sprichst du mit mir mit einem nicht gemachten nicht sichtbaren fragezeichen am ende dieses satzfragmentes oder nur lapidare feststellung mit einem nicht ausgesprochenen anschlußwort anschlußsatz als ergänzung beginnend mit einem dann oder als eine andere fragestellung mit dem wörtchen wann davor wann endlich sprichst du mit mir und worüber ist gleich angefügt nämlich über die heimat über die liebe über den tod über erlebtes über bekommenes über verlorenes über brüchiges über sich wandelndes über endgültiges versuche zur selbstsuche und selbstfindung bisweilen eine begegnung mit sich selber oder worte aus diesen begegnungen herausgeboren und zu einem gedicht geformt in einem „denken“ jenseits sprachlicher begrifflichkeiten bilderwelt gedankenwelt empfindungswelt eingeschrieben in erinnerung in das gedächtnis als bausteine der poesie gedichte als persönliche notate empfindungen erkenntnisse gefühle gefühlsstrukturen befindlichkeiten momentane vorübergehende jetztgefühle einbettung in eine gefühlswelt in die des eigenen ichs diese aber immer wieder infragegestellt durch das eigene ich oder durch etwas außerhalb von ihm aber auf dieses ich wirkend einwirkend spuren hinterlassend wo doch alles zugeich eine einzige spurensuche ist das leben die liebe nur der tod ist das letztlich endgültige, das einzig gültige überhaupt vielleicht mag sein oder auch nicht wer weiß es schon das gedicht als aufbewahrungsort von heimat und liebe doch am abgrund der tod das alles spüren und dann spuren legen und hinterlassen feststellungen machen von einem vorübergehenden hier- und jetztsein in sich wandelnden gefühlen und in vermeintlichen erkenntnissen denn gesichert ist nichts eben weil alles so ist wie es ist vermeintlich oder auch nicht und immer wieder nichtwissen unsicherheit schweigen antwortlosigkeit auch fremdsein und heimatlosigkeit im eigenen leben manchmal steigt sehnsucht auf sehnsucht nach unbekanntem nicht mehr erwartetem wird zur melancholie zur sanften trauer um das verlorene auch um das nie erlebte um das nie erreichte eine sehnsucht wie eine solche nach einem anderen ich nach einem anderen du nach einem anderen leben nach einer anderen welt denn so steht es an einem gedichtende geschrieben „dort ist das land das ich in diesem leben nie erreicht“
ein schmales gedichtbändchen sparsam konzentriert schön nur auf jeder zweiten seite ein gedicht die vorhergehende oder nachfolgende seite unbedruckt unbeschrieben unbenutzt und doch da in ihrer funktion der trennung der texte voneinander als ein zeichen des leeren raumes für jedes einzelne gedicht das freiraum braucht für die dichterin für die poesie 34 gedichte 19 skizzenhafte bleichstiftzeichnungen detailreich symbolhaft liebevoll 3 seiten anhang mit information und ikonographie poesie und zeichengebung zeichensprache
ausgelesen das buch eingetaucht in worte und bilder ins schweigen in den leerraum mitten in und zwischen einer begegnung in die spurensuche auch in die nach dem eigenen ich in aufzeichnungen die von einem damals und dort berichten von einem hiersein und jetzt von einem das ist und einem das nicht ist oder nicht mehr oder weil das überhaupt unerreichbar weil einem nicht gegeben ist sondern verweigert wird ohne grundangabe die frage nach der schicksalhaftigkeit des lebens nein das nicht so sehr weil man um die antwortlosigkeit weiß aber man nimmt das schicksalhafte doch zur kenntnis auch weil es manchmal schmerzt so im ganzen und weil man diesen schmerz bisweilen oder als lebensbegleitendes grundgefühl spürt „das herz schmerzt an der kette“
ich lege das schmale buch zum wievielten mal nun schon zu ende gelesen aus den händen es ist abend draußen ist es schon dunkel spätherbstzeit auch in mir mein blick hinauf zum weiß der zimmerdecke der durch die vorgegebene fläche begrenzte blick auch mein leben fast zu ende man weiß es man spürt es wo sind die großen einst mächtigen gefühle ich höre nicht mehr den wind rauschen in mir kein sturm aber auch keine völlige ruhe in mir irgend etwas unbenennbares aber mir bekanntes ist in mir vielleicht auch angst abgeschiedenheit was ist mit diesen gedichten und mir denke ich was und wie sprechen diese gedichte zu mir frage ich mich und finde keine klare eindeutige antwort weil es sie nicht gibt vieles bleibt chiffre wegen mir oder wegen dem gedicht das ist stets so in der poesie in ihrer bedeutung voll ausschöpfen kannst du sie nie denke ich aber ich weiß wie ich diese gedichte gespürt habe denn plötzlich sage ich zu mir „so wie ein hellgraues seidentuch das lautlos niederschwebt auf mich sind diese gedichte“ so sanft sind sie so lautlos und schön das schweigen hat darin seinen raum
Susanne Ayoub: „Sprichst Du mit mir“. Gedichte über die Heimat, über die Liebe, über den Tod.Mit Zeichnungen vonRima Al-Juburi. Löcker Verlag, Wien, 2016. 12,5 x 20,5 cm Broschur, 93 Seiten | € 19,80, ISBN 978-3-85409-800-3
Peter Paul Wiplinger – Wien, Dezember 2016