“Weil du eine Frau bist. Deswegen.”
Florenz, Anfang des 16. Jahrhunderts: Die junge Adlige Arte will Lehrling in einer Kunsthandwerkstatt werden. Das bunte Florenz, in dem Kunst und Kultur blühen, scheint genau der richtige Ort dafür zu sein. Mit einer Einschränkung: Nur Männer dürfen ein selbstständiges Leben führen. So stößt Arte nicht nur auf das Unverständnis ihrer Mutter, sondern auch auf das der Lehrmeister, die nicht gewillt sind, eine Frau als Lehrling anzunehmen. Deshalb schneidet sich Arte ihre langen Haare ab und will auch ihre Brüste amputieren. Lehrmeister Leo kann sie von dieser drastischen Maßnahme gerade noch abhalten und nimmt sie bei sich auf. Arte beginnt bei ihm ein einfaches, arbeits- und entbehrungsreiches Leben, ist aber fest entschlossen, Meisterin ihres Faches zu werden.
“Weil du eine Frau bist. Deswegen.”
Der 1. Band der Reihe nimmt sich eines Themas an, das nach wie vor aktuell ist: Emanzipation. Und obwohl es hier v.a. um die Emanzipation der Frau geht, ist aber immer auch die Emanziaption des Mannes und der gesamten Gesellschaft mitgedacht, denn Emanzipation bedeutet in erster Linie sich frei machen von überkommenen, veralteten Mustern, Rollenklischees (die nicht nur die Frau, sondern auch den Mann einschränken!), diskiminierenden “Traditionen”. Sie bedeutet, über den Tellerrand hinauszuschauen und neue Ideen zuzulassen, über 500 Ecken zu denken und gerecht(er)e Gedanken zuzulassen und umzusetzen. Das zeigt sowohl die Geschichte als auch die zwar frei erfundene, aber schön dargestellte Story von Arte ( = Kunst; der Name ist Programm), die als Frau besondere Anstrengungen unternehmen muss, um sich in einem (Männer-)Beruf zu etablieren.
“Weil du eine Frau bist. Deswegen.”
Dieser Satz gilt nicht nur in der Geschichte oder in der Literatur, die das Thema Emanzipation aufgreift, sondern auch (leider immer noch) in der westlichen Welt. Dieser Satz wird einer Frau hierzulande zwar nicht mehr so offensichtlich ins Gesicht geschleudert, aber er gilt subtil: Die Frau verdient unter fadenscheinigen Ausreden der Wirtschaft immer noch weniger als der Mann bei gleicher Arbeit, ist deshalb gezwungen, zuhause zu bleiben, wenn sich Kinder ankündigen, kann danach oft nur noch teilzeit arbeiten gehen und rutscht somit unweigerlich in die (Alters-)Armut ab. Besonders dann, wenn sie alleinerziehend ist, der Mann viel zu oft nicht (genügend) Unterhalt bezahlt, sie aber steuerlich als Single behandelt wird. Oder sie letztlich ganz zuhause bleibt, um sich um die Familie zu kümmern. Wer mit Kindern regelmäßig zu tun hat, privat oder beruflich, weiß, dass Erziehungsarbeit tatsächlich ARBEIT ist – die im Fall der Mutter (und Großmutter; man denke an den Wegfall der Großeltern in den jetzigen Corona-Zeiten…) überhaupt nicht vergütet wird und im Fall z.B. der Erzieherin unterbezahlt ist, wie die, ebenfalls vorwiegend von Frauen ausgeübten, Pflegeberufe. Sogar der Beruf des Lehrers, der eigentlich in Deutschland gut bezahlt wird, muss in der Bezahlung langsam aber stetig zurückstecken, da immer mehr Frauen diesen Beruf ausüben.
Zurück zur Hausfrau und Mutter, die ein eher schlechtes Prestige genießt, weil sie nicht “arbeitet”. Auch wenn Männer sich jetzt mehr um die Kindererziehung kümmern, schultert nach wie vor die Hauptlast der Erziehung die Frau. Und die der Hausarbeit. Selbst dann, wenn es anders abgesprochen war. Das gilt auch für die Frauen, die ins Berufsleben zurückkehren. Auch dann, wenn besagte Frauen Vollzeit arbeiten. Wer geneigt ist, dauergestressten Frauen zuzuhören, der hört öfter Sätze wie: “Weil ich früher zuhause bin, bleibt alles an mir kleben!” Oder: “Ich habe ihm schon so oft gesagt, er soll das oder das im Haushalt tun, aber er macht nix!” Oder: “Wenn ICH mal 3 Stunden ohne Kind sein will, ruft er nach spätestens 2 Stunden an und fragt, wann ich wieder nach Hause komme!” Oder: “Als er mir im Wochenbett helfen sollte, hat er v.a. am PC gesessen, während ich es noch nicht mal unter die Dusche geschafft habe!” Brisantes Thema auch das öffentliche Stillen. Etcetc., man könnte da noch viele weitere Beispiele aufführen, die alle zu Lasten der Frau gehen.
“Weil du eine Frau bist. Deswegen.”
Deswegen will Arte keine Frau mehr sein. Sie kürzt sich die Haare – man denke an die Frauen der 20er des letzten Jahrhunderts, die sich buchstäblich “die alten Zöpfe” abschnitten – und kleidet sich z.T. männlich, um sich Schwierigkeiten zu ersparen. Auch hier denke man an das Prestige der Hose, dass sich die Frau hart erkämpft hat, während es der Rock als männliches Kleidungsstück trotz z.B. (nicht nur schottischer) Tradition und der Männerrockbewegung, die es immerhin schon seit den 1990ern gibt, immer noch schwer hat.
Als “Beruf” für die Frau gibt es damals allenfalls den der Kurtisane. Eine solche kommt auch im Manga vor, aber sie durchbricht das automatisch anspringende Kopfkino insofern, als dass sie eine reiche, gebildete Frau mit angenehmen Wesen und äußerlich vom Adel nicht zu unterscheiden ist. Veronica setzt noch eins drauf und gibt sich als Kunstmäzenin. Arte honoriert das: “Ich glaube schon zu wissen, was das für ein Beruf ist. Aber wenn ich diese Büchermassen sehe, muss ich einfach Respekt haben. Ich bewundere Sie nicht wegen Ihres Berufes. Ich bewundere Ihre Anstrengungen und Mühen.” Auch zum Beruf der Prostituierten ließe sich noch einiges im Sinne der Emanzipation sagen, was hier aber ein zu weites Feld wäre.
Arte hat eine Vorbildfunktion: Egal wie schwer es wird, sie kämpft für ihr Ziel. Und als Frau muss sie für ihr Ziel doppelt und dreifach kämpfen, sogar buchstäblich schuften. Der Manga zeigt auch, dass es eine zähe, schmerzhafte und frustierende Sache ist, Diskiminierung auszuhalten und v.a. loszuwerden. Arte hat(te) zwar einen sie unterstützenden Vater (!), aber ihre Mutter (!) ist völlig verhaftet in Rollenklischees und traut Frauen nichts zu. Auch die komplett männlich bestimmte Kunstwelt ist gegen sie. Die Meister schauen sich noch nicht einmal ihre Bilder an. Warum? “Ist doch klar. Muss ich das noch sagen? Weil du eine Frau bist. Deswegen.” Dieser Satz zeigt, wie tief Diskriminierung (egal welche) gehen kann und geht. So tief, dass noch nicht einmal mehr eine Rechtfertigung für angebracht gehalten und sie als selbstverständlich hingenommen wird.
Insgesamt also ein guter, wertvoller Manga, der ein schwieriges, immer noch aktuelles Thema aufgreift. Die wunderschönen, z.T. sehr detaillierten Zeichnungen unterstützen die Geschichte gekonnt. Einzig die japanischen Anwandlungen Artes und der anderen Figuren wollen nicht so recht in das Florenz des 16. Jahrhunderts passen.