Fragwürdiger Kultroman
Joseph Hellers 1961 erschienener Debütroman «Catch 22» stieß in seiner Heimat USA zunächst auf wenig Begeisterung, wie in einem Nachwort zur deutschen Ausgabe von 1994 nachzulesen ist, wo der Autor sich zur Editionsgeschichte seines Buches äußert. Der absurde Antikriegsroman traf dann später während des Vietnamkrieges den Nerv der kriegsmüden Bevölkerung und wurde plötzlich ein großer Erfolg. Im Unterschied zu «Im Westen nichts Neues» von Remarque wird der Krieg hier als absurd chaotische Veranstaltung dargestellt, sein Wahnsinn durch einen aberwitzigen Plot mit einem völlig irrealen Geschehen karikiert. Eine gewagte literarische Gradwanderung, die dem Kriegsgrauen mit Satire entgegen zu treten sucht, wobei dem Leser das Lachen nicht selten im Halse stecken bleibt.
Handlungsort der absurden Geschichte ist die kleine italienische Insel Pianosa im toskanischen Archipel, nordwestlich der Insel Monte Cristo, die durch Alexandre Dumas’ Roman weltweit bekannt wurde. Hier ist im Zweiten Weltkrieg eine Staffel von B-25 Bombern der US Air Force stationiert, der Protagonist Captain Yossarián ist dort als Bombenschütze eingesetzt. Er hat panische Angst vor dem Tod und versucht mit allen Mitteln, sich durch Krankschreibung vor den Einsätzen zu drücken, oder aber, besser noch, durch Erfüllung der Sollzahl für die Feindflüge gleich ganz aus dem Militärdienst entlassen zu werden. Letzteres wird dadurch vereitelt, dass diese Sollzahl ständig erhöht wird und damit unerreichbar bleibt. Die Problematik des Romans ist in seinem Titel bereits vollständig enthalten, «Catch 22» steht für einen klassischen Circulus vitiosus. Denn nur wer geisteskrank wird, kann auf Verlangen nach Hause geschickt werden; wer dies jedoch verlangt, kann nicht geisteskrank sein, denn genau dieser Wunsch sei ja der Beweis für ein völlig normal funktionierendes Gehirn. Der Truppenarzt Doc Daneeka erklärt Yossarián, dass seine Angst beim Feindflug völlig normal sei, denn hätte er keine Angst, müsse er verrückt sein und wäre folglich ja gar nicht flugfähig. Das absurde «Catch 22» als infame Schikane der amerikanischen Stabsoffiziere wird im englischen Sprachraum inzwischen als geflügeltes Wort für einen Teufelskreis benutzt.
Seine karikaturhaft überzeichneten Figuren dienen als literarisches Vehikel, mit dem Joseph Heller die Dummheit eines absurden militärischen Systems an den Pranger stellt. Sei es, dass sie nur Aufmerksamkeit erregen wollen oder gar Kriegsruhm anstreben, um befördert zu werden, oder ein florierendes Schwarzmarktgeschäft betreiben wie der Verpflegungsoffizier, bei dem selbst der Feind zum Kunden wird, wobei die vorbildliche Zahlungsmoral der Deutschen höchste Anerkennung findet. Als Milo seinem erstaunten Vorgesetzten bei einer Fahrt mit dem Jeep sein erfolgreiches Geschäftsmodell erläutert, landet ein angeschossener B-25 Bomber und explodiert, sie aber fahren ungerührt an dem brennenden Wrack vorbei, völlig in ihr Gespräch über Profite vertieft, – die Süddeutsche Zeitung hat diese bezeichnende Szene aus dem Spielfilm für das Cover ihrer Edition verwendet. Der Verrückteste dieser Truppe desertiert, indem er seine Maschine im Mittelmeer notwassert, um von dort mit seinem Ein-Mann-Rettungsboot nach dem neutralen Schweden zu paddeln! Andere, wie Hungry Joe zum Beispiel, wollen einfach nur nackte Frauen fotografieren, sonst interessiert ihn nichts. Zwischen diesen und noch vielen anderen kauzigen Figuren, von denen fast alle umkommen im Verlaufe des Romans, erscheint Yossarián als zweiter Schwejk, ein Antiheld, der lediglich mit heiler Haut aus dem Schlamassel herauskommen will.
Es wimmelt von Absurditäten in dieser aus aneinander gereihten, grotesken Szenen bestehenden Satire auf menschliche Schlechtigkeit und Dummheit. Die Lektüre erfordert einige Geduld, es stellen sich schon bald störende Längen heraus, und der narrative Wahnsinn nervt in seiner Häufung dann irgendwann auch. Ein für mich eher fragwürdiger Kultroman!
Fazit: mäßig
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