Il libraio di Venezia

Il libraio di Venezia. “Siamo tempre sul punto di mollarci, ma alla fine non ci molliamo mai. C’è qualcosa di profondo che ci lega.” Giovanni Montanaros siebter Roman spielt vor dem Hintergrund der großen Flut von 2019. Der Wasserstand in Venedig erreichte damals beinahe das bisher höchste Niveau von 1966: 187 cm. Nur mehr mehr 8 cm haben also zu einem neuen (negativen) Rekord gefehlt. Der große Unterschied: 2019 hätte das von Korruption und Skandalen seit 2003 in Bau befindliche MOSE die Stadt vor eben diesem Pegelstand schützen sollen.

MOSE + das Versagen der Politik

So erinnert der vorliegende Roman, eine Liebesgeschichte, also nicht nur an die schmerzlichen Versäumnisse der (italienischen) Politik, sondern auch an die des Protagonisten Vittorio, den Buchhändler. Denn Vittorio braucht die Fürsprache und Vermittlung der 86-jährigen Rosalba, der Erzählerin, um Sofia seine Liebe zu gestehen. Dazu sei hinzugefügt, dass der Altersunterschied zwischen beiden immerhin 20 Jahre beträgt. Aber abgesehen von diesem doch etwas obszönen und antiquierten Hindernis, ist der hier vorliegende Roman eine wunderschöne Huldigung an die Literatur und Venedig, vor allem aber an seine Bewohnerinnen und Bewohner. Ihrer “capacità di rinascere” ist es zu verdanken, dass es die einstige Hauptstadt der Welt überhaupt noch gibt. Denn ohne seine Bewohner wäre Venedig nicht mehr Venedig. Die einzigartige und wunderbarste Stadt der Welt wird heute nur mehr von 52.000 Menschen bewohnt und die Politik tut alles, um auch diese noch zu verscheuchen. Sie wollen aus jedem Haus ein Airbnb machen, um noch mehr aus der Schönheit herauszupressen. Vittorio soll plötzlich das Doppelte der Miete für sein “Moby Dick” bezahlen. Auch Rosalba schmerzt es jedesmal als ob es Krieg wäre, wenn wieder ein Geschäft einer Herberge weicht. Die Boote, die denn Müll von Venedig abholen, nennen sich tatsächlich “Le barche VERITAS“, also die “Schiffe der Wahrheit” und zeigen das nackte Elend unseres Planeten anschaulich: wir werden an unserem Müll und unserer Profitgier eingehen. Aber es gibt immer noch Nester des Widerstands. Als solche gelten auch Buchhandlungen. Denn neben der fiktiven Buchhandlung Moby Dick des Romans gibt es tatsächlich noch eine ganze Menge unabhängige Buchhandlungen in Venedig, Ulrike Zanatta, hat sie im Nachwort dankenswerterweise alle aufgelistet. “Il libraio di Venezia” ist also auch ein Buch über Literatur mit vielen Buchtips, nicht nur eine Liebesgeschichte und nicht nur ein Katastrophenroman. Und dass es am Ende ein Happy End für alle gibt, das mag man sich ebenso in der Realität wünschen. Eines Tages, wer weiß… Der Tag wird kommen!

Untergang + Auferstehung aus Acqua alta

Als Referenzwert für das Hochwasser wird seit 1897 übrigens das “medio mare” herangezogen, das sich in Punta della Salute, dem dreieckigen Bereich zwischen dem Canal Grande und dem Canale della Giudecca befindet. Je nach Sestiere resp. genauem Standpunkt, kann man durchschnittlich 80 cm vom bekannt gegebenen Pegelstand abziehen. Das bedeutet, wenn etwa 110cm (bei dem 12% Venedig unter Wasser steht) bekanntgegeben wird, steht man am Markusplatz, dem tiefsten Punkt Venedigs auf 80 Meter mit 30 cm kniehoch im Wasser. Bei 140 cm – der durchschnittliche Höchstwert – stehen dann schon 59% Venedigs unter Wasser. Das Modulo Sperimentale Elettromechanico (Mose) ist längst zu einem Symbol für “politische Gleichgültigkeit, Korruption und bürokratischen Wahnsinn” (Tagesspiegel) geworden. Zudem ist der ganze versenkte Beton inzwischen selbst zu einem Problem für die Lagune geworden, da der Boden deswegen weiter absinkt. Wenn die Katastrophe vom November 2019 eines gezeigt hat, dann, dass die Menschen immer noch zusammenstehen und sich nicht unterkriegen lassen. Das steht so auch im Eröffnungssatz dieser bescheidenen Rezension, die zeigen will, was Solidarität bewirken kann. Denn was wirklich zählt, das müssen die BewohnerInnen Venedigs nach jedem Hochwasseralarm immer wieder schmerzlich feststellen. Aber die Liebe zu Venedig ist stärker als jede Vernunft. Mai mollarare!

Giovanni Montanaro
Il libraio di Venezia
Ital. Hrsg. von Ulrike Zanatta
Niveau B1 (GER)
2022, Broschur, 165 S. 1 Abb.
ISBN: 978-3-15-014132-8
6,00 €
Reclam Verlag


Genre: Erzählung, Katstrophenroman, Liebesroman
Illustrated by Reclam Verlag