Ein Spiel und ein Zeitvertreib

Ein Märchen für Erwachsene

Er selbst hat den 1967 erschienenen Roman «Ein Spiel und ein Zeitvertreib» als das erste gute Buch bezeichnet, das er geschrieben habe, und die Anerkennung in Literaturkreisen gab dem amerikanischen Schriftsteller James Salter recht. Als «Writer’s Writer» wird er seither nicht nur von seinen schreibenden Kollegen verehrt, sondern auch von literarischen Kennern, er hat sich damit jedenfalls in den Kanon der US-amerikanischen Literatur eingeschrieben, ohne je Bestseller-Status zu erreichen. In seiner Zeit als Kampfpilot hat Salter, mit dem Tod als ständigem Begleiter, im Koreakrieg mehr als 100 Einsätze geflogen, was sein späteres Werk erkennbar mitgeprägt hat. Und so hat er denn auch diesem Roman als Motto ein entsprechendes Koran-Zitat vorangestellt, dem der Titel entnommen ist: «Bedenke aber, dass das Leben in dieser Welt nichts ist als ein Spiel und ein Zeitvertreib». Der Autor hat seinen Roman als eine «Hymne auf die Kleinstädte und Dörfer, auf die Pariser Architektur, die französischen Nebenstraßen und, selbstverständlich, auf die heftigste aller irdischen Begierden» bezeichnet. Mit Letzterem spielt er auf den explizit erotischen Inhalt des Romans an, der im prüden Amerika natürlich auf empörte Ablehnung gestoßen ist.

Gute Freunde haben einen jungen amerikanischen Fotografen 1962 in ihr Haus in dem kleinen französischen Städtchen Autun eingeladen. Zusammen mit dem 24jährigen Dean, seinem hochbegabten, charismatischen Freund aus wohlhabendem Elternhaus, den er grenzenlos bewundert und der wie er in den Tag hinein lebt, unternimmt er eine Entdeckungsreise durch Frankreich, bei der das Delage-Kabriolett von Dean, ein äußerst seltener, edler Oldtimer, überall, wo sie auftauchen, für Aufsehen sorgt. In Dijon lernen die beiden Amerikaner in einem Nachtclub die attraktive 18jährige Anne-Marie kennen, eine einfache Verkäuferin, die schnell dem Charme von Dean erliegt und seine Geliebte wird. Als namenlos bleibender Ich-Erzähler, der bei Frauen eher ungeschickt ist und somit immer wieder scheitert, projiziert er nun voyeuristisch aufgeheizt seine eigenen Leidenschaften und seine Eifersucht in Deans Affäre hinein, ergeht sich in wüsten erotischen Phantasien.

Ein Schriftsteller habe, wie der Ich-Erzähler uns wissen lässt, neben der Realität nicht nur die Fiktion als literarische Bühne, sondern auch die Träume als deren höchste Form, die, dem Geist völlig entzogen, eine dritte narrative Ebene darstelle. Sie erst ermögliche es ihm, quasi durch die Wände zu sehen und zu beschreiben, was er nicht wissen und sich auch nicht ausdenken könne. Und so schildert er fotografisch exakt die wilden Liebesspiele des ungleichen Paares in allen Details, berichtet dutzende Male vom Koitus der Beiden, von variantenreichen Sexualpraktiken, so als wenn er dabei gewesen wäre. Und zwar in ständigem Wechsel mit Autofahrten, Hotelübernachtungen, Restaurantbesuchen, Schaufensterbummeln und Schilderungen der Städte und Landschaften Frankreichs, was durch die ständige Wiederholung des Immergleichen irgendwann natürlich langweilig wird.

James Salter verarbeitet in diesem Roman seine Eindrücke während seiner Militärzeit in Frankreich, wobei ich nach den ersten paar Seiten dieser ebenso scharfsichtigen wie liebevollen Beschreibung des Landes ungläubig auf das Cover geschaut habe: «Das kann doch kein Amerikaner geschrieben haben», dachte ich unwillkürlich, «jemand aus einem ganz anderen Kulturkreis!» Er schildert das Land und seine Bewohner sehr anschaulich in kurzen, metaphernreichen Sätzen, angenehm lesbar in einer glasklaren Sprache. «Nichts, was hier steht, ist wahr» heißt es an einer Stelle, und so ist diese Geschichte von einer fast schon devoten Heldenbewunderung und quälendem Sexualneid als «Spiel» ein Märchen für Erwachsene, nicht jugendfrei natürlich, als «Zeitvertreib» aber ohne Zweifel einer von der literarisch erfreulicheren Sorte.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Piper München, Zürich

Alles, was ist

Allenfalls Tütensuppe

Mit «Alles, was ist» hat der damals 88jährige US-amerikanische Schriftsteller James Salter nach 34jähriger Romanabstinenz 2013 seinen letzten Roman veröffentlicht. Der Autor gehört zu den eher unbekannten literarischen Größen seines Landes, bewundert nur in Kreisen namhafter amerikanischer Kollegen. In Deutschland wurde er recht spät mit seinem erst 1998 erschienen Roman «Lichtjahre» von 1975 bekannt, blieb aber auch bei uns eher ein Geheimtipp, trotz höchstem Lob des meinungsbildenden Feuilletons. Ein verkanntes Genie also, auch mit seinem hier vorliegenden Alterswerk?

Der zweiteilig aufgebaute Roman startet im kurzen ersten Kapitel furios, auf nur einem Dutzend Seiten unter dem Titel «Tagesanbruch» wird vom Inferno des kriegsentscheidenden Angriffs auf Okinawa erzählt. Die folgenden dreißig Kapitel beginnen mit der Rückkehr des Lieutenant Philip Bowman aus dem Pazifikkrieg nach New York, wo er zunächst anfängt, Biologie zu studieren, um dann aber nach beruflichen Umwegen als Lektor bei einem renommierten Verlag anzuheuern. Er führt ein abwechslungsreiches Leben, lernt viele interessante Leute kennen und heiratet die schöne Vivian, seine Traumfrau. Aber die eheliche Idylle trügt, in der quirligen Weltstadt mit ihrem grenzenlos scheinenden Glückspotential lauern viele Gefahren, werden manche Blütenträume brutal zerstört.

James Salter erzählt, mit dem wechselvollen Schicksal seines Protagonisten als Handlungsfaden, vom heftig entbrannten Kampf der Geschlechter in der Nachkriegszeit bis etwa in die achtziger Jahre hinein, genauere chronologische Markierungen im Text fehlen. Die Ehe als Bindung auf Lebenszeit hat ausgedient, mehrfach verheiratet gewesen zu sein ist die Regel, Trennungen und Seitensprünge sind an der Tagesordnung, viele Beziehungen werden von vornherein nur auf Zeit eingegangen. Mit einem völlig ausufernden Figurenensemble um den Romanhelden herum werden sämtliche Spielarten dieses Geschlechterkampfes und der sie begleitenden sexuellen Abenteuer ebenso thematisiert wie die beruflichen, finanziellen und familiären Umstände der unzähligen Randfiguren. Dabei erfährt der Leser zwar nicht «Alles, was ist», aber doch vieles, nämlich was im bürgerlichen Leben der Amerikaner ist – zur Zeit der Erzählung. Wobei darüber nur fragmentarisch berichtet wird und auch nicht in chronologischer Folge, sondern viele Haken schlagend, narrativ fehlt es also an Stringenz, was das Lesen ziemlich mühsam macht. Erhöhte Aufmerksamkeit ist also unabdingbar für das Verständnis. Auffallend ist die distanzierte, fast schon lakonische Erzählweise des Autors, geradezu lässig und völlig emotionslos wird da, Schicksal für Schicksal aufgefächert, eine einseitig lustorientierte Gesellschaft vorgeführt, deren Perspektiv- und Illusionslosigkeit geradezu beklemmend wirkt.

Der Protagonist ist ein «Mann ohne Eigenschaften», die Unbehaustheit seines Lebens ist unmittelbare Folge des erlittenen Kriegstraumas. Die reichlich vorhandenen Sexszenen werden sprachlich wohl unfreiwillig komisch beschrieben, wodurch völlig verquere, lachhafte Bilder erzeugt werden. Was letztendlich bei einem Roman, in dem eindeutig ja speziell das Triebleben seines Protagonisten im Mittelpunkt steht, ein ziemliches Manko bedeutet. Aber Autoren aus dem prüden Amerika tun sich in dieser Hinsicht ja alle schwer, Salter-spezifisch gibt es kein Davor und Danach, alles ist hier aufs Animalische reduziert. Die dauernden Wiederholungen der wegen Entfremdung, Untreue, Verrat, Bankrott oder Trunksucht gescheiterten Beziehungen sind sehr ermüdend für den Leser. James Salter, der biografisch in manchem seiner Romanfigur ähnelt, hat mit diesem Roman einen Abgesang auf den alternden Mann geliefert, dessen Leben nur ereignislos dahin geplätschert ist, ein Menetekel der Vergeblichkeit. Was das Genie anbelangt, literarisch ist dieser Roman mit seinen vielen Klischees, um einen Vergleich aus der Kulinarik heran zu ziehen, allenfalls Tütensuppe.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Berlin Verlag Berlin