Treue

Von Bären und Bullen

Der Roman «Treue» des amerikanischen Schriftstellers Hernan Diaz erinnert in seiner Thematik vom unermesslichen Reichtum entfernt an Fitzgeralds berühmtes Buch, ohne allerdings wie im «Gatsby» einer naiven Romantisierung des Geldes zu erliegen, ganz im Gegenteil. In vier Büchern erzählt der Autor seine ähnlich wie eine russische Matrjoschka konstruierte Geschichte vom Mythos des großen Geldes, das in der Heimat des Turbo-Kapitalismus einen schon fast religiösen Stellenwert einnimmt. Mit der formalen Verschachtelung seines Romans geht der Autor ein stilistisches Wagnis ein, das er dank seiner Erzählkunst zu einem spannenden Leseerlebnis werden lässt, trotz dem an sich ja eher trockenen Szenario an der Wertpapierbörse.

Im ersten Buch ist unter dem Titel «Verpflichtungen» ein Schlüsselroman von Harold Vanner enthalten, dessen Geschichte vom atemberaubenden Aufstieg des Spekulanten Benjamin Rusk in der schillernden Finanzwelt im New York der 1920er Jahren spielt. Mit seinem ererbten Vermögen gelingt es dem Finanzjongleur auf fast schon unheimliche Weise, aus Hausse und Baisse in den vorhergehenden Krisenjahren, aber speziell auch beim großen Börsencrash von 1929, ungeheure Profite an der Wall Street zu erzielen. Zwei Eigenschaften sind in Kombination das Geheimnis seines Erfolgs, sein mathematisches Können und seine Intuition. Der in sich gekehrte Mann kennt nur die Arbeit, meidet jeden Kontakt zu Menschen. Nur zufällig und völlig unbeabsichtigt trifft der Junggeselle auf Helen, eine faszinierende, blitzgescheite junge Frau, und heiratet sie spontan. Die Ehe bleibt kinderlos, und er ermöglicht seiner Frau ohne Zögern, seinen unerschöpfbaren Reichtum großzügig für wohltätige Zwecke und Spenden einzusetzen. Außerdem fördert Helen Rusk verschiedenste Künstler, veranstaltet in ihrem prachtvollen Palais Konzerte und Lesungen und lädt prominente Persönlichkeiten zu Vorträgen ein. Ihre äußerst lebhafte Art wächst sich später zu einer psychischen Erkrankung aus, die letztendlich einen Klinikaufenthalt in der Schweiz erfordert. Sie wird mit ganz neuen Medikamenten experimentell behandelt und stirbt daran.

Als Pastiche angelegt, folgt im zweiten Buch unter dem Titel «Mein Leben», mit einem Vorwort vom Juli 1938, die teilweise noch als Manuskript vorliegende Autobiografie von Andrew Bever, einem an der Wertpapierbörse steinreich gewordenen Mann. Der Witwer schildert seinen Werdegang als Financier, beginnend bei seinem Urgroßvater, der die Banker-Dynastie der Bevers begründet hat. In seiner Erzählung geht er sehr ausführlich auf seine Methoden ein, die er vor dem wohlfeilen Verdacht bewahren will, nur zynisch auf Geldgier zu gründen. Im dritten Buch schildert unter dem Titel «Erinnerte Memoiren» die Journalistin Ida Partenza als Siebzigjährige, wie sie als junge Stenotypistin von dem Finanzmagnaten Bevel engagiert wurde, quasi als Co-Autorin, letztendlich aber allein, seine Autobiografie zu schreiben. Ihm ging es darum, das falsche Bild zu korrigieren, das ein Schlüsselroman von Harold Vanner von ihm und seiner Frau gezeichnet hatte. Nicht nur, dass er juristisch alles unternahm, gegen das missliche Buch vorzugehen, er lies auch alle noch vorhandenen Exemplare aufkaufen und vernichten. Im letzten Buch folgt unter dem Titel «Vereinbarungen» das Tagebuch von Mildred Bevel, in dem die Fäden des raffinierten Plots zu einem überraschenden Ende verbunden werden.

Hernan Diaz erzählt seine multi-perspektivische Geschichte literarisch gekonnt und sprachmächtig in einer geschliffenen, anspruchsvollen Diktion. Seine Figuren sind anschaulich beschrieben, wobei die seelische Kluft zwischen einseitig dem schnöden Mammon verfallenen Spekulanten, den Bären und Bullen der Börse, und ihren musisch veranlagten, weltoffenen Frauen überaus markant gezeichnet ist. «Treue» ist ein Roman, der beweist, dass man über Geld wider Erwarten sehr wohl eine spannende und bereichernde Geschichte erzählen kann.

Fazit:  erfreulich

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Genre: Roman
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