Sydney Bridge Upside Down

Sydney Bridge Upside Down Es ist Sommer in Neuseeland. Der 13jährige Harry und seine Freunde im kleinen Dorfe Calliope Bay am Rande der Welt vertreiben sich die Zeit mit vielerlei Unsinnigkeiten. Sie rauchen heimlich in einer Höhle, treiben sich in der Ruine einer Fleischfabrik herum und warten in der Hauptsache darauf, dass etwas passiert. Egal was. Die erhoffte Zerstreuung naht in Person von Harrys Cousine Caroline, die schnell die Aufmerksamkeit und Begehrlichkeit aller männlicher Personen in dem isolierten Dorf auf sich zieht.

Was sich wie eine leichte Erzählung über unschuldige Sommertage anlässt, wie eine der üblichen Coming-of-Age Geschichten, schlägt schon bald um in eine schauerliche, Grauen erregende Geschichte und wird dabei zu einem Märchen ohne Erlösung und Vergebung. Es passieren schreckliche Dinge in Calliope Bay. Die Ruine der Fleischfabrik bleibt nicht länger nur ein Denkmal längst vergangener, glorreicher Zeiten. Sie wird zu einem Ort, an dem Unfälle passieren. Einem Ort, an dem Menschen sterben.

Sydney Bridge Upside Down ist der sperrige Name eines sperrigen Pferdes. Ein alter Klepper, der einem ebenso sperrigen alten Mann gehört. Beide – das Pferd und der alte Mann stehen für den Niedergang des Ortes, aber auch für eine ganz besondere Aufmerksamkeit und Beharrlichkeit. Am Ende werden es wohl diese beiden sein, die wissen, was in jenem Sommer passiert ist. So es denn überhaupt jemand jemals wissen wird.

Sydney Bridge Upside Down ist ein ebenso faszinierendes wie grauenerregendes Buch. Es begeistert an keiner Stelle, dafür ist der Stoff einfach zu hart. Dafür entwickelt der Kontrast zwischen der Beschwörung eines einsamen, auf sich selbst zurückgeworfenen Ortes an der Küste und dem allmählich zum Vorschein tretenden Grauen einen Sog, dem man sich als Leser nur schwer entziehen kann. Dabei ist in der Erzählung weniger das vordergründige Geschehen maßgeblich, sondern kleine eingestreute Hinweise hier und da. Die Grausamkeit liegt unter der Oberfläche, sie enthüllt sich erst nach und nach.

Holden Caulfield war ein Musterknabe gegen Harry Baird. Glaube ich. Denn der Kunstgriff Ballantynes ist so schlicht wie genial: Er erzählt die Geschichte aus der Sicht des 13-jährigen. Harry erzählt detailliert, aber bewusst saumselig und schleppend. Er lässt große Lücken, die er – vielleicht – später füllt, er verweigert sich jeder Norm einer realistischen Erzählung. Schnell ist klar, Harrys Blick auf die Welt ist zwar der eines Kindes, aber er blickt verheerend und destruktiv. Harry selbst kann man getrost als dysfunktional und auf eine beklemmende Art gefühllos bezeichnen. Ihm, dem die Küste und das Meer soviel bedeuten, fehlt jeder moralische Kompass.

Zum beklemmenden Ende wird zwar klar, es wird für keinen der Protagonisten eine Erlösung geben, aber es gibt auch keine Auflösung für den Zwiespalt, in den der Roman den Leser stürzt. Der atmosphärisch dichte Roman erzeugt beim Leser schleichend ein ungutes, beklemmdes Gefühl. Konsequent bis zum Schluss verweigert er sich dem Mainstreaum und lässt Interpretationen weiten Raum.

Sydney Bridge Upside Down erschien 1968. Der Roman lässt nur in Ansätzen die malerischen Qualitäten Neuseelands erahnen und zeigt eine düstere, dunkle Seite der Insel. Mit seiner Entzauberung der vielbeschworenen Siedlerromantik brachte David Ballantyne die Neuseeländer gegen sich auf, ein Erfolg wurde der Roman erst später. Mittlerweile zählt er zu den Klassikern der neuseeländischen Literatur und man darf vermuten, dass sich wohl ganze Generationen an Interpretationsversuchen abgearbeitet haben. Neuseeland war in diesem Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse. Zu diesem Anlass wurde der Roman erstmals in einer deutschen Übersetzung veröffentlicht.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift.

 


Genre: Romane
Illustrated by Hoffmann und Campe