Ich weiß gar nicht genau, was mich trieb, dieses Buch zu kaufen. Es war in einer kleinen Auswahlempfehlung des Piper Verlags als Booklet eines anderen Titels beigelegt: Eckhart Nickel »Spitzweg«.
Ich erlaube mir vorab zu gestehen, dass ich von Eckhart Nickel noch nie gehört hatte. Jedoch habe ich eine Sammlung von Spitzweg-Bildern, allerdings vorwiegend welche, die einem Lesefreund und Bücherwurm huldigen. Mich interessiert das Bild ansonsten in seinen Details und Wirkungen eher wenig. Ich bin eine Leserin, keine Bildbetrachterin. Und genau das bekam ich im ersten Satz zu lesen: »Ich habe mir nie viel aus Kunst gemacht. Die meisten Bilder, die ich zu Gesicht bekam, fand ich entweder unansehnlich oder nichtssagend.«
Tja, dachte ich, der tickt wie du, schauen wir doch mal, wo das hinführt. Ich ließ mich gern von dem Ich-Erzähler mitnehmen und war rasch gebannt von dessen Bekanntschaft mit Carl. Es störte mich gar nicht, dass die Handlung nicht so recht in Schwung zu kommen schien. Drei kunstinteressierte Gymnasiasten hecken einen Plan aus, um einer in Ungnade gefallenen Kunstlehrerin eins auszuwischen.
Beide jungen Männer scheinen verliebt in die künstlerisch begabte Kirsten, die sie verschwinden lassen wollen. Immer wieder geht es um Zeigen und Verbergen. Alles hat den Hauch von inszeniert, von künstlich, sei es die Figur der Kirsten, die ihrem Elternhaus entfliehen möchte, da ihre Mutter eine Art von Allergie hat gegen alles, was mit dem modernen Alltag zu tun hat, sei es, dass wir dem Ich-Erzähler in keine feste Zeit folgen können, da es keine direkten Hinweise auf eine uns bekannte Gegenwart gibt, ja, und sei es wegen Carl, der so ganz wunderbar »aus der Zeit gefallen ist.«
Immer wieder begeistert mich die Sprache des Carl. Seine Plädoyers erinnern mich gar an die Sprache einer Jane Austen. Auch, wenn er mit seinen langen Beschreibungen einer Bildwirkung sogar einen Wachmann im Museum einschläfern kann, so ist der brillante Wechsel der langen Sätze mit einem köstlichen Slang und trockenem Humor erheiternd und eindringlich zugleich. Manch eine Seite hätte ich gern mit dem abgespreizten kleinen Finger an einer Sammeltasse gelesen.
Doch nicht nur die meisterhafte Erklärung der Spitzweg-Bilder eröffneten mir eine ganz neue Welt der Kunstbetrachtung, sondern es gab eine enorme Fülle von Bezügen zur Kunst und Weltliteratur, ohne dass ich mir ständig wie ein Dummerchen vorkam und den Zwang verspürte, sofort zu recherchieren. In diesem Roman wird über Kunst nachgedacht, Kunst als Lebenshilfe, Kunst als Freundin, Kunst als Flucht und Scheinwelt. Es geht um ein unaufgeregtes Spiegeln des Stellenwertes der Kunst in der Welt der Jugendlichen.
Was könnte uns die verträumte Romantik bieten in unserer heutigen kontrollierten und digitalisierten Welt? Und dabei wird aufgrund der Sprache dieser Roman selbst zu einem Kunstwerk. Am Anfang dachte ich, nun ziehe ich das Buch durch. Doch jetzt am Ende gefällt mir die Darstellung der Kunst als Schule des Sehens, möchte ich Feinheiten des Stils des Autors noch einmal nachspüren, bin ich überzeugt, zwischen den Zeilen noch viel zu entdecken, nämlich als schaue man einen Film das zweite Mal. In diesem Sinne lege ich »Spitzweg« von Eckhart Nickel nicht allzu weit weg und Euch ans Herz.