(Fast) jeden Tag zeichnen
Das “fast” ist Simone Grünewald wichtig. Denn ohne das “fast” wird Zeichnen zum Zwang. Und wenn der Zwang da ist, geht der Spaß, geht die Kreativität. Zeichnen kommt aus der inneren Motivation heraus, und diese soll erhalten werden. Aus dieser inneren Motivation heraus entsteht auch die Lust, fast jeden Tag zu zeichnen. Aber Angst vor Unvollkommenheit hemmt die Motivation. Deshalb plädiert die Autorin dafür, einfach loszulegen und damit der Entwicklung seines Zeichnens Raum zu geben.
Mutterschaft und Beruf – schwierige Kombination, aber machbar mit eingehaltenen Versprechen und Absprachen!
Um den angehenden Künstler/innen Mut zu machen, beginnt sie mit ihrer eigenen Geschichte und rundet das Buch mit ihrem Mutter- und Künstlerinnendasein ab. Sehr gut gefallen hat mir, dass sie unangenehme Dinge nicht verschweigt; v.a. die schwierige Verbindung von Beruf und Elternschaft einer Frau. Sie gibt zu, dass sie das nicht geschafft hätte, wenn ihr Mann nicht seine 50% an Haushalt und Kindererziehung leisten würde. Sie machte zwar von Anfang an klar, dass sie nur dann ein Kind will, wenn der Mann seinen Teil der Arbeit tut. Aber: Das wird viel versprochen und genauso viel gebrochen, wenn das Kind erst einmal da ist und der Mann merkt, dass für ihn überhaupt kein Raum mehr bleibt. Dann ist es bequem, in alte Rollenklischees zu verfallen und zu sagen, das könne die Frau doch viel besser, um sich so aus der Affaire zu ziehen.
Im Fall Grünewalds scheint es funktioniert zu haben. Ihr zeichnerisch dargestellter Alltag mit Kind sollte für die Männer, die Vater sind und sein wollen, ein Vorbild sein. So funktioniert Beruf, so funktioniert Ehe, so funktioniert Elternschaft – in respekt- und liebevoller Absprache und v.a. dem Einhalten dieser Absprache! Schlimm genug, dass es immer noch nicht selbstverständlich ist, dass zum Mannsein mehr dazugehört als nur das Kind zu zeugen und danach der Frau das meiste bis alles weitere aufzubürden. So entsteht erst das Dilemma, in dem Frauen stecken: Sich entweder zwischen Beruf und Mutterschaft entscheiden oder bei beidem Abstriche machen zu müssen – und dann die (nicht nur finanziellen) Konsequenzen dafür bis ans Lebensende zu spüren. (Männer, für die es selbstverständlich ist, nach Hause zu kommen und – ohne dass die Frau das hundertmal sagt – z.B. die Wäsche richtig sortieren und das richtige Waschmschinenprogramm anschmeißen und alles aus der Waschmaschine räumen und aufhängen und später wieder abhängen und zusammenlegen und sogar in die richtigen Fächer des richtigen Schranks einräumen und nebenei das Kind wickeln und erneut die Waschmaschine bedienen, weil das Kind alles in erstaunlich großer Reichweite beim Wickeln vollgepullert und später in ebenso großer Reichweite auf das Sofa gebrochen hat, brauchen sich nicht angesprochen zu fühlen! ^^) Oder anders ausgedrückt: Die Autorin ist um ihren Mann, der immer noch ein seltenes, aber mindestens genauso begehrtes Exemplar darstellt, zu beneiden.
Übersichtlichkeit
Die Künstlerin gestaltet ihr Buch sehr übersichtlich, indem sie es in überschaubare thematische Kapitel und Unterkapitel einteilt und untergliedert. Innerhalb der Kapitel dominieren die Zeichnungen zur Veranschaulichung ihrer Tipps. Der Text ist kurz und in einfachen Sätzen gehalten. Trotzdem fällt es mir an manchen Stellen schwer zu verstehen, was genau sie meint. Aber ich schätze, das ist meiner zeichnerischen Nichtbegabung geschuldet. Grünewald teilt die Kapitel folgendermaßen ein: Einleitung (in der sie von vorneherein klarstellt, wie sie ihr Buch aufbaut und verstanden wissen will), Meine kreative Reise, Künstlerische Grundlagen (die sie trotz allen Spaßes für wichtig und v.a. hilfreich hält), Charakterdesign (mit umfassenden Tipps und Anschauungsmaterial von Menschen in allen Alltersstufen und Lebenslagen über Tiere bis hin zu Pflanzen), Familienleben.
Die Frau als Künstlerin
Dass in diesem Buch eine Künstlerin am Werk ist, merkt man allenthalben. Schon das Cover zeigt den weiblichen Aspekt des künstlerischen Daseins – und der wird immer und immer wieder im Buch deutlich. Das spiegelt sich nicht nur in Motiven aus weiblicher Perspektive, sondern v.a. auch daran, dass Grünewald als Referenzfigur nicht – wie sonst überlich – den männlichen, sondern den weiblichen Körper benutzt. V.a. dann, wenn explizit Männer und Jungen dargestellt werden sollen, rückt der männliche Körper in den Fokus. Ansonsten dominieren kleine Mädchen in Mechas, Frauen und Mütter in Berufs-, Alltags- und Fantasysituationen. Dabei stellt sie ganz nebenbei heraus, wie vielgestaltig der weibliche Körper ist. Das alles ist eine wohltuende Abwechslung zu dem meist eher eindimensionalen Frauenbild der Comicwelt, das in Bezug auf Frauen nicht nur (unrealistische) Männerträume ausdrückt, sondern viel zu oft sogar noch konservativer als der real gelebte Alltag ist.
Fazit
Sehr anschauliches und übersichtliches Buch über den Spaß am Zeichnen und die Grundlagen des Zeichnens, das wohltuend nicht den männlichen, sondern den weiblichen Körper als Referenz benutzt – aus weiblicher Sicht! Gerne mehr davon; die Comicwelt braucht dringend mehr Comics aus weiblicher Sicht und Hand!