Wenn nach dem Siegeszug des Sizilianers Andrea Camilleri (nicht nur) auf dem deutschen Büchermarkt sein deutscher Verlag einen weiteren sizilianischen Autor vorstellt, der ebenfalls mit Kriminalromanen reüssieren will, dann ist jede Vorsicht nicht nur verständlich, sondern angezeigt. Nicht, dass der Versuch, auf der langen Welle des Erfolges ihres Autors Camilleri auch weiteren Autoren aus Sizilien eine Chance und dem Verlagshaus möglichst profitable Umsätze zu verschaffen verwerflich wäre – wenn denn die literarische Qualität mit der Intensität des Marketings mithält.
In der edition luebbe des Verlags Bastei-Lübbe aus Bergisch Gladbach erscheinen nicht nur die Romane des sizilianischen Ausnahmeautors Andrea Camilleri. Mittlerweile wurden dort auch zwei Romane von Roberto Mistretta veröffentlicht. Mistretta wird dem deutschen Publikum als Journalist und Autor von Kinderbüchern vorgestellt, dem es aber in den vergangenen Jahren in den Fingern juckte sich literarisch mit dem Verbrechen auseinanderzusetzen. Ergebnis ist eine auf Serie angelegte Romanfigur, ein Marescialo der Carabinieri namens Bonanno. Dieser lebt mit seiner Mutter und seiner 12jährigen Tochter, aber ohne seine geschiedene Frau, zusammen, raucht sich offenbar von Roman zu Roman die Lunge kaputt und – wen wundert´s – ist natürlich verfressen und jähzornig.
In dem vor wenigen Wochen erschienenen zweiten Buch schlägt sich Bonanno mit verschiedenen kriminellen Auswüchsen menschlicher Sexualität herum. Ein Gauner betreibt mit „Genehmigung“ des lokalen Mafia-Fürsten einen schwunghaften privaten Bordellbetrieb und wird direkt am Anfang der Geschichte, zunächst nicht nachvollziehbar, auf brutalste Weise zusammengeschlagen und dabei fast um sein Leben gebracht. Parallel zu dieser Geschichte um Prostitution, Korruption und Erpressung wird nach und nach eine zweite Geschichte erzählt, die weitaus düsterer, um ein Vielfaches schrecklicher und brutaler ist. Ein Ring von Pädophilen baut eine Bild-, und Filmdatei von Kinderpornographie auf. Das Material stellen sie durch eigenen Kindesmissbrauch selbst her. Beide Geschichten verstricken sich mit dem Fortgang der Erzählung immer mehr miteinander und am Ende gelingt dem braven Carabinieri sowohl die Einbuchtung des Mafiafürsten als auch die Zerschlagung des Kinderpornographieringes. So weit, so gut. Die Geschichten, die Mistretta erzählt, berühren beim Lesen ob ihrer Realitätstauglichkeit. Natürlich wird die Erzählung mit ihrem Fortgang immer spannender und kumuliert zu einem „Showdown“. Aber wie Mistretta die verschiedenen Ebenen miteinander verwebt, bzw. auf welche Weise er uns zum einen die Figuren vorgestellt werden (ein übelgelaunter, wenn auch engagierter und eigentlich herzensguter Carabinieri-Hauptmann; die schon von Camilleri´s Kommissar Montalbano bekannte Schar von mal dümmlich agierenden, mal leidend mitarbeitenden Mitstreitern) zum anderen die Geschichte des Kindesmissbrauchs thematisiert wird, erzeugt bei aller Spannung, ein zuweilen beklemmendes Gefühl. Das Thema wird nicht für einen „Reisser“ instrumentalisiert. Das ist gut so.
Mistretta und Camilleri stammen beide aus Sizilien. Camilleri residiert in einer anderen literarischen Liga als Mistretta. Das ist aber kein Makel, sondern eine Frage der Entwicklung. Camilleri ist im Spätherbst seines Lebens angekommen, hat eine reiche literarische und Lebenserfahrung. Mistretta ist gerade mal halb so alt. Also, nur zu! Wir sind gespannt auf weitere Geschichten.