God‘s Kitchen

Die 19-jährige Studienanfängerin Celine ist hypersensibel und verfügt über eine Gabe, die sie zunehmend als Last empfindet: Ab und an erscheinen ihr Visionen, die sich als tatsächliche Ereignisse in naher Zukunft herausstellen. Ihre Eltern, die in einem Zugunglück umkamen, das das Mädchen voraussah, schenkten den verzweifelten Warnungen ihrer Tochter keinen Glauben und zahlten mit ihrem Leben. Ein Studienfreund, den sie vor einem Unfall mit dem Fahrrad warnt, kommt zwar mit dem Schrecken davon, aber er meidet daraufhin Celine, weil sie ihm nicht ganz geheuer ist.

So ist die blutjunge Psychologiestudentin ganz auf sich gestellt und ohne Freunde oder Angehörige, als sie von einer Bekannten eingeladen wird, ein Praktikum in einem Institut für neuronale Informatik zu absolvieren. An diesem Institut wird unter größter Geheimhaltung an einem Roboter gearbeitet, der künftig Menschen beraten und ihre Eignung für bestimmte Aufgaben herausfinden soll. Dazu wurde der Rechner mit allen möglichen Informationen gefüttert und mit einem Äußeren ausgestattet, das an ein Kind erinnert. Hunderte mimischer Äusserungen bis hin zum Weinen dank künstlicher Tränenkanäle sind der Maschine möglich, den ihre Schöpfer Chi taufen.

Celine fasziniert ihre ersten Begegnungen mit Chi. Gleichzeitig ist sie irritiert, wie gut der Rechner über sie, ihr Leben und offenbar auch ihre heimliche Begabung Bescheid weiß. Tatsächlich wurde Chi von Pandora, der Frau, die Celine anheuerte, vorab mit Informationen über die neue Praktikantin gefüttert.

Doch bald stellt sich in den Zwiegesprächen zwischen Celine und Chi heraus, dass die selbst lernende Intelligenz bereits derart entwickelt ist, dass sie sich ins Internet einloggen und sogar auf Überwachungssysteme inner- und außerhalb des Instituts zugreifen kann. Und es wird auch klar, dass die Praktikantin nicht zufällig für den Job ausgewählt wurde. Sie soll nämlich dem Roboter beibringen, in die Zukunft zu schauen.

Eine Portiersfrau, die Celine warnt, den Job anzutreten, mysteriöse Todesfälle und unheimliche Geschehnisse im Institut veranlassen das Mädchen, intuitiv auf die Suche nach möglichen Geheimnissen rund um Chi zu gehen. Schnell entwickelt sich eine rasante Folge von Geschehnissen, die deutlich machen, dass von Chi tödliche Gefahren drohen, falls sie nicht abgeschaltet wird. Doch das scheint so gut wie ausgeschlossen, da der Roboter alle möglichen Schachzüge vorausberechnet und pariert.

Margit Ruile wurde 1987 in Augsburg geboren  © Elias Hassos

Margit Ruile fasst mit ihrem packend geschriebenen Jugendbuch das brandaktuelle Thema der künstlichen Intelligenz an. Überall wird eine Debatte über die Datensammelwut multinationaler Plattformen wie Facebook geführt und vor allem die Frage gestellt, was mit den riesigen Datenmengen alles angestellt werden kann. Inzwischen wissen wir, dass durch diese Daten Menschen in ihrem Kauf- und Konsumverhalten beeinflusst werden.

Doch es geht bereits viel weiter: Aus den Verhaltensmustern Einzelner werden Infomationen extrahiert, die in das mediale Konzept von Politikern und Parteien einfließen und beispielsweise die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten entschieden haben sollen.

Lässt sich also anhand von Verhaltens- und Denkmustern das künftige Handeln von Menschen berechnen, dann ist die Basis für einen Roboter wie den fiktionalen Chi gegeben. Denn das Sammeln von Millionen neuronaler Muster und Verhaltensweisen entwickelt einen entsprechend gefütterten Rechner zu einem Werkzeug, der seinem Nutzer gottgleiche Fähigkeiten schenkt.

Insofern ist der Titel „God´s Kitchen“ treffend gewählt. Es geht tatsächlich um die Frage, wer künftig das Monopol auf den Umgang mit Big Data hat und damit die Geschicke der Menschheit steuern kann. Regierungen, für die bereits das Internet „Neuland“ ist, werden es jedenfalls nicht sein. Deren Vertreter verstehen nicht einmal die einfachsten Zusammenhänge und zappeln recht hilflos im neuronalen Netz der Datenspinnen, der Spyder und Bots.

Margit Ruile hat mit ihrem Roman ein brandaktuelles Thema aufgegriffen, das in der Jugendliteratur jenseits der Harry-Potter-Zauberwelt seinesgleichen sucht. Sie verwendet dazu einen eigenen Stilmix aus direkter Ansprache, inneren Monologen, klaren Bildern und rasanter Erzählweise. Dies macht die Lektüre ebenso spannend wie anspruchsvoll.

WERBUNG[amazon_link asins=’3785584474′ template=’ProductCarousel’ store=’literaturzeit-21′ marketplace=’DE’ link_id=’38ba254f-7029-44b2-9999-0253ca5b0ae5′]


Genre: Jugendbuch
Illustrated by Loewe Bindlach

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert