Das Bildnis des Dorian Gray

wilde-1Von Bonmot zu Bonmot

Nur 46 Jahre alt wurde Oscar Wilde, in seiner kurzen Schaffenszeit hat der irische Schriftsteller neben vielem Anderen einen einzigen Roman geschrieben, der ihn aber weltberühmt gemacht hat, «Das Bildnis des Dorian Gray», nach einer kritisch aufgenommenen Erstversion in einem Magazin 1891 in überarbeiteter Form als Roman mit Vorwort erschienen. Tragisch bleibt dabei, dass nicht zuletzt dieses Vorwort in einem Prozess wegen Homosexualität zu seiner Verurteilung beitrug. Als er das Zuchthaus nach zwei Jahren verließ, war er gesundheitlich schwer gezeichnet, er starb drei Jahre später in Paris, wohin er sich wegen seiner gesellschaftlichen Ächtung geflüchtet hatte. Sein Roman wird heute in den Kanon von Klassikern der Weltliteratur eingeordnet, man muss ihn einfach gelesen haben, nicht nur weil er erstklassig ist, auch der spektakulären Thematik wegen.

Dorian Gray, Titelfigur des Romans, wird als außergewöhnlich gut aussehender junger Mann von einem ihn grenzenlos bewundernden Maler portraitiert; selbstverliebt wünscht er sich angesichts des Gemäldes, immer so schön zu bleiben wie auf dem Bild. Als der unermesslich reiche Lebemann eine blutjunge Schauspielerin kennenlernt, verlobt er sich spontan mit ihr, ebenso angetan von ihrer makellosen Schönheit wie von ihrer begeisternden Bühnenkunst. Die Liebe des Mädchens zu ihm, die nun erstmals echt ist, nicht gespielt, wirkt sich verheerend aus, ihr Bühnenauftritt wird zum Desaster, so dilettantisch spielt sie plötzlich. Als Dorian enttäuscht die Verlobung löst, bringt sie sich um. Entsetzt merkt er nun, dass sich die Züge auf dem Gesicht seines Bildnisses verhärtet haben, er versteckt das Bild deshalb, niemand darf es mehr sehen. Sir Henry, sein mephistophelischer Freund, gibt ihm ein Buch zu lesen, das den Hedonismus verherrlicht und Moral negiert, Dorian ist wie besessen davon. Der zweiteilig aufgebaute Roman erzählt nun im elften von insgesamt zwanzig Kapiteln im Zeitraffer, wie er sich im Verlauf fast zweier Jahrzehnte allerlei dekadenten Vergnügungen hingegeben hat, das Sammeln kostbarster Gegenstände, eine ausufernde Lust am Genuss, er treibt sich in Opiumhöhlen herum und in Bordellen, ein äußerst lasterhaftes Leben also, welches der Autor nur dezent andeutet, nicht näher ausführt. Dorians Aussehen verändert sich nicht in diesen Jahren, nur sein Abbild auf dem Portrait altert und zeigt unerbittlich alle Spuren seines Lebenswandels. Als der Maler des Bildes ihm ernsthaft ins Gewissen redet, ersticht er ihn im Affekt und sorgt dafür, dass die Leiche spurlos verschwindet. Am Ende des Romans entsagt er der Liebe zu einem Mädchen vom Lande, die er nur ins Verderben stürzen würde, zum ersten Mal tut er also wieder Gutes nach langer Zeit, Sir Henry verspottet ihn deswegen. Dorian will sich ändern, will die schlechte Seele töten, die sein Bildnis ja verkörpert, er sticht mit dem Messer auf die Leinwand ein. Ein Schrei ertönt, sein Diener findet ihn erstochen vor dem unversehrten Gemälde, auf dem er jung und schön aussieht wie ehedem.

Narzissmus, Hedonismus, Ästhetizismus, Dekadenz, Moral, aber natürlich auch Motive aus dem Faust sind Thema in diesem Roman des Fin de Siècle, der konventionell erzählt von seinen köstlichen Dialogen lebt, in denen es von Aperçus nur so wimmelt, wie man sie aus den Bühnenstücken des Autors kennt, – nachdenklich machend, oft aber muss man auch schmunzeln. Das Lesen gerät zu einem Parforceritt von Bonmot zu Bonmot durch eine zynische Gedankenwelt, die der Existenz der Seele gewidmet ist als selbstständiger Instanz.

Es gibt viele Adaptionen des Stoffes, er wurde mehrfach bis in die jüngste Zeit hinein verfilmt. Das Altern nicht akzeptieren zu können als psychisches Krankheitsbild wird heute als Dorian-Gray-Syndrom bezeichnet. Letztendlich steckt nichts Anderes als die Angst vor dem Sterben hinter dieser Phobie, die als Jugendwahn ja fröhliche Urständ feiert. Insoweit ist dieser großartige Roman also zeitlos aktuell.

Fazit: erstklassig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Diogenes Zürich

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