Die Korrespondenzen Rimbauds erstmals auf Deutsch

Enid-Starkie+Das-Leben-des-Arthur-RimbaudIm Oktober erscheinen bei Matthes & Seitz die Korrespondenzen des Dichters und Weltreisenden Arthur Rimbaud erstmals auf Deutsch. Rimbauds vollständige Korrespondenz, sämtliche zu Lebzeiten gedruckten Werke (auf Grundlage der Handschriften neu übersetzt) sowie alle zeitgenössischen Rezensionen liegen mit Jean-Jacques Lefrère (Hg.) monumentaler Rimbaud-Edition (2500 Seiten!) nun erstmals auch in der deutschen Übersetzung vor. Zeit, auf sein Leben, Leiden und Sterben zurückzublicken. Eine Vorschau.

Korrespondenz: Ich=Anderer

Car Je est un autre“ (deutsch: „Denn: Ich ist ein anderer“). Auf der Höhe seiner dichterischen Fähigkeiten entsagte Rimbaud der Literatur und begab sich auf eine wilde Reise, erst durch Europa, dann nach Afrika. Auf das Schreiben seiner Hauptwerke „Illuminations“ und „Une saison en enfer“ (Eine Zeit in der Hölle) folgten einige Jahre der Ausschweifung mit Paul Verlaine in Paris, London und Brüssel, wo dieser ihn sogar anschoß. Danach begab sich Rimbaud beinahe in die vollkommene Askese, bereiste als Landstreicher Europa (in Wien wurde im Rausch von einem Fiakerfahrer beraubt), um schließlich als Kaffeeexporteur, Waffenhändler und Sklaventreiber an der Somaliküste und in Äthiopien zu enden. Zurück kam er nur mehr mit einem Fuß und starb zuletzt doch in der Stadt, die er am meisten hasste: seiner Heimatstadt Charleville-Mézières. Er hatte es geschafft: er war wirklich ein anderer geworden.

Entregelung aller Sinne

L’homme aux semelles de vent“ (Der Mensch mit den Sohlen aus Wind), wie ihn Verlaine nannte, hatte ein „warmes und leidenschaftliches Herz, das schließlich in der eigenen Glut ausbrannte“, so Enid Starkie, die 30 Jahre lang an ihrer Biographie zu Rimbaud gearbeitet hat. Rimbaud floh von seinem engen Elternhaus nach Paris, wo gerade die Commune versuchte, ein neues Gesellschaftsmodell zu verwirklichen, aber mit Hilfe der Deutschen niedergewalzt wurde. 20.000 deutsche Soldaten hatten Paris damals, 1871, besetzt. Das zweite Kaiserreich war geprägt von der Rekonstruktion und auch die Künstler waren nach wie vor von Baudelaire und den Parnassiens beeinflusst, die das traditionelle Schönheitsidel pflegten. „Man kann sich denken, dass Rimbauds Vénus Anadyomène `belle hideusement d’un ulcère à l’anus nicht gerade nach ihrem Geschmack war“, bemerkt Starkie sarkastisch. Bei öffentlichen Lesungen soll Rimbaud seine Aufmerksamkeit mit Grunzlauten kundgetan haben und auch sonst durch rüpelhaftes Benehmen aufgefallen sein. Die Abneigung der Pariser Bohème gegen ihn ging sogar noch weiter: Auf dem berühmten Bild von Fantin-Latours „Le Coin de Table“ auf dem auch Rimbaud zu sehen ist, verweigerte sich einer der Vertreter der literarischen Bohème abgebildet zu werden, weil er nicht mit dem Strolch Rimbaud auf einem Bild sein wollte. Statt dem Dichter Albert Mérat steht dort nun eine Vase mit Blumen. Später hatten Verlaine und Rimbaud sogar eine Persiflage auf Mérat veröffentlicht die sich „Le Sonnet du Trou du Cul“ nannte. Statt sich in den Pariser literarischen Zirkel zu integrieren, machte sich Rimbaud nun an die „long et raisonné dérèglement de tous les sens“: die Entregelung aller Sinne.

Leben bis zum letzten Blutstropfen

rimbaud1Enid Starkie zeichnet akribisch die unterschiedlichen Lebensstationen des enfant terrible Arthur Rimbaud nach. Sie zitiert seine wichtigsten Gedichte – die vom Verlag dankenswerterweise zweisprachig abgedruckt wurden – und beschreibt die zentralen Lebensstationen Rimbauds, dessen Gedichte nach seinem Ableben als die eines Thaumaturgen bezeichnet werden könnten. Denn viele nachgeborene Dichter fühlten sich in der Tradition dieses „Wundertäters“ und Alchemisten der Worte und wären ohne seine Leuchtkraft wohl nie „geboren“ worden. „Rimbaud verdanke ich, menschlich gesprochen, die Rückkehr zu meinem Glauben“ soll Paul Claudel über ihn gesagt haben. Arthur Rimbaud lebte sein Leben bis zum letzten Blutstropfen und schaffte es seine eigenen Ansprüche zu erfüllen, auch wenn er letztlich als Mensch scheiterte. „Nous savons donner notre vie tout entière tous le jours“ (Wir müssen uns dem Leben jeden Tag voll und ganz hingeben). Vielleicht musste er an sich selbst verglühen, wie Starkie in obigem Zitat andeutet, da er die Fackel einem Prometheus gleich für uns Nachgeborene vom Himmel geholt hat. Besonders beeindruckend sind auch die Passagen von Enid Starkie in denen sie seine Zeit in Abessinien beschreibt. Man darf also gespannt sein, was die nun vom Matthes & Seitz auf Deutsch herausgegebenen Korrespondenzen für den Forschungsstand bedeuten werden.

 

Enid Starkie
Das Leben des Arthur Rimbaud
Neu heraugegeben von Susanne Wäckerle
Matthes & Seitz
1990, 571 Seiten
Deutsch, teilweise Französisch
ISBN-13: 978-3882217650
15,3 x 4,5 x 22,8 cm

Arthur RimbaudJean-Jacques Lefrère (Hg.)
Korrespondenz
Aus dem Französischen übersetzt und kommentiert von Tim Trzaskalik
2500 Seiten, Gebunden
Originaltitel: Correspondance de Rimbaud (Französisch)
Übersetzung: Tim Trzaskalik
ISBN: 978-3-95757-013-0
Preis: 98,00 €