dokumentation, Dystopie, Erinnerungen, Liebesroman, Memoiren, Politische Romane
Illustrated by Gekko

Das siebte Kreuz

51W1oiNw2DL._SX302_BO1,204,203,200_Deutschland 1937: Im Konzentrationslager Westhofen bei Worms lässt der Kommandant aus Platanen sieben Kreuze errichten, um daran sieben geflohene Häftlinge nach erfolgter Gefangennahme als abschreckendes Beispiel zur Schau zu stellen. Einer der Flüchtlinge ist Georg Heisler, ein kommunistischer Aktivist, der sich nun auf die Suche macht nach alten Freunden und Verbindungen, die es ihm ermöglichen, das Land zu verlassen. Dabei muss er auf der Hut sein, denn in den zwei Jahren seiner Inhaftierung haben sich nicht nur die politischen Verhältnisse im Land geändert, sondern mit ihnen auch die Menschen; er weiß nicht, auf wen noch Verlass ist. Seine Verfolger, eine unheilige Allianz aus Polizei, Gestapo und SS, sind ihm stets dicht auf den Fersen und sie schrecken vor nichts zurück. Nach und nach werden alle Sträflinge gefasst, nur Georg, unterstützt von seinen Genossen und anderen aufrichtigen Menschen gelingt am Ende die Flucht nach Holland; das siebte Kreuz bleibt leer.

Dieser Roman gehört zu meinen Lieblingsbüchern, ich habe ihn unzählige Male gelesen. Anna Seghers erzählt darin Georg Heislers Geschichte in ruhigem und unaufgeregtem Stil, aber mit Worten von enormer Klarheit und Wichtigkeit. Sie vermeidet Plattheiten, auch die Nazis werden nicht als unmenschliche Monster dargestellt, sondern als die feigen Dummköpfe, die sie waren. Die Autorin weiß wovon sie schreibt, war doch auch ihr eigenes Leben geprägt von Flucht vor den Faschisten und Exil in fremden Ländern. Der Roman zeichnet ein beklemmendes Bild Deutschlands während der Hitler-Diktatur in einem Klima von Misstrauen und Bespitzelung, wo die Grenze zwischen Gut und Böse mitunter innerhalb einer Familie verläuft und nicht einmal Eheleute sicher sind, ob sie einander vertrauen können. Ebenso ein Thema ist die Entfremdung der Kinder von ihren Eltern durch die perfide Gehirnwäsche in den verschiedenen Nazi-Organisationen.

Dennoch ist es ein optimistisches Buch, es zeigt nämlich Menschen, die sich auch durch schlimmste Misshandlungen nicht zerbrechen lassen und andere, die, obwohl sie durch die Begegnung mit dem Staatsfeind in einen tiefen emotionalen Zwiespalt gestürzt werden, ohne nachzudenken das Richtige tun, weil sie ihre Anständigkeit nicht verloren haben. Nicht zuletzt Georg selbst – in seiner Jugend noch ein unbekümmerter Frauenheld – reift durch die Erfahrungen im KZ und auf der Flucht, er lernt, was wirklich wichtig ist; die schrecklichen Ereignisse bringen in ihm das Beste zum Vorschein. Es handelt sich somit auch um einen Roman über Freundschaft und Treue, über „die Entschleierung der Menschen, das Durchblitzen ihres wahren Gesichts“. „Das siebte Kreuz“ wurde unter der Regie von Fred Zinnemann erfolgreich verfilmt (Hauptrolle: Spencer Tracy), wer Gelegenheit hat, sollte sich dieses Werk nicht entgehen lassen. Schließen möchte ich mit dem Motto des Romans von Anna Seghers:

Dieses Buch ist den toten und lebenden Antifaschisten Deutschlands gewidmet


Genre: Politische Romane
Illustrated by Aufbau Berlin