Verteidigung der Missionarsstellung

Verteidigung der Missionarsstellung Benjamin Lee Baumgartner ist ein netter Kerl. Dennoch –er hat es nicht leicht in diesem Leben: “Als ich mich das erste Mal verliebte, war ich in England. und da ist die Rinderseuche ausgebrochen. Als ich mich dsa zweite Mal verliebte, war ich in China, und da ist die Vogelgrippe ausgebrochen. Und drei Jahre später war ich das erste registrierte Opfer der Schweinegrippe. Sollte ich je wieder Symptome von Verliebtheit zeigen, musst Du sofort die Gesundheitspolizei verständigen. Versprich mir das.”

Der solchermaßen innig gebetene Freund verspricht es ihm, alleine es hilft nichts. Baumgartner wird nicht klug, er verliebt sich immer wieder. Er leidet daran, aber irgendwie liebt er das Leiden auch. Mindestens so sehr wie sein Leben. Ein Leben voller unerwarteter Wendungen, die ihn selbst am meisten überraschen und ihm am Schluss des Romans eine nicht vorhergesehene Pointe bescheren. Aber es ist nicht die Geschichte über das Leben des Benjamin Lee Baumgartner, Sohn einer der letzten Hippiemädchen des Landes und eines geheimnisvollen Indianers oder auch nicht, welche diesen Roman so besonders macht. Sondern der Wortwitz des Autors, das Spiel mit der Sprache und die Liebe zu dieser.

Der Freund, den Baumgartner so innig bittet, ist wohl auch nur bedingt geeignet, den Mann vor den Fallstricken der Liebe zu bewahren. War schon dessen Streitschrift zur “Verteidigung der Missionarsstellung” kein Erfolg beschieden. Dieser Freund, er ist kein Geringerer als der Ich-Erzähler, der Autor, Wolf Haas selbst Er erzählt die Buch-im-Buch- Geschichte, die Geschichte von der Entstehung des Romans, eine zweite Leidensgeschichte gewissermaßen. Schliesslich wäre es ja viel einfacher, sich in Fiktion zu retten, als so eine unglaubwürdige Geschichte aus der Realität zu romantisieren.

Entstanden ist so das wohl mit Abstand coolste und unbekümmerteste Buch des Jahres, unglaublicherweise zugleich das am sorgfältigsten konstruierte Buch des Jahres. Ein Hinweis vorab, so leid es mir tut. Wer sich dieses Buch vornimmt, er sei gewarnt: Es hilft alles nichts, durch das erste Kapitel muss man durch. Das erste Kapitel – ich fand es grottenschlecht. Zäh, langweilig, es weckte nicht für 10 Cent mein Interesse. Es passiert mir wirklich selten, dass ich ernsthaft überlege, ein Buch schon nach wenigen Seiten auf Nimmerwiederlesen zuzuklappen. Doch für die zweite Chance, die ich dem Buch gab, wurde ich belohnt. Schon beim zweiten Kapitel zog ich zum ersten Mal meinen Hut, musste grinsen, danach war ich verloren. Chapeau, was für ein Parforceritt.

Benjamin Lees Flower Power Mutter gab ihrem Kind den ungewöhnlichen Namen zu Ehren des Sprachforschers Benjamin Lee Whorf. Dieser Whorf vertrat die These, dass Sprache das Bewusstsein formt. Haas spielt mit dieser These, benutzt und verwirft sie. Auf der einen Seite verblüfft er mit Sätzen zum Niederknien, auf der anderen ist er kein Autor, der Lust hat, sich lange mit Beschreibungen aufzuhalten. Will er eine bestimmte Atmosphäre erzeugen, gibt es eine in eckige Klammern gesetzte Notiz an sich selbst , so etwa “London-Atmosphäre, Blick from the bridge” Fertig. Weiß jeder, was gemeint ist. Wolf Haas geht aber noch weiter und entwickelt diese These dahingehend, dass es nicht nur die Sprache, sondern auch das Schriftbild ist, welches das Bewusstsein und das Verständnis seiner Leser formt. Sagt ein Protagonist einmal “nichts“,dann steht da eben auch nur “Nichts” und koste es eine ganze Buchseite. Berichtet eine Romanfigur, er habe etwas quergelesen, dann wird es eben quergeschrieben. Konsequenterweise ist die dichteste Stelle im Buch so verdichtet, dass man sie nur mit der Lupe lesen kann. Und so weiter und so fort. Ich werde hier nicht jeden skurrilen Einfall verraten, ist ja schließlich der halbe Spaß.

Neulich sah ich den Autor im Fernsehen. Auf dem blauen Sofa von Wolfgang Herles. Sinngemäß sagte er in diesem Interview, dass er es als Lob empfinden würde, wenn seine Leser während der Lektüre gelacht hätten. Ja, Herr Haas, ich kann Sie beruhigen. Ich habe gelacht. Vor Freude, über gelungene Pointen, anerkennend für Ihre Chuzpe.
In diesem Zusammenhang: Herr Herles, reizenden Dank für Ihre Bemerkung, dass man mit diesem Buch nicht unter Niveau lacht. Da bin ich ja beruhigt.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift.


Genre: Romane
Illustrated by Hoffmann und Campe

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