One second after

517dd1kaZsL._SX310_BO1,204,203,200_Was wäre, wenn jemand vorhätte, die USA anzugreifen? Wäre es da nicht strategisch klug, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten zunächst den Schutz durch die überlegene Technologie zu rauben? Was wäre, wenn es eine Waffe gäbe, die alles Elektronische ausschalten könnte? Diese Waffe könnte bereits in den Händen der Feinde sein … John Matherson, Geschichtsprofessor und Ex-Colonel, lebt mit seiner Familie in einer friedlichen Kleinstadt in den Bergen North Carolinas. Doch die Idylle findet ein jähes Ende, als ein elektromagnetischer Puls (EMP) die kompletten Vereinigten Staaten lahmlegt.

Alle elektronischen Geräte Autos, Computer, Radios, Flugzeuge funktionieren von einer Sekunde auf die andere nicht mehr. Die Gesellschaft bricht erschreckend schnell zusammen, und John muss sich eine entscheidende Frage stellen: Wie weit würdest du gehen, um deine Familie und deine Heimat zu schützen? Dieser Roman ist eine Warnung. Eine Warnung vor einer Gefahr, die schon morgen Realität sein könnte: Einem Angriff mit einer EMP-Waffe. Der elektromagnetische Impuls kann in einer Sekunde jede Form von Elektronik außer Gefecht setzen – und die Zivilisation, wie wir sie kennen, komplett ausradieren…

John ist Mitte 40 und lebt mit seinen beiden Töchtern (16 und 12 Jahre) in dem beschaulichen Örtchen Black Mountain am Fuß der Berge North Carolinas. Als Johns Frau Mary vor einigen Jahren an Krebs erkrankte, quittierte er den Dienst bei den Marines und zog mit seiner Familie in Marys Heimatort Black Mountain, wo sie gegen den Krebs kämpfte und er eine Stelle als Geschichtsprofessor am dortigen Collage annahm. Mary verlor den Kampf gegen den Krebs und John ist mittlerweile seit 4 Jahren alleinerziehender Vater und in Black Mountain ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft geworden.

Dann wird eines Tages, kurz vor dem Frühlingsbeginn eine Atombombe außerhalb der Erdatmosphäre gezündet und alles bricht zusammen! John erkennt als Ex Marine ziemlich schnell, dass es sich um einen EMP-Angriff handelt und auch als erster sehr schnell, was für katastrophale Ausmaße dieser totale Technikausfall nach sich ziehen wird! Die Pumpen für die Wasserversorgung funktionieren nicht mehr, es gibt keine Lebensmittel- und Arzneilieferungen, denn bis auf ein paar alte Autos aus den siebziger Jahren gibt es keine Transportmöglichkeiten. Die komplette US Regierung und die Infrastruktur sind zusammengebrochen. Doch darüber kann man eigentlich nur Vermutungen anstellen, denn natürlich gibt es auch keine Kommunikationsmöglichkeiten.

Innerhalb von ein paar Tagen gibt es Plünderungen der Lebensmittelgeschäfte und Apotheken, nach bereits 2 Wochen gibt es nichts mehr zu essen und man muss anfangen auf die Jagd zu gehen. In den Krankenhäusern und Pflegeheimen sterben die Patienten, die auf Beatmungsgeräte und lebenswichtige Medikamente angewiesen sind wie die Fliegen. Regelrechte Seuchen brechen aus, denn man kann der Leichen kaum Herr werden und es gibt kein Pflegepersonal mehr, dass sich um die Patienten und pflegebedürftigen alten Menschen kümmert. Kleinste Schnittverletzungen werden zu tödlichen Bedrohungen, denn für infizierte Wunden gibt es keine Antibiotika mehr und auf den Feldern ist die Ernte noch lange nicht reif.

Mitten in diesem Chaos fühlt sich John als Ex Marine verpflichtet, sich um sein Örtchen zu kümmern und die Zivilisation soweit es geht aufrecht zu erhalten. Aber John hat auch seine Familie und ein riesiges Problem, denn seine 12-jährige Tochter Jennifer ist Diabetikerin Typ 1 und hat nur noch einen begrenzen Vorrat an Insulin. Die Lage wird immer schlimmer, denn aus den größeren Städten kommen immer mehr Flüchtlinge und plündernde Banden an den Rand der Berge, da sie der Ansicht sind, dass es auf dem Land etwas zu essen geben muss. Nun muss sich Black Mountain auch noch mit einer Flüchtlingswelle befassen, denn die Flüchtlinge sind hungrig, schleppen Krankheiten herein und sind genauso verzweifelt wie die Bewohner des Örtchens selbst. Es gibt Einbrüche, Raubüberfälle, Vergewaltigungen und die Lage wird immer schlimmer….

Ich habe schon viele Endzeitgeschichten gelesen, aber dieses Buch hat mich förmlich umgehauen. Es war so unfassbar großartig, kaum in Worte zu fassen! Eines der besten Endzeitbücher, die ich je gelesen habe. Man muss aber auch dazu sagen, dass ich ein riesiger Fan von Endzeitgeschichten bin und dieses Buch nicht unbedingt etwas für Leute ist, die nur mal in eine Endzeitgeschichte reinschnuppern wollen. Da mich dieses Thema aber wirklich extrem interessiert, fand ich das Buch super spannend und fesselnd, könnte mir aber vorstellen, dass es anderen Lesern vielleicht zu langatmig ist! Es ist mit 500 Seiten ein ziemlicher Klopper und wirklich sehr detailliert beschrieben. Der Autor hat sich wirklich extrem mit diesem Thema befasst und sich um jedes Details Gedanken gemacht – ganz großes Kino!

Die ganze Geschichte spielt sich in Black Mountain ab und befasst sich ausschließlich mit den Problemen dieses einen Städtchens, was mir persönlich mehr als gut gefallen hat, weil man so einen ganz speziellen Bezug zur Geschichte bekommt und wirklich das Gefühl hat, ein Teil dieser Gemeinde zu sein. Die persönlichen Schicksale werden auch sehr stark herausgearbeitet, so dass die Geschichte sehr emotional ist und ich an mehreren Stellen ordentlich Tränen vergossen habe. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass dies für den einen oder anderen Leser einfach too much und zu detailliert sein könnte.

Fazit: Für hardcore Endzeitfans ein absolutes Muss, für Endzeitneulinge aber vielleicht eine Nummer zu viel.

William R. Forstchen (1950 in New Jersey geboren) ist ein US-amerikanischer Historiker, Experte für Militär- und Wissenschaftsgeschichte und den Amerikanischen Bürgerkrieg. Weitere Interessen sind Luftfahrt und Archäologie (er nahm an mehreren Expeditionen in die Mongolei, nach Rumänien und Russland teil). Er veröffentlichte bereits mehr als 40 Bücher.


Genre: Dystopie, Endzeitgeschichten, Romane
Illustrated by Festa

Totenhaus

Bestatterin Blum ist zurück, und wieder ist nichts so, wie es scheint.Totenhaus, Bernhard Aichner

Bestatterin Blum führt zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes und einiger tragischer Erlebnisse endlich wieder ein entspanntes Leben. Sie hat sich mit ihren beiden Kindern, Schwiegervater Karl und Freund Reza die verlorene Normalität zurückerobert und genießt diese. Jedenfalls solange, bis sie auf einen Zeitungsartikel stößt.
Sie entdeckt, dass eine tote Frau genauso aussieht wie sie, dass bei weitem nicht alles so ist, wie es scheint und dass ihr Leben noch lange nicht in geordneten Bahnen verläuft. Im Gegenteil, die Lage spitzt sich bedrohlich zu, als von ihr bestattete Leichen exhumiert werden sollen: Ein düsteres Geheimnis läuft in Gefahr entdeckt zu werden, so dass Blum fürs erste nur die Möglichkeit der Flucht bleibt. Dabei gerät sie an Menschen, die sie verwirren, verstören und bedrohen oder aber auch hilfreich an ihrer Seite stehen, manchmal alles in einer Person. Es werden Menschen sterben und auch auf andere Weise ist der Tod ein ständiger Begleiter der ganzen Geschichte. Wirkliche Schockmomente gibt es zwar nicht viele, dafür haben es die wenigen aber in sich.

Dies ist der zweite Band über die Bestatterin Brünhild Blum, jedem potentiellen Leser sei angeraten, Band eins, „Totenfrau“, zuerst zu lesen. Einige Dinge werden sonst unverständlich bleiben, beide Geschichten bauen aufeinander auf und nicht alles wird noch einmal erklärt.
Wie schon im ersten Teil besticht der Autor durch einen ungewöhnlichen Schreibstil, kurze, knappe Sätze wechseln sich ab mit längeren Gedankengängen und spiegeln so das Gefühlsleben Blums deutlich wider. Auch die spezielle Art der Dialogschreibung wurde hier wieder verwendet, keine Anführungszeichen sondern Spiegelstriche und keinerlei Beschreibungen zu Taten oder Emotionen während der Gesprächssituation. Aichner vertraut voll darauf, dass sich alles Wichtige aus den Worten der Protagonisten erlesen lässt und dies völlig zu Recht.
Wieder sind die handelnden Figuren zwiespältig zu sehen, mal handeln sie so, dass sie absolut in mein Wertesystem passen, dann wiederum passieren durch sie Dinge, die mich als Leser schockieren. Bei keiner Figur könnte ich sagen, dass sie mir sympathisch ist, genauso wenig wie ich behaupten könnte, ich würde sie nicht mögen. Dies unterscheidet den ersten vom zweiten Teil, bei der Totenfrau war Blum ein bisschen meine Heldin, eine Art moderner Robin Hood. In vorliegendem Buch dagegen hat sie mich nicht uneingeschränkt auf ihre Seite ziehen können.
Der Geschichte tut dies keinen Abbruch, im Gegenteil, gerade dies brachte mich noch näher an das Buch, die reale Welt ist schließlich auch nicht ausschließlich schwarz und weiß.

Die Handlung ist spannend und freiwillig wird dieses Buch wohl niemand aus der Hand legen. Ständig gibt es neue Umwege, Kurven und sogar neue Ziele, selbst am Ende des Buches scheint nur ein Teilziel erreicht zu sein, was schlüssig ist, da das Ganze als Trilogie angelegt ist, es wird also interessant bleiben.
Wenn ich „Totenhaus“ gelesen hätte, ohne „Totenfrau“ zu kennen, wäre ich in Begeisterungsstürme ausgebrochen, wenn ich Punkte vergeben würde, hätte es auch immer noch die volle Punktzahl.
Der erste Band ist jedoch so unschlagbar gut und vor allem so anders geschrieben, dass das vorliegende nicht ganz mithalten kann. Ich könnte dies nicht mal sinnvoll begründen, vielleicht ist es auch einfach nur ein Gewöhnungseffekt.
In Schulnoten würde ich es so ausdrücken: Der erste Teil war eine Eins mit Sternchen, der zweite Teil eine glatte Eins, was natürlich immer noch eine sehr gute Leseempfehlung ist.


Genre: Romane, Thriller
Illustrated by btb München

Totenfrau

Gut und Böse werden kurzerhand durcheinander gewürfelt.

Ich muss zugeben, der erste Eindruck nach dem Lesen des 9783442749263_CoverKlappentextes reizte mich nicht mehr, als jeder andere ungelesene Thriller auch. Nachdem mir das Buch in den sozialen Netzwerken jedoch mehrfach über den Weg lief und sehr empfohlen wurde, konnte ich nicht widerstehen. Glücklicherweise, denn hätte ich es nicht gelesen, wäre mir einer der besten Thriller entgangen.

Protagonistin Brünhild Blum ist Bestatterin, nicht ganz freiwillig, hat sie doch einen Weg gefunden, sich ihr Leben einzurichten. Vielleicht nicht den Weg, den andere genommen hätten, aber immerhin einen nachvollziehbaren. Zum Startpunkt der Geschichte scheint ihr Leben in glücklichen Bahnen zu verlaufen, ihr Mann ist Polizist, sie haben zwei Kinder und Blum versorgt, zusammen mit dem Angestellten und Freund Reza, ihre Leichen. Bis ihr Mann stirbt. Ohne Vorwarnung und ohne sie darauf vorzubereiten, was danach passiert. Wer ist die geheimnisvolle Frau, die ihr Mann so oft getroffen hat und deren gemeinsame Gespräche auf seinem Handy gespeichert sind? Sie hört abscheuliche Geschichten und begibt sich daran, die Wahrheit herauszufinden.

Als Leserin war ich schon zu diesem frühen Zeitpunkt emotional mitten in der Geschichte. Ebenfalls ohne Vorwarnung und Vorbereitung.

Wie so oft bei Thriller-Rezensionen würde ich so gerne mehr erzählen, gerade weil ich dieses Buch für ziemlich spektakulär halte. Da ich aber anderen Lesern die Freude auf das Buch nicht zerstören will, belasse ich es dabei.
Ich mag es sehr, wenn nicht ganz klar ist, wer oder was denn nun eigentlich gut oder böse ist. Wenn mit moralischen und ethischen Vorstellungen gespielt wird und ich als Leser immer wieder darüber nachdenken muss, ob das alles nun irgendwie richtig ist, oder nicht. Nur ganz wenige Autoren haben dies so erreicht wie Bernhard Aichner, mir fallen nur zwei weitere Bücher ein, die hier mithalten können: „Still“ von Thomas Raab und „Das Parfum“ von Patrick Süßkind, damit ist Aichner quasi von Null auf Hundert in meinen persönlichen Thrillerautoren-Himmel aufgestiegen.

Sein Schreibstil ist anders als gewohnt, gefällt mir aber sehr. Viele kurze, abgehakte Sätze spiegeln das Gefühlsleben Blums wider, man ist mittendrin im Geschehen, zeitweise so dicht, dass man tatsächlich ins Grübeln kommt, ob es nicht doch besser wäre, in dieser Nacht das Licht brennen zu lassen.
Sehr schön sind die Dialoge in dem Buch, nicht in klassischen Anführungszeichen, sondern mit Spiegelstrichen voneinander getrennt und ohne „Regieanweisungen“. Auch dies führt dazu, dass man unmittelbar dabei ist, scheinbar wirklich den Gesprächen zuhört.
Blum als Protagonistin wird so authentisch, so echt beschrieben, dass ich jeden ihrer Beweggründe verstehen konnte. Was durchaus verwirrend ist, wenn sie anders handelt, als ich es tun würde. Vielleicht.
Nebenbei habe ich einige Dinge über den Bestatterberuf gelernt, die ich eigentlich gar nicht so genau wissen wollte, dem Buch aber natürlich weit nach vorne helfen. Alles was der Autor beschreibt, scheint bestens recherchiert zu sein, sonst hätte er kaum so genau und detailreich erzählen können. Nicht unbedingt etwas für zart besaitete Gemüter, aber wenn vorne „Thriller“ draufsteht, sollte auch ein Thriller drin sein.
Jedem Fan des Genres sei dieses Werk unbedingt ans Herz gelegt.


Genre: Romane, Thriller
Illustrated by btb München

Die gleissende Welt

SiriHustvedt “Die gleißende Welt” – im 17. Jahrhundert gab es diesen Buchtitel schon einmal. Margaret Cavendish, eine der ersten Frauen, die unter eigenem Namen publizierten, betitelte so einen utopischen Roman. Im 21. Jahrhundert dient die Cavendish der New Yorker Künstlerin Harriet Burden als Vorbild. Harriet Burden ist die Hauptfigur in Siri Hustvedts neuem Roman und ihr Nachname ist Programm. Denn es sind schon mannigfache Bürden, welche die arme Frau trägt. Zwar verfügt sie über ein Millionenvermögen, aber ach. Ach.

Geld alleine macht ja nicht glücklich. Noch dazu ist es “nur” das von ihrem verstorbenen Mann, einem einst gefeierten New Yorker Galeristen, ererbte Vermögen und keines, welches Harriet sich selbst erarbeitet hätte. Ein großes Unglück für die Ärmste, ist sie doch in Wahrheit eine hochtalentierte Installationskünstlerin und hätte mit eigenen Millionen überhäuft werden müssen – nur erkennt es leider keiner. Schlimmer noch, ihre Kunst wird verhöhnt und wenn sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, dann immer nur als Frau an der Seite von. Tief gekränkt zieht Harriet sich aus dem öffentlichen Leben zurück und beginnt ein zweites Leben als Mäzenin. Zudem bleibt sie ihrer Kunst treu, doch zu sehen bekommen nur wenige Auserwählte ihre Werke. Harriet ist überzeugt davon, dass eine Frau in der Kunstszene eh keine gerechte Chance bekommt. Schließlich verfällt sie auf ein gewagtes Experiment. Sie zeigt ihre Kunst doch noch öffentlich. Aber nicht als sie selbst, sondern sie bedient sich im Laufe der Jahre dreier “Maskenmänner”, die als Strohmann ihre Werke in Ausstellungen zeigen – und natürlich dafür gefeiert werden. Doch die große “Enthüllung”, welche Harriet Burden für sich gleichermaßen als Rache und Katharsis geplant hat, findet nicht statt. Der letzte ihrer “Maskenmänner” durchkreuzt ihre Pläne und dreht den faustischen Handel gegen Harriet.

Wie ihre Protagonistin ist auch Siri Hustvedt auf ein gewagtes Experiment verfallen, um ihren geplanten Parforce Ritt durch die Gemengelage aus Vorurteilen, Begierde, Ruhm, Geld und Selbstverwirklichung dem Leser als auch wirklich von allen Seiten durchleuchtetes Paket zu präsentieren. Amerikas Ausnahme-Autorin schlüpft dafür in die Rolle der Herausgeberin und präsentiert die Geschichte der Harriet Burden als fingierte Spurensuche. Zu Wort kommen alle (fingierten) Weggefährten Harriets, Freunde wie Feinde, Gönner wie Kritiker und die mittlerweile unvollendet gestorbene Harriet selbst, deren (ebenfalls fingierte) Tagebücher der “Herausgeberin” Hustvedt anvertraut wurden. Ein geschickter Kniff – und anhand der unbestrittenen Wortmächtigkeit und literarischen Begabung der Hustvedt hätte es ein ganz großes Buch werden können.

Ein Buch, welches – wie der Verlag nicht müde wird, zu erwähnen – alle großen Themen Siri Hustvedts vereint. Literatur, Kunst, Psychologie und Naturwissenschaften. Nur das allergrößte Thema der Hustvedt hat der Klappentexter vergessen zu erwähnen: Nämlich sie selbst. Nichts interessiert Siri Hustvedt bzw. ihre Stellvertreterin Harriet Burden so sehr wie die eigene Befindlichkeit, vornehmlich in der gespiegelten Wahrnehmung anderer. Und so wurde aus der Vereinigung eines großes Talents mit einem großen Thema leider nur eins: Das hohe Lied der sich selbst bemitleidenden Larmoyanz und Siri Hustvedt avanciert von der von einer ganzen Generation bewunderten Schriftstellerin zur Hohepriesterin regressiver Luxusprobleme.

Denn um nichts anderes geht es in diesem Buch: First world problems in platin. Es tut geradezu weh, dieses Buch zu lesen. Siri Hustvedt kann schreiben, ihr Talent ist unbestritten und nahezu unerreicht. Es hätte ein kluges, ein berührendes Buch werden können – aber irgendwann hilft auch der wundervollste Stil nicht mehr. Dann ist gejammerte Selbstgerechtigkeit nur noch ein nervtötendes Ärgernis. Man möchte in das Buch hineingehen, Harriet und Siri gleichermaßen schütteln und sie von ihrem selbstgerechten Ego-Trip runterholen. Nach den Erfolgen der Vergangenheit tut Siri Hustvedt viel, um ihren eigenen Nimbus zu festigen. Zuviel, denn mit der “gleißenden Welt” hat dieser Nimbus bereits begonnen zu bröckeln. Sie wollte zuviel. Zu viele Themen, die sie ausgräbt und nur anreißt. Zuviele Genres, durch die sie mäandert. Und dann noch die unzählbar vielen Fußnoten, in denen sie sich gelegentlich nicht entblödet, als Quelle auf ihr eigenes Werk zu verweisen und die ansonsten nur dazu dienen, ihre Bildung auszubreiten. Darin ihrer Protagonistin nicht unähnlich verheddert sie sich schlußendlich nur noch in ihren Manierismen, scheitert an diesen und ihrem eigenen Anspruch.

Viel hatte man von diesem Buch erwartet – versprach es doch, dass Siri Hustvedt mit der “gleißenden Welt” in die New Yorker Kunstwelt zurückkehrt, Immerhin die Welt ihres größten Erfolges “Was ich liebte”. Doch nicht ein einziges Mal löst sie die Emotionen aus, die dieses Buch hinterließ. Aus der ans Innerste ihrer Leser rührenden Erzählerin ist eine selbstgerechte Autorin geworden, die sich aller Erfolge und Lobeshymnen zum Trotz nicht genug gewürdigt fühlt. Möglicherweise liegt es daran, dass Siri Hustvedt sich immer noch an ihrem Mann, dem gefeierten Schriftsteller Paul Auster abarbeitet. Zwar finden sich genug Stimmen, die der Meinung sind, sie habe Auster mittlerweile in den Schattten gestellt, aber ihr Drang, sich selbst zu beweisen, scheint immer größer zu werden. Denn – ganz egal, wie oft es abgestritten wird – auch “die gleißende Welt” ist mit Sicherheit zu einem Teil autobiographisch. Die Parallelen sind einfach nicht zu übersehen, gerade wenn man auch ihre anderen Werke kennt.

Oder – es liegt daran, dass Siri Hustvedt in Wahrheit gar nicht so begabt ist, wie es ihre Wortmächtigkeit suggeriert. Denn – auch in “Was ich liebte” hat sie letzten Endes nur nacherzählt. Auch dieser Roman fußte auf eigenem Erleben, schlimmer noch auf Leben, die sie nur als Beobachterin miterlebte. Welchen Preis die als Vorlage dienenden Personen – ihr Stiefsohn und die erste Frau von Paul Auster – dafür gezahlt haben, das will man lieber gar nicht wissen. Dann schon lieber ihre eigene Befindlichkeit – aber auch von der will man eben nicht endlos lesen. So gesehen ist es kein Wunder, dass Hustvedt mit der epischen Darbietung ihrer eigenen Klugheit den Mangel an Phantasiebegabung kaschiert.

Um den Bogen zurück zu schlagen: Da ist ja noch der entlehnte Titel. Margaret Cavendish wird heute als Universalgenie gefeiert und es bedarf schon einer gewissen Chuzpe, sich einfach einen Buchtitel von einem Universalgenie zu entlehnen. Passt aber dazu, dass Hustvedt sich auch ihre Themen bisher immer nur geliehen hat. Bitter, dass sie das eigentlich gar nicht nötig hat. Und schon gar nicht hat sie es nötig, sich hinter vorgeblichen oder tatsächlichen Vorurteilen wie die von Harriet Burden immer wieder angeprangerte Bevorzugung männlicher Künstler zu verstecken.

So heißt es in der “gleißenden Welt” : „Alle intellektuellen und künstlerischen Unterfangen, sogar Witze, ironische Bemerkungen und Parodien schneiden in der Meinung der Menge besser ab, wenn die Menge weiß, dass sie hinter dem großen Werk oder dem großen Schwindel einen Schwanz und ein paar Eier ausmachen kann.“ Hier sei die zugegeben platte Anmerkung, dass man auch als Frau durchaus Eier zeigen kann, erlaubt. Und wer, wenn nicht eine Autorin mit dem Renommee einer Siri Hustvedt wäre dazu besser in der Lage. Eine große Chance – vertan.


Genre: Romane
Illustrated by Rowohlt

Still – Chronik eines Mörders

Ein leises, märchenhaftes Buch über ein zu lautes Leben

stillGleich vorweg: dieses Buch einem bestimmten Genre zuzuordnen fällt mir schwer. Ein bisschen Thriller, ein bisschen Krimi, ganz viel Familiengeschichte aber hauptsächlich ein Drama, so sehe ich diese anrührende Geschichte.
Wer einen Roman ohne Tod und Unheil erwartet ist hier falsch, wer einen blutrünstigen Thriller möchte, ebenfalls.
Blut fließt trotzdem, reichlich sogar, aber der Reihe nach.

Der Protagonist Karl wird in einem kleinen, verschlafenen Nest geboren und hält von Anfang an seine Eltern in Atem. Nicht, weil sich hier schon seine Bösartigkeit zeigen würde, sondern weil er schreit. Laut. Immer. Ohne Pause, so dass ein ganzes Dorf in Mitleidenschaft gezogen wird.
Als alle Beteiligten schon fast mit ihren Nerven am Ende sind, findet sein Vater den Grund für das Gebrüll heraus: Der kleine Karl hat ein hypersensibles Gehör, besser als jeder andere Mensch hört er selbst die leisesten Töne, entferntesten Gespräche und Lebensgeräusche. Eine für Andere normale Lautstärke bereitet ihm körperliche und seelische Schmerzen, weswegen ihm seine Eltern schließlich ein isoliertes Zimmer im Keller einrichten. Hier lebt er vor sich hin, findet schnell Freude an Büchern und zeigt eine hohe Intelligenz. Einen Zugang zu seiner Mutter findet er jedoch nicht, ebenso wenig, wie sie zu ihm. Sie ist mit einer derartig hohen, quakigen Stimme gesegnet, dass er sie schon im Mutterleib nicht ertragen konnte.
Die Jahre gehen ins Land, Karl im Keller, das restliche Leben oberhalb. Was niemand bedenkt: Karl kann selbst geflüsterte Gespräche hören, immer mehr erkennt er, wie anders er ist, wie er abgelehnt wird. Er beginnt zu fühlen, was Unrecht ist, als seine Mutter ein Verhältnis mit dem Dorfarzt beginnt. Nach einem tragischen Ereignis erkennt er schließlich, dass das einzig Schöne, Stille der Tod ist. Nur hierin erkennt er Liebe, versteht nicht, warum die Menschen am Leben festhalten, wenn der Tod doch so viel besser ist. Er beschließt, den Menschen zu helfen, in der Annahme, wirklich Gutes zu tun und ab hier beginnt die blutige Spur, die auf dem Klappentext des Buches vermerkt ist.
Karls Leben nimmt viele Wendungen, nur wenig Schönes passiert ihm, mit einer Ausnahme: Er begegnet einem ganz besonderen Menschen, der ihn bis zu seinem Lebensende nicht mehr loslassen wird. Das Ende ist konsequent und emotional, nicht wirklich unerwartet, aber richtig.

Wie so oft, wird einen kurze Inhaltsangabe dem eigentlichen Text nicht gerecht, das Buch ist so unglaublich großartig geschrieben, so märchenhaft und zeitlos, dass mir nur ein passender Vergleich eingefallen ist: „Das Parfum“ von Patrick Süßkind. Dieser Roman gehört für mich zu den ganz Großen und Thomas Raabs „Still“ kann hier meiner Meinung nach problemlos mithalten.
Im Anfangssatz hatte ich geschrieben, dass dies ein leises Buch sei. Das meine ich absolut positiv. Der Autor hat es verstanden, das Leben Karls aufzuzeigen und mich daran teilhaben zu lassen, ohne „laute“ Worte zu verlieren. Es sterben so viele Menschen, und trotzdem wirkt der Tod immer leise und friedlich, wie von Karl beabsichtigt. Immer wieder überzog mich ein leises Gruseln, insbesondere im Mittelteil, weil Karl wahrscheinlich als größter Massenmörder in die Geschichte eingehen könnte, wäre er nicht fiktiv. Trotzdem artet das ganze niemals in ein in ein Splatter-Gemetzel-Buch aus.
Alle Figuren sind sehr anschaulich beschrieben, keine klischeehaft oder langweilig. Die Hauptfiguren sind etwas Besonderes. Keine ist eindeutig gut oder böse, die ganze Geschichte an keiner Stelle einfach schwarz-weiß. Offensichtlich ist hier natürlich Karl, der nach den Maßstäben unserer Gesellschaft Böses tut, aber in der Annahme, den Menschen zu helfen.
Auch einige der anderen Figuren sind durchaus ambivalent zu sehen und diese Geschichte wird mir noch sehr lange im Kopf bleiben.

Der Sprachstil ist unheimlich bildreich, metaphorisch und einfühlsam, nicht nur inhaltlich ist dieses Buch lesenwert, sondern auch, weil Thomas Raab sich hier als wunderbarer Sprachkünstler präsentiert.

Für mich ist dies eines der bemerkenswertesten Bücher dieses Jahres, ich werde es sicher noch ein zweites Mal lesen.


Genre: Romane, Thriller
Illustrated by Droemer Knaur München

Der törichte Engel

“Wie ein schleimiges Ungeheuer schleppte sich Weihnachten durch Pine Cove, zog eine Spur von Lametta, Girlanden und Schlittenglöckchen durch den Ort, triefte vor Eierpunsch, stank nach Tannenbaum und festlichem Verhängnis, wie Herpes unter einem Mistelzweig.“

Ein Buch, das so beginnt kann nicht gänzlich unbrauchbar sein und dieses ist im Gegenteil höchst vergnüglich, auch wenn man es stilgerecht eigentlich in der Adventszeit lesen müsste. Wir befinden uns in dem kalifornischen Kaff Pine Cove, nicht zum ersten Mal Schauplatz eines Romans von Christopher Moore, wo die Vorbereitungen für das Fest der Liebe auf Hochtouren laufen. Durch ein Missgeschick kommt der dabei der als Weihnachtsmann verkleidete Rabauke Dale Pearson nach einem Gerangel mit seiner Ex-Frau zu Tode un ein kleiner Junge droht ob des zufällig beobachteten Ablebens des heiligen Mannes traumatisiert zu werden. Wie praktisch, dass der törichte Erzengel Raziel (bekannt aus „Die Bibel nach Biff“) gerade in der Nähe und auf der Suche nach dem alljährlich fälligen Wunder ist: Flugs macht er das Geschehene rückgängig; allerdings werden durch einen Flüchtigkeitsfehler auch gleich noch alle anderen Bewohner des Friedhofs wiederbelebt. Und wie man es aus zahlreichen einschlägigen Filmen kennt, ist mit den lebenden Toten nicht gut Kirschen essen…

Christopher Moore hat mit „Der törichte Engel“ wiederum einen Roman geschrieben, der richtig Spaß macht und den dankbaren Leser verzaubert. Mit viel Liebe zum Detail brennt er ein Feuerwerk des Humors ab und lässt seine skurillen Protagonisten mächtig aufdrehen: Sheriff Crowe, der meistens bekifft ist und seine Frau Molly, die etwas aus dem Ruder läuft, seit sie eigenmächtig ihre Medikamente abgesetzt hat, nehmen an der Seite der übrigen Dorfbewohner den Kampf auf gegen blutrünstige Zombies, die zunächst Gehirne verspeisen und anschließend zu IKEA gehen wollen. In kleinen aber feinen Nebenrollen dürfen wir auch ein Wiedersehen mit dem Piloten Tucker Case und seinem sprechenden Flughund Roberto aus „Himmelsgöttin“ feiern und dabei bleibt kein Auge trocken.

Ich staune über die unerschöpfliche Fantasie des Autors und bewundere seinen herrlich trockenen Schreibstil, der im Genre der intelligenten Unterhaltung nicht leicht zu finden ist. Zu Recht wird Moore von den Kritikern immer wieder in die Nähe von Terry Pratchett und Douglas Adams gerückt und er braucht diesen Vergleich beileibe nicht zu scheuen. Ich wünschte, es gäbe mehr Bücher dieser Qualität, dann wären auch die Prüfungen, die die Deutsche Bahn täglich ihren (an Kummer gewohnten) Kunden auferlegt leichter zu ertragen.


Genre: Romane
Illustrated by Goldmann München

Himmelsgöttin

412vWWEUq0L._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Der junge Tuck ist Pilot, als solcher aber nicht sehr verantwortungsbewusst, und so geschieht es, dass er eines Tages den Jet eines Kosmetikkonzerns, für den er tätig ist, in sämtliche Bestandteile zerlegt. Es drohen der Verlust seiner Fluglizenz sowie strafrechtliche Konsequenzen und so ist Tuck mehr als froh, als er ein obskures aber prächtig dotiertes Angebot erhält: Transportflüge für einen Arzt/Missionar auf einer winzigen mikronesischen Insel. Allerdings gestaltet sich schon die Anreise dorthin mehr als abenteuerlich, denn das Boot ist in der Obhut eines wenig erfahrenen Navigators (ein Transvestit mit einem sprechenden Flughund!) und kentert. Die beiden Schiffbrüchigen retten sich mit letzter Kraft ans Ufer, wo sie sogleich von einem greisen Kannibalen in Empfang genommen werden.

Nach Klärung einiger Missverständnisse lernt Tuck dann seinen neuen Arbeitgeber und dessen Frau kennen, die eine Klinik auf der Insel der Haifischmenschen betreiben. Von Missionierung ist jedoch nicht viel zu sehen, die Eingeborenen hängen vielmehr einem „Cargo-Kult“ an und verehren ein altes Kriegsflugzeug mit einem aufgemalten Pin-up-Girl. Und es gibt noch mehr Merkwürdigkeiten: Geld scheint für den guten Doktor keine Rolle zu spielen, das Krankenhaus ist bestens ausgerüstet und wird streng bewacht, der Strand ist vermint und Tuck ist es untersagt, das Gelände zu verlassen. Klar, dass der draufgängerische Abenteurer jetzt erst recht neugierig wird und Erkundigungen anstellt…

Nach meiner ersten, eher zwiespältig verlaufenen Begegnung mit Christopher Moore in „Die Bibel nach Biff“ beschloss ich, dem Autor eine zweite Chance zu geben und siehe da, es hat sich mehr als gelohnt! „Himmelsgöttin“ sprüht nur so vor Witz und Erzählfreude und der Leser verfolgt das bunte Treiben der liebevoll ausgestalteten Protagonisten mit großem Vergnügen. Trotzdem ist der Roman mehr als nur eine Komödie, denn auch medizinisch brisante Themen stehen auf der Tagesordnung und werden ebenso souverän abgehandelt wie Religionswahn oder der Evergreen zwischenmenschliche Beziehungen. Moore bleibt dabei stets voller Humor, aber nicht ironisch distanziert, sondern er fühlt und leidet mit seinen herrlich skurrilen Figuren und das wirkt ansteckend. So entsteht ein wunderbarer Lesespaß, den ich allen Freunden intelligenter Unterhaltung guten Gewissens empfehlen kann.


Genre: Romane
Illustrated by Goldmann München

Die Bibel nach Biff

51WFGZrIdxL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Wir schreiben das Jahr 1999, der zweitausendste Geburtstag Jesu Christi steht kurz bevor und die himmlischen Mächte beschließen, an ihrer Außendarstellung zu arbeiten. Sie schicken den – nicht sonderlich intelligenten und zuverlässigen – Engel Raziel zur Erde, um Jesus’ besten Freund Biff wieder zum Leben zu erwecken, damit dieser die wahre Geschichte der Jahre des jungen Messias aufschreibt; ein neues Evangelium muss her. Die beiden mieten sich in einem Hotel in New Orleans ein, und während der Engel sich mit TV-Seifenopern und Wrestling-Kämpfen die Zeit vertreibt, erzählt Biff, was damals wirklich geschehen ist.

Es beginnt mit den Kindheitstagen der beiden Freunde, Jesus (oder Josua, wie er im Buch heißt) lässt tote Eidechsen auferstehen; er weiß zwar, dass er Gottes Sohn ist, aber nicht recht,was von ihm genau erwartet wird. Biff und Josua treffen Maria Magdalena („Maggie“), verlieben sich beide in das Mädchen, aber der Sohn des Herrn sich nicht mit fleischlichen Gelüsten beschäftigen darf, ist er auf seinen Freund angewiesen und lässt sich alles haarklein schildern. Als Maggie jedoch einem Pharisäer zur Frau versprochen wird, brechen die Freunde zu einer langen Reise nach China und Indien auf; sie suchen die drei Weisen aus dem Morgenland, die zu Josuas Geburt erschienen waren, denn von ihnen erhoffen sie sich Aufschluss über seine Mission…

Der Roman nutzt geschickt den Umstand, dass in der Bibel in der Biographie von Jesus ca. 30 Jahre fehlen, berichtet wird lediglich über die Geburt und die letzten Wochen vor seinem Tod. Auch die Spekulation, dass er sich im fernen Osten aufgehalten haben könnte, ist ja so neu nicht. Christopher Moore schreibt durchaus humorvoll, sehr gelungen sind beispielsweise die Passagen, in denen der dämliche Engel durch die TV-Kanäle zappt und auch Jesus weist bisweilen allzu menschliche Eigenschaften auf. Allerdings legt der Autor nie den (zu) großen Respekt vor seinem Protagonisten ab, gerade gegen Ende geht es dann schon ziemlich christlich zu. Eigentlich ist das schade, denn man hätte mehr aus dem Stoff machen können, ich denke zum Beispiel an den Film „Das Leben des Brian“. So ist es aber nicht mehr als ein vergnügliches Buch, das wohl auch Papst Ratzinger ohne schlechtes Gewissen lesen könnte.


Genre: Romane
Illustrated by Goldmann München

Der kleine Bruder

5179YKr-kEL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Nach der erfolgreichen Verbannung aus der Bundeswehr setzt sich Frank Lehmann mit einem Kumpel ins Auto und brettert von Bremen nach Berlin um sich in der WG seines Bruders, der dort als Künstler arbeitet, häuslich niederzulassen. Dort findet er zwar keine Spur von Manni bzw. Freddie, dafür aber jede Menge skurriler Gestalten, die ihn sogleich unter ihre Fittiche nehmen.

Es beginnt eine lange Nacht, in deren Verlauf sich Frank mit den seltsamen Gebräuchen der Hauptstadt anno 1980 vertraut zu machen beginnt; tatkräftig unterstützt von seinen neuen Kumpanen. Als aber am nächsten Tag der verschollene große Bruder immer noch nicht auftaucht und zu allem Überdruss auch noch die Mutter aus Bremen telefonisch nervt, beginnt Frank mit der Suche, die sich allerdings schwieriger gestaltet als erwartet, denn Mannis Freunde scheinen ihm etwas zu verheimlichen…

Mit „Der kleine Bruder“ liegt nun auch der dritte Band der Lehmann-Trilogie des Bremer Erfolgsautors und Multitalents (er ist ja auch noch Sänger der Band Element of Crime) Sven Regener vor. Obwohl, ganz so einfach ist es auch wieder nicht, denn der zuletzt veröffentlichte Roman ist eigentlich der Mittelteil der Trilogie. Für Neueinsteiger, die jetzt die Chance haben, die Bücher in der korrekten chronologischen Reihenfolge zu lesen, empfiehlt sich diese Lektüre:

1. Neue Vahr Süd
2. Der kleine Bruder
3. Herr Lehmann

Nach den beiden bisherigen Werken war ich nun etwas enttäuscht. Der Roman beginnt zwar stark, schwächelt aber bald, da der Plot einfach zu flach ist, um über mehr als 300 Seiten zu tragen. Daraus resultiert eine Dialoglastigkeit der immer selben Protagonisten, die sich auch noch in den verschiedenen Kneipen permanent über den Weg laufen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das Buch ist gewohnt gut geschrieben, durchaus lesenswert, für Lehmann-Fans sowieso unverzichtbar und überzeugt auch als nostalgisches Zeitdokument, das das Chaos aus Punks, Hausbesetzern und K-Gruppen in der Mauerstadt trefflich beschreibt. Wirklich nicht schlecht, dennoch hatte ich mir insgesamt mehr davon versprochen.


Genre: Romane
Illustrated by Bastei Lübbe

Bad Monkeys

41f8RoyD1JL._SX339_BO1,204,203,200_Jane Charlotte, eine junge Frau aus San Francisco, hat ein Problem. Sie wurde wegen Mordes festgenommen und erzählt jetzt ihre schier unglaubliche Geschichte einem Psychologen. Demnach nämlich gehört sie zu einer mächtigen Organisation, die sich „Bad Monkeys“ nennt und die wirklich üblen Typen aus dem Verkehr zieht. Dabei bedient man sich vorzugsweise geheimnisvoller Wunderwaffen wie Pistolen, die einen Herzinfarkt verursachen und eines nahezu unerschöpflichen High-Tech-Repertoires. Jane berichtet von ihrer nicht allzu glücklichen Kindheit und ihrem ersten Kontakt mit den „Bad Monkeys“ als sie mit 14 auf eigene Faust einen Kindermörder verfolgte. Ihre Jugend verlief eher ziellos, dazu kamen Drogenprobleme und so war sie durchaus bereit, gegen das Böse zu kämpfen, als die Organisation sie einige Jahre später anwirbt und auf erste Missionen schickt.

Janes Geschichte ist zweifellos faszinierend, aber als der Psychiater einige Fakten dazu recherchiert, stößt er recht bald auf Widersprüche und Ungereimtheiten. Besonders die Beziehungen zu Bruder und Mutter stellen sich dort doch entscheidend anders dar, als von der Geheimagentin geschildert. Ihre Erklärung dafür, die Affen-Chefs hätten die Dokumente gefälscht, um Spuren zu verwischen vermag nicht ganz zu überzeugen und so entwickelt sich ein Showdown, in dem sich die Ereignisse überstürzen…

Regelmäßige Besucher und Leser dieses famosen Blogs wissen, dass Matt Ruff einer meiner Lieblingsautoren ist und er hat mich auch dieses Mal nicht enttäuscht, denn wieder einmal hat er mit „Bad Monkeys“ eine völlig neue Richtung eingeschlagen, die Festlegung auf ein bestimmtes Genre ist ganz klar seine Sache nicht. Wir haben es hier mit einem Thriller zu tun, voll futuristischer Elemente und die Komplexität der Handlung weckt Erinnerungen an die Matrix-Filme. Obwohl vordergründig ein Zwei-Personen-Stück, erschließen sich aus Janes Erzählung mehrere Dimensionen in einer Welt, in der unter der Oberfläche der Normalität Konflikte von beinahe biblischen Ausmaßen ausgetragen werden. Natürlich nur dann, wenn die Geschichte stimmt und der Kampf nicht ausschließlich in der Psyche der jungen Frau tobt…

Die gewohnte Sprachgewandtheit des Autors, gepaart mit seinem feinsinnigen Humor tut ein Übriges, um das Buch zu einem höchst spannenden Lesevergnügen zu machen, bei dem man ehrlich bedauert, wenn die letzte Seite umgeblättert ist. In diesem Fall wiederhole ich mich gern und appelliere erneut an alle hier versammelten Literaturfreunde: Lest endlich Matt Ruff, ihr werdet es nicht bereuen!


Genre: Romane
Illustrated by dtv München

G.A.S. – Die Trilogie der Stadtwerke

51-4pCwzk2L._SX312_BO1,204,203,200_Wir schreiben das Jahr 2023 und befinden uns in New York City. Während der erfolreiche Unternehmer und Wolkenkratzer-Fan Harry Gant seine Sehnsucht nach immer noch höheren Gebäuden stillt, plagen sich die Mitarbeiter der städtischen Kanalisation mit ganz anderen Problemen herum. In den giftigen Abwässern gedeihen nämlich mutierte Raubtiere prächtig, dort wüten nicht nur Kanalligatoren sondern auch ein Weißer Hai, der zu Vermarktungszwecken auf den Namen „Meisterbrau“ getauft wird und schon bald Bekanntschaft mit Harrys Ex-Frau Joan schließt, die im wahrsten Sinne des Wortes im Untergrund tätig ist.

Unterdessen widmet sich eine Gruppe von Öko-Piraten dem gewaltlosen Kampf gegen die Umweltverschmutzung und die Ausbeutung der verbliebenen Natur. Ihre mobile Kommandozentrale ist das luxuriöse U-Boot „Yabba-dabba-doo“, mit dem sie (unterstützt von sprechenden Bibern und Eichhörnchen) ihre witzigen und effektiven Aktionen durchführen. Selbst ein Transrapid kommt – fernab von Wolfratshausen – zum Einsatz und es gilt auch noch, den Mord an einem Finanz-Tycoon aufzuklären. All das rückt jedoch in den Hintergrund, als ein durchgeknallter Super-Computer sich anschickt, mittels eines Heeres dunkelhäutiger Androiden („Elektro-Neger“) eine globale Verschwörung anzuzetteln…

Es ist – zumindest für mich – fast unmöglich, eine schlüssige Inhaltsangabe von „G.A.S.“ abzuliefern, zu komplex und opulent ist das Werk. Wie schon in „Fool on the Hill“ erschuf Matt Ruff mit ungeheurer Fantasie einen eigenen Mikrokosmos, in dem skurrile, liebenswerte Figuren ihr Unwesen treiben und der Leser verfolgt atemlos staunend das Geschehen, dankbar, dass er daran teilhaben darf. Trotz zahlreicher Nebenhandlungen verliert er nie den Überblick, da es der Autor meisterhaft versteht, die Stringenz zu wahren und das Heft in der Hand zu behalten.

Der Roman ist mit viel feinsinnigem Humor gewürzt, man meint, die Freude des Schriftstellers beim Spinnen der unzähligen Fäden zu verspüren und kommt so in den Genuss intelligenten Lesevergnügens. Matt Ruff macht einfach Spaß, seine Bücher sprühen vor Witz und Geist. Es wäre zu wünschen, dass eine breitere Leserschaft von diesem Autor Notiz nimmt, er hat es ganz sicher verdient.


Genre: Romane
Illustrated by dtv München

Ich und die anderen

51TJxRCoClL._SX312_BO1,204,203,200_Wenn der junge Andrew Gage frühstückt, so läuft dies nach einem streng geordneten, komplizierten Ritual ab: Zunächst gibt es Rührei und Kaffee, dann folgen eine Tasse Kräutertee kombiniert mit Pfefferminzgelee auf Weizentoast; ein halbes Brötchen mit einer Scheibe Speck wird abgelöst von Orangensaft mit Honigpops und das Mahl endet schließlich mit einem Teller gesalzener Radieschen. Nun ist es keineswegs so, dass Andy ein unmäßiger Vielfraß wäre, nein, er leidet an einer multiplen Persönlichkeitsstörung. Hervorgerufen durch extremen Missbrauch in der Kindheit haben sich nach und nach immer wieder verschiedene Teile seiner Psyche verselbständigt und diese verschiedenen „Seelen“, männlich wie weiblich, alt und jung leben alle in seinem Körper. Andy hat sich damit arrangiert und die Situation einigermaßen im Griff, kommt gut zurecht, denn er hat im Kopf ein Haus errichtet, in dem alle Bewohner Platz und Zuflucht finden.

Allerdings gerät eines Tages dieses mühsam aufrecht erhaltene Gleichgewicht in Gefahr als er an seinem Arbeitsplatz – passenderweise ein Virtual Reality-Unternehmen – auf Penny Driver trifft, eine junge Frau, die unter derselben Störung leidet, dies aber noch nicht bewusst realisiert hat. Behutsam versucht Andy ihr zu helfen, die Erfahrungen zu verarbeiten und sie zu überzeugen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dummerweise ist er selbst aber auch noch mit einer unglücklichen Liebe belastet, und so sind die beiden von den auf sie einstürzenden Ereignissen schnell überfordert. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg zu Andys Heimatort, um die die dunlen Geheimnisse seiner Kindheitstraumata aufzuspüren. Die Reise treten sie jedoch nicht alleine an, denn im Gepäck führen sie eine ganze Reihe unberechenbarer Seelenbegleiter mit sich, von denen manche nicht ganz ungefährlich sind.

Selbst auf die Gefahr hin, die Leser hier zu langweilen; ich muss mich wiederholen und erneut ein Werk von Matt Ruff preisen. „Ich und die anderen“ unterscheidet sich gänzlich von den beiden bisherigen Büchern, ist aber nicht minder faszinierend. Der Autor führt uns mit großem Geschick in die Welt der Multiplen ein, er lässt uns staunen und er tut das einfühlsam und verständnisvoll, dennoch nicht ohne Humor. Es gelingt ihm zum Beispiel wunderbar, den realen Schrecken der Protagonistin zu schildern, wenn sie morgens in einem fremden Bett erwacht, ohne Erinnerung an die vergangenen Tage, dafür aber mit einer Liste ausgestattet, welche Dinge heute zu erledigen sind. Auch das brisante Thema Kindesmissbrauch packt Ruff mit der richtigen Mischung aus Emotionalität und Entschlossenheit an, er rührt an das Herz des Lesers, ohne dabei auf die Tränendrüse zu drücken. Ich finde, mehr kann man von einem guten Roman nicht verlangen und erteile den klaren Auftrag: Lesen!


Genre: Romane
Illustrated by dtv München

Fool on the Hill

41Y99YOz28L._SX312_BO1,204,203,200_Merkwürdige Dinge geschehen in dem kleinen Städtchen Ithaca und der dort ansässigen Cornell-Universität. Dinge, die die Fähigkeit des Rezensenten übersteigen, einen stringenten Handlungsablauf auf die Festplatte zu meißeln. Also lasse ich es lieber gleich sein und begnüge mich zunächst damit, die Hauptdarsteller des Romans vorzustellen. Im Angebot hätten wir:

S. T. George: Schon mit 23 ein höchst erfolgreicher Schriftsteller, der die besten Texte schreibt, wenn er unglücklich verliebt ist.

Kalliope: Die schönste Frau der Welt, die ihr Aussehen ständig wechselt und den Wünschen der jeweiligen Verehrer anpasst.

Aurora Smith: Tochter eines haschrauchenden Nonkonformisten und mit einem tödlichen Langweiler verlobt.

Zephyr und Puck: Kleine verliebte Kobolde, die mit Modellflugzeugen und -booten unterwegs sind und bisweilen gegen bewaffnete Ratten kämpfen müssen.

Luther und Blackjack: Ein Hund und eine Katze auf der Flucht vor rassistischen Rassehunden und auf der Suche nach dem Tierhimmel. Wir lernen, dass Hunde zu religiösem Eifer neigen, während Katzen eher atheistische Thesen vertreten.

Mr. Sunshine: Ein altersloser Grieche und der geheimnisvolle Lenker der Geschichte.

Manchmal meint das Schicksal es gut mit mir, so wie an jenem Tag, als ich mich wieder einmal recht gelangweilt in einer Buchhandlung herumdrückte und mir “Fool on the Hill” von Matt Ruff ins Auge fiel. Ich kannte weder Roman noch Autor, dennoch griff ich zu und landete unversehens einen Volltreffer! Es ist ein herrliches Buch mit epischen Ausmaßen, eine Welt der Magie, voller Humor und Fantasie, eine zauberhafte Liebesgeschichte mit Elementen von Abenteuer und Horror, aber immer leichtfüßig beschwingt und heiter. Streckenweise fühlt sich der Leser an Shakespeare-Komödien erinnert, allerdings angereichert mit beinahe apokalyptischen Schlachten, mit Rittern, Jungfrauen und Drachen.

Der Autor pflegt einen wunderbaren Stil, setzt seine Worte mit Bedacht, doch stets treffsicher; es gibt unzählige Reminiszenzen an die Literatur zu entdecken, liebevolle Details, wie zwei Hundephilosophen namens Wiedumir und Östrogen, die auf Dogot warten, mögen hierfür als Beispiel dienen. Die zahlreichen verschiedenen Handlungsstränge sind kunstvoll miteinander verwoben und lassen beim Leser niemals Langeweile aufkommen; im Gegenteil: Ich hätte mir die eine oder andere Szene noch ausführlicher gewünscht. Der Roman verzaubert, man ist ehrlich betrübt, wenn er zu Ende ist und ein schöneres Kompliment für ein Buch kann ich mir nicht denken.

Fazit: Ich habe viele Bücher gelesen, aber das ist definitiv eines der besten.


Genre: Romane
Illustrated by dtv München

Die Witwen von Eastwick

41dONLRMlGL._SX255_BO1,204,203,200_Mehr als 30 Jahre sind vergangen, seit die drei Hobby-Hexen Alexandra, Jane und Sukie zusammen mit dem diabolischen Darryl Van Horne allerlei Schabernack veranstalteten und das Städtchen Eastwick in Aufruhr versetzten. Über das ganze Land verstreut finden sie sich erst wieder, als ihre Ehemänner das Zeitliche segnen. Die neu gewonnene Freiheit nutzend, beginnen sie, sich die Welt anzusehen. Die lustigen Witwen bereisen Ägypten und China und so langsam kehrt sie zurück, die alte Vertrautheit zwischen den Freundinnen und mit ihr die nicht ganz unschuldige Freude an magischen Tricks. Getrieben von nostalgischer Neugier beschließen sie einen Abstecher nach Eastwick, Ort der Jugend und der Erinnerungen, die mit zunehmender Zeit verklärter und harmloser erscheinen.

Doch in der alten Heimat hat man sie nicht vergessen, es gibt immer noch genügend Leute, die sich an die Geschichten von damals erinnern, Legenden über skandalöse Riten der Magie und Hexerei und so entwickelt sich der geplante Sommerurlaub der Witwen zu einer Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit; einer Auseinandersetzung, der sie sich stellen müssen und die nicht ohne Folgen bleiben wird…

John Updike war ohne Zweifel einer der größten Romanciers, den die USA je hatten, einer, der wachen Auges die dunkle Seite des amerikanischen Traums beleuchtete und seine Beobachtungen mit spitzer Feder festhielt. In seinem letzten Werk stellt er sein Können noch einmal eindrucksvoll unter Beweis. 25 Jahre nach den „Hexen von Eastwick“  – die viele vielleicht nur durch die grandiose Verfilmung mit einem Jack Nicholson in Bestform kennen – schickt er seine drei Grazien (inzwischen geplagt von den Freuden des Alters) wieder zurück an den Schauplatz ihrer Schandtaten; eine Reise, die es in sich hat.

Das Buch besticht vor allem durch die ungeheure Vielfalt und Kreativität der Sprache, jedes Verb, jedes Adjektiv trifft zielsicher ins Schwarze und beschert ein anspruchsvolles Lesevergnügen, das sich eben nicht aus einem Übermaß an Action und einem rasend schnellen Plot speist. Vielmehr sind es die kleinen Dinge, die den Roman so lesenswert machen, seien es höchst amüsante Beschreibungen des Verhaltens von US-Touristen im Urlaub oder die Schilderungen des alltäglichen Kleinstadtlebens unter dem Primat spießiger Vorurteile. Der Tod von John Updike ist ein herber Verlust für jeden Literaturfreund und lädt zu einer intensiven Beschäftigung mit seinem Gesamtwerk ein.


Genre: Romane
Illustrated by Rowohlt

Terrorist

41sRToLVIZL._SX301_BO1,204,203,200_Ahmad ist 18 Jahre alt und lebt in New Jersey allein mit seiner Mutter, einer Irin. Er verehrt seinen Vater, einen Ägypter, obwohl der sich schon früh absetzte und sich nie wieder um den Jungen kümmerte. Ahmad ist intelligent, dennoch bricht er die Schule ab, um als Lastwagenfahrer zu arbeiten. Er tut dies auf Geheiß seines Imams, bei dem er schon seit mehreren Jahren den Koran studiert. Natürlich kommt es, wie es kommen muss und der Junge gerät in Kontakt mit islamischen Extremisten, die ihn als Selbstmordattentäter einsetzen wollen: Er soll einen Lastwagen gefüllt mit Sprengstoff im New Yorker morgendlichen Berufsverkehr in einem Tunnel zur Explosion bringen…

John Updike reagiert mit seinem Roman auf die Anschläge vom 11. September, aber es ist kein spektakuläres Buch, kein Thriller, sondern es behandelt die psychologischen Hintergründe der terroristischen Ideologien. Der Autor zeichnet dabei ein äußerst düsteres Bild einer US-amerikanischen Gesellschaft, die gerade den Jugendlichen außer Konsum keinerlei geistig moralische Werte und Perspektiven mehr bietet und so den pseudoreligiösen Rattenfängern indirekt Vorschub leistet. Die nicht arabischen Protagonisten sind allesamt desillusioniert, manche zynisch, sie ertragen ihr Leben nur noch und können auch den Sex nicht ohne Schuldgefühle genießen. Der Möchtegern-Terrorist kommt dabei noch einigermaßen sympathisch daher, bezeichnend dafür ist eine Szene, in der er einen auf dem Rücken liegenden Käfer wieder umdreht, weil er dessen Leiden nicht erträgt.

„Terrorist“ ist für mich ein gelungenes Buch, eben weil es gar nicht erst versucht, vermeintlich einfache Lösungen für das Problem anzubieten, es hält uns vielmehr den Spiegel vor, allerdings ohne moralisch erhobenen Zeigefinger. Deutlich wird aber auch, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht militärischen Mitteln gewonnen werden kann, es bedarf stattdessen einer geistigen Auseinandersetzung mit dieser für uns so fremden Ideologie. Empfohlen den verantwortlichen Herrschenden zur Lektüre.


Genre: Romane
Illustrated by Rowohlt Tb.