Panikherz

Wenn man den Cover-Text von „Panikherz“ liest, befürchtet man, dass da jemand mit Promi-Voyeurismus den schnellen Euro machen will. Aber ist nicht schon der Erwerb des Buches ein untrügliches Indiz dafür, dass man für diese Marketingstrategie empfänglich ist? Ok, erwischt.

Wer ist dieser Benjamin von Stuckrad Barre mit seiner Abstammung aus einer althessischen, adeligen Beamtenfamilie, dessen Name schon per se nach Aufmerksamkeit schreit? Wie hat er es geschafft, in dieses Glamour-Leben hineinzudiffundieren, das nun ein ganzes autobiografisches Buch zu füllen vermag?

Mit Thomas Gottschalk in Los Angeles zum Beach-Boys-Konzert (oder was von der Band noch übrig ist), mit Marius Müller-Westernhagen im Wartezimmer des HNO-Arztes (um die vom Kokain zerstörte Nasenscheidewand begutachten zu lassen), gemeinsam mit Helmut Dietl am Drehbuch von „Zettl“ arbeiten (einem Nachfolgewerk zur legendären TV-Serie „Monaco Franze“), mit Bret Easton Ellis im Garten des Chateau Marmont diskutieren, Smalltalk mit Courtney Love (über den neuen Film über ihren verstorbenen Ehemann und Nirvana-Frontmann Kurt Cobain). Um nur eine Minimalauswahl dessen aufzulisten, was Stuckrad Barre mal en passant, mal sehr detailliert in seine Lebensgeschichte einfließen lässt. Und natürlich immer wieder backstage bei diversen Bands inklusive der Unlimited-After-Show-Partys in allen angesagten Clubs von Hamburg und Berlin. Aber über all dem Promi-Exzess, ganz weit oben im Olymp, schwebt einer, den Stuckrad Barre seit frühester Jugend anbetet – Udo Lindenberg. Seine Liedtexte begleiten den Autor durch sein Leben und schließlich wird – irgendwann wundert einen gar nichts mehr – der theophane Udo sein Freund, sein Beschützer, sein Ratgeber, sein Lebensanker. Stuckrad wird Teil der Panik-Familie, die Udo wie Don Corleone dirigiert. In weiten Zügen wird das Werk, das man allenthalben der Popliteratur zuordnet, zu einer Hommage an diese Deutsch-Rock-Legende.

Ja, wie hat der gute Benny das hingekriegt? Bei der Lektüre wird man fast unweigerlich in die Rolle des Psychoanalytikers gedrängt. Offensichtlich ein hohes Maß an Extrovertiertheit, vielleicht ein Relikt aus dem Überlebenskampf gegen drei ältere Geschwister. Dann ab der Pubertät eine starke Affinität zur medialen Selbstdarstellung, möglicherweise Ausdruck eines tief in ihm wohnenden Minderwertigkeitskomplexes. Und weil es half, gerade Letzteren in Gesellschaft schnell zu überwinden, schon der frühe und später überbordende Kontakt zu Alkohol und in erster Linie (!) Kokain, somit der Droge, die ihm Flügel verlieh, mit aufgehobener Kontaktscheu, nie endendem Redefluss und mit ungebremster Ideen-Explosion. Im gleichen Kontext kann seine extreme Bulimie, seine Magersucht, gesehen werden, die Sucht mit dem Ziel, seinen Körper, sein Bild von sich, permanent zu korrigieren.

Hier hat das Buch seine stärksten Passagen. Wenn es nicht darum geht, Name-Dropping zu betreiben, mit den prominenten Freunden und Bekannten zu kokettieren, sondern wenn Stuckrad Barre ungefiltert seinen jahrelangen Alltag zwischen Erbrechen, Kokain-Exzessen und Entzugskliniken beschreibt. Diesen schonungslosen Exhibitionismus hat er 2004 in der Dokumentation „Rausch und Ruhm“ bereits einmal praktiziert, als er sich dabei filmen ließ, wie er in seiner völlig heruntergekommenen Wohnung versuchte, mit Depressionen, Sucht und den körperlichen Folgen fertigzuwerden. Aber da Stuckrad Barre nicht immer nur auf einem Ego-Trip unterwegs ist, sondern ein durchaus feinsinniger Beobachter und manchmal sogar hochkarätiger Literat sein kann, gibt es im Buch auch andere Highlights, wie zum Beispiel seine Beschreibung eines Klassentreffens („ein Biographie-Showdown“ in „Spießer-Trance“).

Auch wenn sich das auf Anhieb vielleicht nicht so anhören mag, machen all diese Mosaiksteine das Buch durchaus kurzweilig und unterhaltsam, manchmal sogar bewegend. Wenn man dazu bereit ist, mit dem Autor ein Stück weit durch die Hölle der mannigfaltigen Süchte zu gehen, Co-Abhängiger im Promi-Stalking zu werden und wenn man eine Überdosis Udo Lindenberg verkraftet.

Noch ein Tipp. Die beste Publikationsform von „Panikherz“ ist ohne Zweifel das Hörbuch. Benjamin von Stuckrad Barre liest sein Buch selbst vor. Er hat hörbar Übung, da er – so gab er in einem Interview zu – sich auch selbst alle Texte während des Schreibens laut vorliest. Er macht das sehr elegant, charmant und pointiert. Was er in der Print-Version einzelne Worte zur Betonung in Versalien schreiben musste, kann er hier selbst akzentuieren. Seine Imitationen der Stimmen von Udo Lindenberg, Helmut Dietl und Harald Schmidt sind eine Ohrenweide und würden ihm mit Sicherheit ein abendfüllendes Programm als Stand-up-Comedian vor ausverkauftem Haus garantieren. Mit wieder ganz viel Aufmerksamkeit für seine Person.


Genre: Autobiografie, Belletristik, Popliteratur, Roman
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

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