Die Passion des stillen Rächers

»Ein typisches Advokatenbüro kam ins Bild. Schwarze Holzregale voller ungelesener Bücher und Gesetzessammlungen aus dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, aber sicher noch gültig, wo doch in unserem Land kein Gesetz der letzten hundert Jahre über Bord geworfen wird, alles wird verwertet, wie beim Schwein.«

Solche Schilderungen mit den dazugehörigen halbseidenen Protagonisten sind es vielleicht, die Andrea Camilleris Kriminalromane so erfolgreich machen. Es stimmt zwar, dass Camilleri es meisterhaft versteht, in seinen Büchern Eigenheiten und Charakterzüge seiner Heimat Sizilien, vor allem die seiner Bewohner, zu illustrieren. Aber es sind ja nicht literarische Soziogramme, die aus einem interessanten Sujet eine Lesefreude machen. Und erst recht kann man damit nicht die Beständigkeit, mit der jede Ankündigung eines neuen Buches des sizilianischen Autors die Vorfreude auf die Lektüre weckt, erklären. Camilleri versteht es vor allem, seine Welt in den vielen kleinen Szenen, in den Beschreibungen der unaufgeräumten Winkel, zu beschreiben — und sei es eben ein Regal vollgestellt mit juristischer Literatur, in einem Anwaltsbüro, ungelesen. Und was ist ein Jurist, der seine Gesetzeswerke nicht liest?

Camilleris neuestes Krimiabenteuer rund um den Commissario Montalbano beginnt mit einem im Krankenhaus delirierenden Montalbano, genesend von einer Schusswunde inklusive dem dazugehörenden Schock, schlaflosen Nächten und seiner Endlosverlobten, Livia, die aus Genua anreist und Montalbano in seinem Strandhaus pflegt. Klar, dass diese allzu ruhige Situation schnell durch einen kriminellen Akt unterbrochen wird. Die Unterbrechung ereilt den Rekonvaleszenten in Form einer Entführung. Eine junge Frau verschwindet, die Familie ist nicht nur außer sich, sondern am Boden zerstört. Die Entführer brauchen eine kleine Ewigkeit, bis sie sich mit ihrer Forderung melden. Die Situation wird um so absurder, umso klarer wird, dass eigentlich alle Beteiligten im Vorhinein wussten, dass die Eltern der Entführten keineswegs in der Lage sein würden, die geforderten Millionen zu zahlen.

Was sich in diesem Buch nach und nach entspinnt, ist ein Geflecht aus familiärem Abgrund, finanziellen Transaktionen diesseits und jenseits der Legalität begleitet von einem politischen Lokalkolorit, wie er auch nach hundertfacher Interpretation durch Hollywood noch Niemand hat den Sizilianern nachmachen können. Ein Spinnengeflecht á la siciliana. Klar ist, dass am Ende alles anders kommt, als der Leser bis kurz vor Schluss denkt. Und wie das geht, verraten wir hier natürlich nicht. Der Weg dorthin, so viel sei verraten, ist kurzweilig.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach

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