Was bewirkt dieser ungewöhnlich lange Titel? Man hat keine Ahnung, um was es geht und wird zum einen automatisch neugierig, wovor hier denn so ambivalent gewarnt werden soll. Also Verlags-Marketing-Strategie?
Zum zweiten drängt sich die Assoziation mit den vielen Flachpass-Ratgebern auf, die tagtäglich den Buchmarkt überschwemmen. „Mit 50 Euro um die Welt: Wie ich mit wenig in der Tasche loszog und als reicher Mensch zurückkam“ ist nur ein Beispiel von vielen, bei dem der Rezensent schon für die Erwähnung haushohe mentale Barrikaden überwinden muss. Aber die Parallele drängt sich zumindest auf den ersten Blick auf, da es auch im Buch von David Foster Wallace um das Reisen geht, allerdings um eine völlig andere Sparte – die Kreuzfahrten.
Spätestens seit der Fernsehserie „Das Traumschiff“ boomt diese Urlaubsform auf See und Fluss. Vor Corona waren es alleine in Europa 6,6 Millionen Menschen, die jährlich an Bord gingen, um dort die – ihrer Meinung nach – schönste Zeit des Jahres zu verbringen. Und genau das hat der Autor im Auftrag eines US-amerikanischen Magazins sieben Tage lang auch getan, obwohl er eine überzeugte Landratte mit Neigung zur Seekrankheit ist. Eine Woche lang hat er alles mitgemacht, was das Bordleben für den erholungsbedürftigen Urlauber bereithält – von der Single-Party, zu der nur Paare kommen, über das Tischtennis-Turnier mit zwei Teilnehmern bis hin zum Tontaubenschießen.
Jede Menge Stoff für eine leicht zynisch-arrogante Glosse, eigentlich ein Elfmeter ohne Torwart für fast jeden Journalisten.
Aber wir haben es mit David Foster Wallace zu tun. Sein ganzes Leben lang war der Autor im Zwiestreit mit seiner extensiven Wahrnehmung und der ihn umgebenden Gesellschaft. So wird das Schiff zum Tummelplatz ungebremster Ironie, bereits beginnend damit, das er dessen eigentlichen Namen „Zenit“ im gesamten Buch konsequent in „Nadir“ verballhornt. Obsessiv bis ins Detail (und mit 136 Fußnoten, einem beliebten Stilmittel in vielen seiner Bücher) beschreibt Wallace die für ihn surreale Atmosphäre eines Kreuzschiffes und seine eigenen Reaktionen darauf.
Aus seiner individuellen Vogelperspektive beobachtet er seine amerikanischen Mitpassagiere, die sich der industriellen Verwöhnmaschinerie einer Cruise-Line hingeben und gleichzeitig “mit unterernährten Kindern um den Preis von Halskettchen” feilschen.
Nicht unerwähnt lässt Wallace, dass dieses gedankenlose Sich-Fallenlassen der anderen genau sein Problem ist. Mit seiner Ausprägung an Agoraphopie kann man zum Kreuzfahrer nicht ungeeigneter sein als der Autor. Kein Wunder distanziert er sich von Landgängen, die seiner Einschätzung nach nur für bovine Herdentiere geeignet sind. Stattdessen vergräbt er sich in seiner Kabine, geniesst den Roomservice und philosophiert über die dicken Glasscheiben der Bullaugen und das Hochdruck-Abwassersystem der Klo-Spülung, die anscheinend schon Passagiere hilflos strampelnd, an den „Pobacken angenapft“ in missliche Situationen gebracht hat.
Aber nein, das ist keine oberflächliche Slapstick-Literatur. Das Buch bietet absolut geistreiche Unterhaltung, intelligenten Genuss und viele Stellen zum Schmunzeln. Aber auch viele Impulse zur Selbstreflexion allgemein. Und natürlich zum Thema Kreuzfahrten im Speziellen, wenn man damit ein Thema hat.
Das Buch ist auch ein guter Einstieg in weitere Wallace-Werke. Eine gute Gelegenheit, diesen vielseitigen Autoren kennenzulernen, der neben Jonathan Franzen zu den führenden amerikanischen Schriftstellern der jüngeren Generation gezählt wird, bevor man sich zum Beispiel seinem Mammut-Werk „Unendlicher Spaß“ (ebenfalls ein unglücklicher Titel) zuwendet. Ein Autor, der leider nur 46 Jahre alt wurde, bevor er durch Suizid aus dem Leben schied.
Illustrated by Goldmann München
Eines meiner Lieblingsbücher von Wallace!