Sing a bit of Harmony

Sing a bit of Harmony

Die KI Shion soll im Feldversuch beweisen, dass KIs im täglichen Leben nicht auffallen. Deshalb soll sie auf Anordnung der Forscherin Mitsuko, die sie entwickelt hat, in eine Highschool gehen. Was Mitsuko nicht weiß: Ihre Tochter Satomi, Streberin und Außenseiterin der Klasse, kennt das Projekt ihrer Mutter und weiß sofort, dass es sich bei Shion um eine KI handelt. Shion, die offen und authentisch ist, sorgt mit ihrem extrovertierten und seltsamen Verhalten für Aufsehen in der Klasse Satomis und schon bald kommen noch mehr Schüler hinter das Geheimnis Shions: Frauenliebling Gocchan, dessen Freundin Aya, Technik-Nerd Toma und Judoka Thunder finden ebenfalls heraus, dass Shion eine KI ist. Aber Satomi beschwört ihre Klassenkameraden, den anderen nichts zu erzählen – ihre alleinerziehende Mutter würde sonst ihren Job verlieren. Allerdings hat sie in Aya eine engstirnige und unberechenbare Klassenkameradin, der es eine Freude wäre, Satomi eins auszuwischen. Um Haaresbreite entgeht Shion einer Entdeckung, als sie der angeschlagenen Beziehung zwischen Aya und Gocchan auf die Sprünge hilft und Aya Satomi und Shion deshalb danken will. Auch Satomi selbst hilft Shion, indem sie die Freundschaft zwischen ihr und Toma wieder kittet. Und für Thunder ist sie eine gute Trainingspartnerin. Allerdings hat das Grüppchen um Shion nicht mit Mitsukos missgünstigem Vorgesetzten Saijo und ihrem Untergebenen Nomiyama gerechnet: In der männerdominierten Welt der Technik sind Frauen nicht gern gesehen und so versuchen sie alles, um Mitsuko zu diskreditieren.

Segen und Fluch der Technik, ethische Fragen zur intelligenten Technik

Die KI wird in diesem Anime sehr technikfreundlich dargestellt. Japan ist ein Land, das Technik generell sehr aufgeschlossen und optimistisch gegenübersteht. Die Animes spiegeln das wider, z.B. auch im Manga und Anime „Astro Boy“, der Kultstatus genießt. KIs werden meist menschlich dargestellt, als Lebewesen, wobei direkt oder indirekt die Frage gestellt wird, ob sie dann auch menschliche Rechte genießen sollen bzw. ob sie als menschlich anzusehen sind. Dieser Anime bejaht die Frage, denn das Grüppchen um Satomi hat gute Erfahrungen mit der KI gemacht, die anderen helfen will. Die KI zeigt eigenen Willen, verhält sich sozial und erfüllt damit für die Teenager menschliche Kriterien. Ausgereift ist sie allerdings noch nicht, denn sie verhält sich nicht unauffällig menschlich. Die KI wird nur von den Männern um Forscherin Mitsuko als bedrohlich angesehen.

Im Anime wird aber auch deutlich, wie abhängig Technik machen kann. Der SF-Anime zeigt deutlich einen Alltag, für den Roboter und intelligente Technik selbstverständlich sind und den man im Umkehrschluss ohne diese Technik so ohne Weiteres nicht mehr bewältigen kann. Was, wenn diese Technik ausfällt? Oder sich gar gegen einen wendet?

Frauen- und Männerbild

Die Frauen in diesem Anime sind unterschiedlich, ähnlich wie in der Realität. Mitsuko sticht hervor, weil sie alleinerziehende Mutter ist und trotzdem Karriere macht. Synchronsprecherin Sayaka Ohara bringt es auf den Punkt: „ […]die Karrierefrau, die in der von Männern domminierten Gesellschaft herumgeschubst wird und dennoch aus Überzeugung alles gibt.“ Dass Ohara sagt, es sei „sehr leicht“ für sie, sich in Mitsukos Situation hineinzuversetzen, spricht Bände. Der Anime spiegelt hier die unschöne Realität wider, dass Frauen immer noch mehr leisten müssen als Männer und trotzdem nicht anerkannt werden. Sie werden jeden Tag diskriminiert und müssen mehr kämpfen, mehr arbeiten, mehr stemmen und mehr aushalten als Männer – was sie im Umkehrschluss extrem stark macht. Und sich deshalb automatisch die Frage stellt, ob Männer unter solchen Bedingungen überhaupt noch bestehen würden, denn sie sind solche permanenten Härten im Leben nicht gewohnt. Schön, dass im Anime nicht die missgünstigen, intriganten, diskriminierenden Männer gewinnen, sondern die Frau und insgesamt die Menschlichkeit.

Mitsukos Tochter Satomi muss ebenfalls sehr stark sein: Sie stemmt den Alltag weitgehend ohne die Mutter und sorgt haushaltstechnisch sogar für sie mit, ist vernünftig, strengt sich für gute Noten in der Schule an und ist deswegen und wegen ihres introvertierten Charakters Außenseiterin. Sie muss also wie ihre Mutter viel aushalten und generiert daraus ebenfalls große Stärke, die sie für den Alltag aber auch für ihre Überzeugungen und im Kampf gegen den Großkonzern nutzt. Ihr Äußeres ist nicht klischeehaft weiblich, sondern androgyn bis männlich. Das unterstreicht noch ihre Andersartigkeit, die sie positiv einsetzt.

Aya kommt anfangs mit ihrer Eifersucht und ihrer ablehnenden Haltung Satomis und Shions gegenüber unsympathisch daher, aber sie hat für ihr Verhalten ihre Gründe. An ihr sieht man, dass man nicht nur die Maske oder Fassade eines Menschen beurteilen soll.

Saijo und Nomiyama sind typische Vertreter eines patriarchalen Männerbildes: destruktiv, skrupellos, machtgierig im Fall Saijos, dessen schwaches Ego eine starke, kompetente Frau nicht ertragen kann. Lieber sieht er einen unfähigen Mann wie Nomiyama anstelle einer fähigen Frau auf einer zentralen Position, damit seine eigene nicht gefährdet wird. Nomiyama kann es nicht verkraften, dass er von einer Frau übertrumpft worden ist und will sich mithilfe Saijos an ihr rächen, indem er sie in Misskredit bringt und stürzt. Die beiden sind das Paradebeispiel für asoziales, machismohaftes Verhalten.

Gocchan ist ein Frauenschwarm, weil er gut aussieht. Aber er selbst findet das nicht so gut, denn er möchte nicht aufgrund seines Äußeren beurteilt werden, sondern aufgrund dessen, was er ist. Er befürchtet, dass seine Freundin Aya aber genau das tut: „Ich komme mir vor wie ihr Designertäschchen!“ Nachdem er erkannt hat, dass Aya ihn nicht so oberflächlich betrachtet, wie er befürchtet, ist er ihr ein liebevoller Freund. Er erleidet eigentlich genau das, was Frauen alltäglich passiert: Sie werden nur nach ihrem Äußeren beurteilt und nicht nach dem, was sie innerlich sind. Frauen werden auch darauf getrimmt, sich für ihr Äußeres zu interessieren: Mode, Schminke, Figur. Die Reduktion auf das Äußere schadet Menschen, und Gocchan ist zurecht nicht gewillt, das mitzutragen.

Toma als Technik-Nerd hat ebenfalls eine Außenseiterposition: Er entspricht nicht dem gutaussehenden Sportler und ist damit nicht männlich genug für eine patriarchale Gesellschaft. Dafür ist sehr sozial und lösungsorientiert, was seiner Umgebung und v.a. Satomi zugutekommt. Er hat sich seine eigene soziale Bubble gesucht und gefunden, also seine Nische in einer Welt, in der er nicht viel zählt. Er steht für die Männer, die in einer patriarchalen Gesellschaft ebenfalls unter einem destruktiven Männerbild leiden.

Thunder ist gutmütig. Er entspricht dem Sportlertyp, wenn er auch nicht gutaussehend ist, und ist nicht so intelligent. Insgesamt hat er aber ein gutes Herz, was letztlich zählt.

Musik als Ausdruck der Gefühle und als Heilung

Der Anime ist ein wenig wie ein Musical konzipiert. Es kommen viele vom Text und von der Melodie her herzerwärmende Songs vor, die die Situation und die innere Gefühlslage der Figuren treffen. Dadurch werden sie sich selbst mehr bewusst und dessen, was sie wirklich wollen. So geschieht mit ihnen Veränderung und Heilung. Musik und Kunst allgemein wird im realen Leben gern als Therapie für psychisch kranke Menschen eingesetzt.

Wer Disneyfilme mag, wird wohl auch diesen Anime mögen, wobei trotz der Musik immer noch die Handlung im Vordergrund steht.

Weiterentwicklung der Charaktere und soziale Beziehungen

Alle Charas entwickeln sich im Laufe der Story positiv weiter, weil sie ihre Stärken und ihr authentisches Ich entdecken, ebenso das Ich der anderen. Sie lernen sich und die anderen zu schätzen, kritisch und menschlich zu sein und ihre eigene Haltung zu entwickeln und durchzusetzen, auch gegen Widerstände von außen und gegen Selbstzweifel. Damit sind sie Vorbild für sich entwickelnde Teenager. Auch die Romantik kommt nicht zu kurz, ebenso die Probleme, die man vor und während einer Beziehung haben kann. Ebenso werden Freundschaften geknüpft und vertieft. Harmonie, Fürsorge, Einstehen für andere, Empathie sind große Themen.

Technisches und Extras

Sprachen: Deutsch, Japanisch, Untertitel Deutsch

Laufzeit: 110 Minuten

Blue Ray

Extras: 16-seitiges Booklet (u.a. Infos zum Film, Interview mit Yasuhiro Yoshiura, Vorstellung der Charas), 1 Poster, 2 Artcards

FSK: ab 6 Jahren

Fazit

Spannender SF-Anime inklusive Romantik, ethischen Fragen und einem starken Frauenbild.


Genre: Romantik, Science-fiction
Illustrated by Crunchyroll, Yasuhiro Yoshiura

Sweeter than fame

Ein Rocksar in einer Kleinstadt?

Die 30-jährige Ani Bennett ist vor Jahren in ihre beschauliche Heimatstadt Wildwood zurückgekehrt – gerade weil sie nach einem traumatischen Vorfall wieder zur Ruhe kommen will. Sie lebt jetzt in einem kleinen Holzhaus und arbeitet ganz unspektakulär in einem Tante-Emma-Laden. Aber mit einem Mal ist es mit der ganzen unspektakulären Lebensweise wieder vorbei, als Ani merkt, wer in das benachbarte viktorianische Anwesen eingezogen ist: der berühmte Rockstar Garret Hayes. Der will nach ebenso traumatischen Vorfällen genau wie Ani nur seine Ruhe haben. Das bekommt Ani sehr schnell mit und beschließt, dem Rockstar Anonymität zu gewähren. Damit hat sie bei dem mürrischen und melancholischen Mann einen Stein im Brett. Außerdem bittet Garrets Freund und Bandkollege Ani, sich um den trauernden Mann zu kümmern. Allmählich entwickelt sich eine platonische Freundschaft zwischen den beiden – bis Ani feststellt, dass sie sich wider jede Vernunft in den Rockstar verliebt hat.

Romantik, Traumata und Heilung

Der in sich abgeschlossene Liebesroman präsentiert eine heil(end)e Welt als Rahmen. Die Kleinstadt mit ihren Bewohner*innen voller Eigenheiten, Macken und trotzdem herzlichen, anteilnehmenden Eigenschaften und die schöne Landschaft werden im Buch liebevoll beschrieben, sodass die Leser*innen sehr gut in diese kleine, heile Welt eintauchen und verstehen können, warum diese als Rückzugsort bei seelischen Schmerzen dient. Man fühlt sich auch als Leser*in eingepuckt in diese Wohlfühlatmosphäre. Und in dieser wird nach und nach, also in verdaulichen Happen, enthüllt, welche Traumata die Hauptfiguren quälen, wie sie bisher damit umgegangen sind und wie sie weiter damit umgehen wollen. Es wird deutlich, dass Heilung ein Prozess ist, der Zeit braucht und auch Irrwege und Sackgassen beinhalten kann. Die Autorin versteht es, die Traumata ihren Leser*innen nicht schockierend hinzuklatschen, sondern eingebettet in eine gute Atmosphäre schrittweise darzubieten und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man damit umgehen kann.

Die Romantik kommt ebenfalls nicht zu kurz. Auch die Liebe ist ein Prozess, wie der Roman schön zeigt. Und er zeigt auch, dass man nicht perfekt sein muss, um eine Beziehung einzugehen, sondern dass auch Unperfektheiten gut zueinander passen und sogar bei der eigenen Entwicklung helfen können. Humor ist sowieso in allen Lebenslagen eine Hilfe, auch in diesem Roman.

Ebenfalls schön: Der Rockstar wird nicht als abgehobene Person dargestellt, sondern als Mensch wie jede*r andere auch (was Stars eigentlich sind, selbst wenn diese oder die Fans das gern mal vergessen). Garrett hat mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen, nimmt dabei aber irgendwann Hilfe von außen an – ab da beginnt seine Heilung. Außerdem merkt er instinktiv, dass er am besten in einer ruhigen Umgebung als normaler Mensch heilen kann. Das ermöglichen ihm Ani und später auch die Dorfbewohner, indem sie Garretts Identität so lange schützen, wie er es braucht. Bei allen Figuren ist eine Charakterentwicklung zu beobachten – sie entwickeln sich zu ihren Gunsten, auch durch die Hilfe der anderen, weiter und finden letztlich ihren Weg.

Fazit

Der New-Adult-Roman bettet eine sehr gut aufgebaute romantische Beziehung in einen Ort mit Wohlfühlatmosphäre ein, der als Ausgangspunkt für die Heilung der Traumata der Hauptfiguren dient. Spannend und sensibel geschrieben.


Genre: New Adult, Romantik, Traumata
Illustrated by LYX- Verlag/ Bastei Lübbe

The Moment I fell for you

The Moment I Fell For YouDie Macht der Kunst

Weder Bay noch Dare haben ein einfaches Leben. Bay ist nach dem Verlust des Vaters vor drei Jahren umgezogen. Ihre alleinerziehende Mutter rackert sich nachts als Krankenschwester ab. Und Bay gilt in ihrer Schule immer noch als „Die Neue“, mit der niemand etwas zu tun haben will. Dare hat seine Mutter früh verloren und wächst, seit er 12 Jahre alt ist, praktisch allein auf – was er gut findet, denn sein alkoholkranker Vater verprügelt ihn, wenn er zuhause ist. Um über die Runden zu kommen, repariert Dare die Autos seiner Mitschüler.

Aber beide sind mit ungewöhnlichen Talenten gesegnet: Bay ist durch ihren musikalischen Vater die Musik in die Wiege gelegt worden. Sie kann nicht nur sehr gut Gitarre spielen, sondern auch wunderschön und ausdrucksstark singen. Dare spielt auf hohem Level Football und hofft, in eine Profi-Mannschaft aufgenommen zu werden. Aber durch eine Schlägerei, bei der ein anderer Mitspieler durch ihn verletzt wurde, steht diese letzte Chance auf ein besseres Leben auf der Kippe. Außerdem kann Dare sehr gut zeichnen, was er aber vor allen anderen versteckt, um seinen Ruf als Footballer nicht zu gefährden.

Eines Tages hört Dare Bay im Garten singen und ist von ihrem Gesang derart berührt, dass er beschließt, ihr näher zu kommen. Aber Bay ist misstrauisch: Warum will dieser gutaussehende und an der Schule beliebte Junge plötzlich mit einer Außenseiterin Kontakt aufnehmen, wo er Bay doch zuvor jahrelang wie Luft behandelt hat?

Der romantische Roman ist augenscheinlich der Auftakt einer Trilogie. Wie schon an anderer Stelle geschrieben bieten die New-Adult-Romane nicht nur eine nette Liebesgeschichte, sondern auch Tiefe in Form von schwerwiegenden Problemen, die die jungen Leute mit sich herumschleppen und mit denen sie irgendwie zurechtkommen müssen. Dies kann an Lebenssituationen von Leserinnen andocken und Lösungswege aufzeigen (die wie im „echten“ Leben sehr kurvig verlaufen können). Allerdings habe ich festgestellt, dass die Romane es in der Summe mit den schwierigen Lebenssituationen übertreiben, indem sie einem einzelnen Charakter doch sehr viel zumuten – und damit den Leserinnen.

Sind zweite Chancen immer sinnvoll?

Außerdem finde ich speziell in diesem Buch manche Situationen, die einschneidend auf den weiteren Verlauf wirken, nicht so gut vorbereitet. Manche Wendungen kommen derart abrupt, dass man auch als Leserin verwirrt ist. Die Erklärungen dafür sind eher punktuell, knapp und damit nicht so ganz plausibel. Sie wirken eher wie der Versuch, ein retardierendes Moment um jeden Preis einzubauen, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Die Wirkung soll zwar mit dem indirekten Hinweis abgedämpft werden, dass es der jeweiligen betroffenen Figur ähnlich geht, aber durch zu wenig Erklärung verpufft dieser Effekt. Soll das alles erst in den folgenden Bänden gelüftet werden?

Dare ist zudem ein schwieriger Fall für eine gesunde Beziehung, denn er reagiert sehr aggressiv auf Situationen und Menschen, die ihm aus seiner Sicht nicht guttun. Bay blockt deswegen zu Recht ab, denn auch im wahren Leben endet es für die Frauen schlecht, wenn sie bei einem solchen Mann bleiben (wie Frauenhäuser leider zur Genüge zeigen). Es mag angehen, dass hier evtl. zweite Chancen vertreten werden – aber ich halte es für einen gefährlichen Weg, das bei aggressiven, destruktiven Männern zu propagieren, denn es würde Frauen nur weiter ermutigen, sich von solchen Männern nicht zu befreien und damit einen leidvollen Teufelskreis weiterzugehen!

Ansonsten ist dieser Roman wie die anderen ähnlicher Art so aufgebaut, dass sowohl die weibliche wie auch die männliche Hauptfigur in der Ich-Erzählung abwechselnd zu Wort kommen, um die jeweiligen Perspektiven zu veranschaulichen. Spannung ist ebenfalls durchgängig gegeben. Der Roman endet mit einer Art Cliffhanger. Außerdem wird die sich anbahnende Beziehung der beiden gut aufgebaut, sodass man mitfiebern kann.


Genre: New Adult, Romantik, schwierige Lebenssituationen
Illustrated by LYX

Dunbridge Academy 3: Anytime

Dunbridge Academy - Anytime - Sarah Sprinz - PB

Unfall, Selbstverletzung, ungesunde Familienstrukturen

Olive Hendersons Leben ist nach dem Brand in ihrer Wohneinheit der Dunbridge Academy nicht mehr so, wie es einmal war: Nach langer Zeit im Krankenhaus und in der Reha darf sie nicht mehr für ihr Team schwimmen. Denn die schweren Verbrennungen verheilen nur langsam. Außerdem soll sie jetzt die elfte Klasse wiederholen. Olive will das nicht auf sich sitzen lassen und versucht, den Stoff der Zwölften neben dem der elften zu lernen, um nach ihrem 18. Geburtstag wieder bei ihren Freund*innen zu sein, die jetzt im Abschlussjahrgang sind. Aber das will nicht so klappen, wie sie es sich vorstellt. Außerdem hütet sie noch ein bedrückendes Geheimnis, das – wenn es herauskommt – ihre Familie gänzlich zerstören könnte.

Zu all den Schwierigkeiten gesellt sich noch ein neuer Schüler, der Olive das Leben schwermacht: Colin Fantino, der Sohn einer bekannten amerikanischen Moderatorin. Er ärgert Olive, wo er nur kann, und macht auch ansonsten eine Menge Schwierigkeiten. Denn Colin verfolgt nur ein Ziel – er will wieder zurück in die USA, zurück zu seinen Freunden und erst recht zu seiner Schwester, die wie er unter den ungesunden Familienstrukturen zuhause leidet. Er selbst versucht durch Selbstverletzung diesem ständigen äußeren und inneren Druck zu entkommen. Dass das nicht lange gutgehen kann, ist absehbar.

Too much

Der dritte und Abschlussband der Reihe ist wie die beiden vorigen zwar als romantischer Roman angelegt, schwebt dabei aber nicht in einer rosaroten Blase, sondern bringt durchaus detailreich die Schwierigkeiten auf den Plan, die das Leben bereithalten kann. Er bringt damit mehr Authentizität und Plausibilität in die Geschichte. Das ist einerseits gut, denn reine Love-Stories sind seicht, durchschaubar und damit langweilig. Allerdings habe ich nach dem Lesen der Reihe und ähnlicher Romane in der letzten Zeit das Gefühl, dass damit zum einen übertrieben wird und zum zweiten das – ich nenne es jetzt einfach beim Namen, weil ich es mittlerweile so empfinde – Auswalzen der Probleme (zumal sie schwerwiegend und arg mannigfaltig für je nur eine einzige Figur sind) anscheinend gerade in Mode ist. Das ist auf Dauer too much. Da hilft auch irgendwann die Triggerwarnung nicht mehr, denn eigentlich dürfte man diese Romane aufgrund der zahlreichen Problemfelder gar nicht mehr lesen, weil man ständig getriggert werden kann. Ob das alles Sinn der Sache ist? Ich hoffe nicht.

Das zweite, was mir bei dieser Art der neuen Jung-Adult-Romane auffällt, sind die nur graduell unterschiedlichen Figuren. Gerade, wenn in der Ich-Form erzählt wird, ähneln sich die Mädchen- und Jungenfiguren doch sehr (z.T. bis in den Wortlaut hinein), sodass man sie irgendwann durcheinanderwirft. Das wird besser in der Er/Sie-Erzählung gehandhabt; so kann man die Unterschiede wohl leichter herausarbeiten.

Ansonsten legt die Autorin aber merkbar Wert auf einen stimmigen Spannungsaufbau und die Plausibilität ihrer Figuren und Situationen. Außerdem zeigt sie anhand ihrer Figuren auf, dass Probleme zwar immer vorhanden sein können, es aber Wege gibt (auch wenn diese oft genug krumm und bucklig verlaufen), sie in Angriff zu nehmen und damit letztlich umzugehen. Das kann Leser*innen in ähnlichen Situationen Mut machen und Lösungsstrategien aufzeigen. Und es zeigt, dass man nicht perfekt sein muss, um eine Liebesbeziehung zu verdienen und selbst unter widrigen Umständen zu führen. Der Roman zeigt aber auch, dass man sich für Beziehungen weiterentwickeln und aus Fehlern lernen (sich also ständig selbst reflektieren) muss – ein Status Quo der weiblichen und männlichen Figuren würde jegliche menschliche Beziehung früher oder später schrotten, nicht nur Liebesbeziehungen.


Genre: Jung Adult, Romantik, schwierige Lebenssituationen
Illustrated by LYX

Dunbridge Academy 2: Anyone

Dunbridge Academy - Anyone
 - Sarah Sprinz - PBNur beste Freunde?

Victoria Belhaven-Wynford und Charles Sinclair sind schon seit langer Zeit beste Freunde. Was beide allerdings voreinander verschweigen: Sie lieben sich gegenseitig. Aber immer wieder verhindern Befürchtungen und diverse Verstrickungen, dass sie sich ihre Liebe gestehen. Stattdessen lässt Charles das Gerücht aufkommen, er sei in Eleanor verliebt. Und Victoria geht eine Beziehung mit Valentine ein – vor dem sie allerdings nicht nur ihre Freundinnen, sondern auch Charles immer wieder warnen. Denn dieser verhält sich Frauen gegenüber toxisch. Nur will Victoria das nicht wahrhaben, da sie auch sieht, woher Valentine seine psychischen Schäden hat. Statt sich von ihm abzuwenden will sie Valentine helfen. Allerdings nimmt dieser keine Hilfe an, dafür demütigt er Victoria immer wieder. Trotzdem bleibt Victoria weiterhin an seiner Seite. Aber als sie erfährt, dass Charles zusammen mit Eleanor bei der alljährlichen Romeo-und-Julia-Aufführung den Romeo und Eleanor die Julia spielen wird, wird es immer schwerer für sie, ihre Gefühle für Charles zu unterdrücken. Als wäre das noch nicht genug, soll sie für die Drehbuch-AG die Liebesgeschichte zwischen den beiden verfassen. Und auch in Victorias Familie läuft nicht alles rund: Ihre Mutter hat erneut angefangen zu trinken.

 

Romantische Verwicklungen, Substanzmissbrauch, toxische Beziehungen

Der zweite Teil der Trilogie befasst sich mit einem Freundespaar von Emma und Henry: Victoria und Charles. Emma und Henry kommen zwar auch vor, nehmen aber jetzt Nebenrollen ein, da sowohl Charles als auch Victoria in Vergangenheit und Gegenwart mitsamt ihren Schwierigkeiten und Gefühlen näher beleuchtet werden. Es geht dabei eher nebenbei um den Konflikt Bürgertum-Geldadel und darum, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, denn der (Geld-)Adel hat so seine eigenen Schwierigkeiten. Alkoholsucht z.B. macht jedwede Familie kaputt und Sprinz zeigt, wie sehr Victoria und ihre Familie im co-abhängigen System gefangen sind. Valentine nimmt Drogen, um sich dem schädigenden Druck seiner reichen und mächtigen Familie zu entziehen, und er demütigt andere, um sich selbst zu erhöhen.

Victoria geht eine Beziehung mit Valentine ein, um über ihre Liebe zu Charles hinwegzukommen, aber auch, weil sie Valentine anziehend findet. Aber ihr kaum vorhandenes Selbstbewusstsein verhindert, dass sie dieser toxischen Beziehung rechtzeitig den Rücken kehrt – sie hat in ihrer Familie gelernt, sich und ihre Bedürfnisse zu unterdrücken und zu funktionieren. Immer wieder wird in ihren Formulierungen und Gefühlen deutlich, dass sie in die Falle der typisch-patriarchalen Rolle einer sich (auf)opfernden Frau tappt und dort lange verharrt, bis sie endlich ihren Zweifeln, ihren Gefühlen und ihren Freunden Gehör schenkt und sich nach und nach Selbstbewusstsein erarbeitet, das sie aus dieser Opferrolle befreit, die sie als Tochter und als Girlfriend innehat.

Diese emotionalen Stürme und Schmerzen tun schon beim Lesen weh, sodass die Triggerwarnung des Buches – toxische Beziehung, Essstörung, häusliche Gewalt, Substanzmissbrauch und Abhängigkeit – gerechtfertigt ist. Denn nicht nur die Hauptfiguren Victoria und Charles werden vorgestellt, sondern auch Victorias schwuler Bruder und dessen Boyfriend, der in einem gewalttätigen Zuhause lebt.

Die Buntheit von Beziehungen ist also ebenfalls Thema des Bandes, aber eher nebenbei – so sollte es auch in der Realität sein: Liebevolle Beziehungen, egal welcher Art, sollten so selbstverständlich sein, dass man keine großen Worte mehr darüber verlieren muss. Dass Beziehungen durchaus schwierig sind, kommt der Realität schon sehr nahe und korreliert auch mit dem Stoff von Romeo und Julia, die sich ebenfalls Schwierigkeiten gegenübersehen. Aber im Gegensatz zu deren tragischem Ende setzen die Figuren in diesem Band alles daran, ihre Schwierigkeiten anzupacken (wenn auch ganz realistisch mit Rückschlägen), zu überwinden und sich weiterzuentwickeln. Dabei helfen ihnen (Selbst-)Reflexionsfähigkeit, Kommunikation und Freundschaften. Es wird also auch gezeigt, wie man mit Schwierigkeiten umgehen könnte.

Was mich aber persönlich etwas gestört hat, ist das kaugummiartige Hinziehen der Beste-Freunde-Sache und die Verbohrtheit Victorias, was Valentine angeht, obwohl beides durchaus plausibel entfaltet wird. Das ist aber wohl meinem persönlichen Geschmack geschuldet.

 

Fazit

Romantische Verwicklungen mit Tiefgang. Für Teenager und junge Erwachsene.


Genre: Romantik, Substanzmissbrauch, toxische Beziehungen
Illustrated by LYX

60 Jahre Winnetou-Film

60 Jahre Winnetou-Film. Vor 60 Jahren kam der erste Winnetou in die deutschen Kinos: Der Schatz im Silbersee. Michael Petzel hat aus aktuellem Anlass seine Ausgabe zum 50er nochmals neu überarbeitet und stellt auf 200 Seiten in 154 farbigen und 23 s/w Abbildungen die schönste Erfolgsgeschichte des deutschen Filmwunders dar. Aber nicht nur Pierre Brice oder Lex Barker stehen hier im Rampenlicht, sondern auch Marie Versink, Stewart Granger, Ralf Wolter oder Uschi Glas u.v.a.m.

Winnetou ideal besetzt

Die schönsten Ausschnitte und Szenen aus den Winnetou-Filmen stehen im Mittelpunkt dieser zweiten, neu überarbeiteten Auflage von “50 Jahre Winnetou-Film”. Dabei war es damals, vor 60 Jahren, als “Der Schatz im Silbersee” gar nicht so sicher, ob die Verfilmung des Karl May Klassikers ein Erfolg werden würde. Schließlich hatten sich schon Generationen von Jugendlichen (Jungs UND Mädchen) einen Fantasie-Winnetou ausgemalt, wie er von der Literaturvorlage (Erscheinungsdatum ca. 1891) zwar inspiriert aber niemals wirklich existiert hatte. Aber mit der Besetzung des Winnetou durch Pierre Brice gelang das, was nur in seltenen Fällen Realität wird.

Winnetou als Inspirator

Dabei lebte seine Darstellung eigentlich vor allem vom Understatement. Regisseur Harald Reinl erzählte, dass Brice sich darüber sogar bei ihm beschwert habe, nur herumstehen zu müssen. Aber bei Winnetou reichte eben gerade die bloße Präsenz. Dass Winnetou als Identifikationsfigur für die deutsche Jugend von anderen Vorbildern Ender Sechziger Jahre abgelöst worden sei, wie Petzel moniert, darf angesichts seiner Ideale doch angezweifelt werden. Denn war es nicht gerade “Mut, Aufrichtigkeit und Treue”, die von der aufbegehrenden 68er Jugend von ihrer Elterngeneration eingefordert wurde? Insofern könnte man also umgekehrt wie Petzen behaupten, dass gerade Winnetou die deutsche Jugend in ihrem Aufstand gegen ihre Eltern bestärkt hatte, in dem er an die wahren Tugenden in ihren Herzen appelliert hatte. Der 1968 erschienene und letzte Winnetou-Film, Winnetou und Shatterhand im Tal der Toten, war zwar ein Flop und gibt insofern Petzen vielleicht recht. Jedoch gab es inzwischen einfach auch schon mehr Identifikationsangebote an die deutsche Jugend.

Winnetou in Wort, Bild und Sound

Wie dem auch sei, die vorliegende Publikation entführt in die eigene Jugend und zeigt die teilweise unter dramatischen Umständen geretteten Filmstills aus Grobnik polje bei Rijeka und anderen Drehorten in Kroatien. Die Fotos werden mit originalen Zitaten aus den Karl May Bestsellern ergänzt und auch mit Orten und Jahren beschriftet. Michael Petzel hat die Fotos chronologisch nach dem Erscheinen der elf Winnetou Filme geordnet und mit Kapitelüberschriften und -texten versehen. Wer sich dazu noch den Böttcher Soundtrack “Die große Karl May Soundtrack-Box“, 3 CDs digital remastert, Art-Nr.: 52089 beim Verlag, leistet, wird mit Sicherheit seinen Lesegenuss noch verstärken können. Unvergessliche Erlebnisse und Tagträume garantiert.

Michael Petzel
60 Jahre Winnetou-Film
Zweite, überarbeitete Auflage von “50 Jahre Winnetou-Film”
2022, Hardcover, 22,0 x 19,5 cm, 200 Seiten
ISBN: 978-3-7802-3094-2
Karl-May-Verlag GmbH
34,- €


Genre: Film, Jugendliteratur, Romantik
Illustrated by Karl May Verlag

The Girl in the Love Song

The Girl in the Love Song
 - Emma Scott - PBDie ungeliebte “friend zone”

Ausgerechnet an ihrem Geburtstag tritt er in ihr Leben – Miller Stratton, ein sehr musikalischer Junge, der aber ein Geheimnis vor Violett hat: Er ist bitterarm und er will sich vor seiner reichen besten Freundin keine Blöße geben. Vom Vater verlassen wohnen seine Mutter und er in ihrem Auto, haben keine feste Bleibe und die Mutter muss zweifelhaften Jobs nachgehen, damit die Familie überhaupt überleben kann. All das prägt Miller zutiefst. Aber in Violett hat er eine zuverlässige Freundin gefunden, die ihm sogar das Leben rettet. Denn Miller hat Diabetes und weiß es nicht. Violett, die Ärztin werden will, regiert sofort, als er einen Schock erleidet, und kümmert sich ab diesem Zeitpunkt sorgfältig um Millers Gesundheit. Miller empfindet schon bald mehr für das großherzige Mädchen, aber Violett will ihre Freundschaft nicht für eine Liebesbeziehung aufs Spiel setzen, denn sie sieht an ihren völlig zerstrittenen Eltern, wohin eine Ehe führen kann. So leidet Miller heimlich, verarbeitet seine Gefühle aber in seinen Songs. Die gefallen irgendwann auch anderen und so nimmt seine musikalische Laufbahn durch Glück und Talent seinen Lauf. Als er es an die Spitze schafft, hat sich aber sein größter Traum nicht erfüllt: Violett ist immer noch „nur“ seine beste Freundin.

 

Raus aus den typischen Rollen für Frau oder Mann

Die in sich abgeschlossene Geschichte ist natürlich eine romantische Story: Die Charaktere merken, dass sie sich nicht nur mögen, sondern auch lieben. Aber wie bei romantischen Stories üblich haben sie mit vielen Hindernissen zu kämpfen, bis es vielleicht ein Happy End gibt. Dabei trifft die Autorin genau das richtige Tempo in der Entwicklung dieser Gefühle und wie mit ihnen umgegangen wird.

Liebeswirren sind den jungen Leser*innen schon bekannt, und diese können völlig unterschiedlich aussehen. Scott wählt hier Hindernisse, die eher nicht im Außen, sondern im Inneren eines Menschen ihren Ursprung haben: eine unglückliche Kindheit und Jugend, schädlich vorgelebte Rollen, Scham. Die Psyche spielt eine große Rolle in Beziehungen bzw. darin, ob man bereit ist, eine Beziehung und damit Nähe zuzulassen oder nicht. Und das bereitet das Buch hier sehr verständlich auf, wobei diese inneren Konflikte durchaus gern zum Spannungsaufbau genutzt werden, da sie sich hierfür anbieten.

Auch in diesem Buch gibt es wieder Triggerwarnungen: häusliche Gewalt, Krankheit von Angehörigen, Armut, Mobbing. Ich persönlich finde diese Warnungen gut, da man sich dann überlegen kann, ob man dieses Buch lesen will oder nicht. Allerdings habe ich auch schon gehört, dass allein die Triggerwarnungen triggern können. Wenn man allerdings bereit ist, sich seinen Ängsten zu stellen, bietet dieses Buch auch Möglichkeiten an, wie man mit Schwierigkeiten umgehen könnte.

Eine ganz zentrale Möglichkeit sind Freunde und das Sprechen über Dinge, die nicht gut laufen. Denn so hat man die Chance, mehrere Blickwinkel auf eine Sache zu erhalten und damit neue Ideen, wie man mit schwierigen Situationen umgehen könnte. Auch die Erleichterung und der Mut, den man aus guten Gesprächen schöpfen kann, sind nicht unerheblich für Problemlösungen.

Dabei gibt es aber auch in diesem Buch – wie im Leben auch – keine geraden Wege. Aber vielleicht sind ja v.a. die Umwege diejenigen, aus denen man letztlich am meisten lernen kann. Die Figuren haben Macken, auch Krankheiten, sie sind nicht perfekt. Sie ergehen sich aber nicht in ihren Leiden, sondern packen nach Phasen des Trauerns und der Tiefschläge immer wieder das Leben neu an. Die Kunst und die Träume, was man mit seinem Leben anfangen will, sind dabei zentrale Kraftquellen und im Fall der Kunst auch Katalysatoren, die wertgeschätzt werden.

Überhaupt ist mir in der sogenannten „Trivialliteratur“ und (nicht nur) in amerikanischen Teenagerfilmen immer wieder aufgefallen, dass diese Probleme in der Gesellschaft ansprechen und auf ihre Weise bearbeiten. Gerade in amerikanischen Filmen z.B. sind die Stars nicht die propagierten Sportler oder Cheerleader oder sonstwie beliebten Schüler*innen in der High School, sondern die „Nerds“ und ihre Lebenswelt. Schaut man sich an, was aus vielen Nerds geworden ist, weiß man, wie wenig sinnvoll patriarchalische Wertvorstellungen sind – die in solchen Filmen und in der Literatur auch direkt oder indirekt kritisiert werden. Denn männliche Sportler-Machos will eigentlich niemand, ebenso wenig weibliche seichte Barbie-Puppen, schlimmstenfalls noch garniert mit einem schlechten Charakter. „Nerds“ und Außenseiter dagegen haben viel mehr zu bieten, sind tiefsinniger und halten einer Gesellschaft, die auf Äußerlichkeiten und patriarchale „Werte“ Wert legen, den Spiegel vor. Man denke nur an Till Eulenspiegel oder die damaligen Hofnarren, die das Gewissen der Gesellschaft waren. In diesem Buch wird z.B. ein Typ Mann vorgestellt, der weit ab vom Krieger- und Sportlertyp ist, der aber tiefsinnig und komplex ist und dabei sehr kreativ. Außerdem lässt er Gefühle zu und verarbeitet sie.

Auch Violett fällt aus der Rolle, die für sie vorgesehen ist, weil sie diese kritisch hinterfragt und mutig genug ist, ihre eigenen Vorstellungen zu verfolgen. Sie zeigt Stärke und steht damit für eine typische Frau nicht im Sinne des Rollenklischees, in welchem eine Frau eher schwach und naiv sein muss, um dem Mann nicht im Weg zu stehen, sondern bildet eine Realität ab, in der Frauen gerade in einem System, das sie unterdrücken will, stark sind und auch sein müssen, um nicht nur zu überleben, sondern auch zu leben.

 

Fazit

Gelungenes Buch über Beziehungen, die wie in der Realität nicht immer einfach sind. Das Buch zeigt, dass jede*r ihr/sein eigenes Päckchen zu tragen und abzuarbeiten hat und in eine Beziehung mitbringt. Aber Eigenschaften (wie eine gute Kommunikationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Unterstützung, Verständnis), die traditionell als feminin angesehen werden (die aber zentral sind für das Herdentier Mensch, um in einer Gesellschaft nicht nur zu bestehen, sondern glücklich zu werden und das Leben insgesamt zu verbessern!), garantieren damit auch das Finden und Erhalten einer guten Liebesbeziehung. Also von wegen „trivial“!


Genre: psychische Probleme, Romantik, soziale Probleme
Illustrated by LYX

Lonely Heart

Lonely HeartBeziehung unter schwierigen Bedingungen

Rosie hat gegen den Willen ihres Vaters eine eigene Webradio-Show aufgebaut, die mittlerweile beim jungen Publikum sehr gut ankommt. Mit ihrer einfühlsamen Art kann sie sogar Stars für ein Interview gewinnen, so auch die Band „Scarlet Luck“. Rosie verbindet mit der Band schon seit Jahren gute Gefühle und hilfreiche Momente, da ihre Musik sie in schwierigen Situationen getröstet hat. Außerdem ist sie Fan von Adam, dem Schlagzeuger der Band. Dementsprechend aufgeregt ist sie, als die Band einwilligt, in ihr Studio zu kommen. Aber dann geht aufgrund eines Fehlers ihrer Assistentin alles schief: Die Band verlässt verärgert frühzeitig die Show und danach prasselt ein nie gekannter Hassstrom auf Rosie ein. Das ist sogar „Scarlet Luck“ zuviel, sodass sie mit Rosie ein Zeichen gegen Hass im Internet setzen wollen. Rosie besucht also ihr Konzert, und die Band macht mit ihr ein Solidaritäts-Foto. Dabei kommen sich Rosie und Adam, der aufgrund eines Traumas keine Berührungen erträgt, ein wenig näher. Adam, ein gebrochener Mann, versucht seine Ängste in exzessiven Konzerten und mindestens ebenso extensivem Alkoholmissbrauch zu ertränken. Aber durch die einfühlsame Rosie gewinnt er allmählich wieder ein wenig Kontrolle über sich. Rosie selbst verliebt sich in Adam und versucht für ihn dazusein. Aber das Leben macht der zart erblühenden Liebe immer wieder einen Strich durch die Rechnung.

Sucht- und andere Probleme

Das Buch enthält zu Recht eine Warnung vor triggernden Inhalten. In diesem Fall sind das Substanzmissbrauch, Depressionen, Panikattacken und die Andeutung von sexueller Gewalt. Deshalb ist für mich nicht nachvollziehbar, warum ein Verlag immer noch auf solch nichtssagende und seichte (kundenfangende) Titel setzt wie „Lonely Heart“, weil das den Inhalt unnötig bagatellisiert und der Qualität des Buches nicht gerecht wird. Solche Titel sind für seichte Bücher in Ordnung, aber seicht ist dieses Buch nicht, da es z.T. bis ins Detail das Leben mit Süchten, Depressionen und Panikattacken beschreibt. Das Buch folgt einem in meinen Augen guten Trend, der anscheinend gerade im Schwange ist: die als trivial angesehene Frauenliteratur aus der Nische der Trivialität herauszuholen, indem es u.a. Romantik und Livestyle mit ernsten Problemen koppelt – so wirkt das Erzählte lebensnäher und weit weniger seicht und trivial als in so manch anderem Buch, das tatsächlich nur eine oberflächliche Love-Story erzählt. Bzgl. sexueller Gewalt ist diesmal auch keine Frau betroffen (die sonst die undankbare Opferrolle innehat), sondern ein Mann.

Was tatsächlich laut Erfahrungsberichten und Fachliteratur zu seicht geraten ist, ist die Vorstellung, dass Liebe einen aus der Sucht befreit. Hier greift in der Realität eher die Rolle der Co-Abhängigkeit der Angehörigen und (Ehe-)Partner*innen. Liebe kann nur dann etwas bewirken, wenn der alkoholabhängige Mensch aus freiem Willen der Abhängigkeit entkommen möchte. Meist ist das, wenn überhaupt, aber nur der Fall, wenn er an einem Tiefpunkt seines Lebens angekommen ist und alle anderen ihn verlassen haben. Weil das Buch triggern könnte, aber auch für Leser*innen, die von den triggernden Inhalten unbelastet sind, sind manche Passagen trotzdem gefühlsmäßig schwer zu ertragen. Im Prinzip wird ein ständiges Wechselbad der Gefühle entfacht. Das zeigt aber auch, dass die Autorin es versteht, die Leser*innen an das Buch zu binden. Zudem zeigt die Autorin an der Entwicklung der Hauptpersonen, wie man sich aus schwierigen Situationen wieder herauskämpft, was durchaus Vorbildcharakter hat. Und dass im Showbusiness nicht alles Gold ist, was glänzt. Außerdem werden Gefahren wie Hetze und Mobbing im Netz angesprochen und gezeigt, welche Folgen das für die Betroffenen haben kann. Die Autorin ist also ziemlich nahe an der Welt ihrer jungen Leser*innen dran. Dabei schreibt sie spannend und sensibel, sodass man sich als Leser*in gut in die Personen und Situationen einfühlen kann.

Das Buch leitet eine Reihe ein.

Fazit

Insgesamt also empfohlen und definitiv keine Trivialliteratur, auch wenn sie durch den unpassenden Titel auf den ersten Blick als solche daherkommen mag.


Genre: Jung Adult, Romantik, Sucht
Illustrated by LYX

“Someone new” und “Someone else”

Someone NewAlles ganz normal?

Micah stammt aus reichem Elternhaus und hat damit alle Chancen, ebenfalls Karriere zu machen. Nach dem Willen ihrer erfolgreichen Eltern soll sie Jura studieren. Als gehorsame Tochter fängt sie tatsächlich ein Jura-Studium an, kann aber mit den staubtrockenen Lehrthemen wenig anfangen. Denn eigentlich hat Micah eine ganz andere Leidenschaft: Sie liest und zeichnet Comics. Deswegen würde sie gern Kunst studieren, aber da das als brotlose Kunst gilt, betreibt sie das Zeichnen nur nebenher. Allerdings wandelt sie sich langsam, als sie in ihre eigene Wohnung zieht: Eh schon quirlig und zielstrebig veranlagt findet sie unter neuen Freund*innen immer mehr zu sich selbst. Dazu verhilft ihr auch ihr Nachbar Julian, der zuerst kühl und abweisend auf sie reagiert, dem sie aber keine Chance zum Rückzug lässt, denn sie hat sich längst in den hübschen, kleinen Mann verguckt. Julian scheint schließlich unter ihrer fröhlich-liebenswerten Art langsam aufzutauen, trotzdem wird Micah das Gefühl nicht los, dass er ihr etwas Wichtiges verheimlicht. Und das führt zu einigen Komplikationen.

Someone Else

Währenddessen haben Julians WG-Mitbewohner*innen Cassie und Auri eigene Probleme. Die Diabetikerin Cassie absolviert ein Literaturstudium und ist begeisterte Fantasy-Leserin und Cosplayerin. Ihr bester Freund Auri dagegen hat sich dem Sport verschrieben, v.a. dem Football. Allerdings führt er ein Doppelleben, denn auch er mag alles, was mit Fantasy zusammenhängt – aber er fürchtet die Reaktionen seiner Footballfreunde und seiner Familie, sollten sie jemals etwas von diesem Hobby erfahren. Cassie, die Auri heimlich liebt, findet, dass er zu sich stehen sollte. Dass Auri nicht zu sich und damit auch zu Cassie stehen will, verursacht immer wieder Verletzungen und Streit.

Alles ganz normal!

Die o.g. beiden ersten Bücher dieser Reihe kommen auf den ersten Blick wie „ganz normale“ romantische Trivialromane einher, denn die Liebesirrungen und -wirrungen stehen hier eindeutig im Vordergrund. Was diese Romane aber von anderen klar unterscheidet, ist die Leichtigkeit, mit der die Autorin Themen einflechtet, die nach der offiziellen Meinung der Gesellschaft eher Randerscheinungen und damit außerhalb der Norm angesiedelt sein sollen, trotzdem aber in Wahrheit inmitten der Gesellschaft und damit im konkreten Alltag existieren: Krankheiten wie Diabetes und der Alltag mit einer solchen Krankheit, Homosexualität, Transsexualität, Liebesbeziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarben und Größen, die Liebe zwischen einer älteren Frau und einem deutlich jüngeren Mann, sich behaupten gegen Bodyshaming, Teenagerschwangerschaft, „Nerds“ (Fantasy, Metal, Horror…), Migration.

Das scheint auf den ersten Blick viel an „außergewöhnlichen“ Themen zu sein, wird aber von der Autorin so selbstverständlich und wie nebenher behandelt und eingeflochten, dass es zu dem wird, was es de facto auch ist: eine ganz normale Sache. Kneidl stellt mit ihren Büchern und dem Setting der sogenannten Trivialliteratur (die bei genauerer Betrachtung gar nicht so trivial ist) die Vielfalt des Lebens dar – und diese Vielfalt ist inmitten des Lebens, des Alltags und sie ist sowas von normal! Sichtbar wird das an ihren Figuren, die trotz oder gerade wegen ihrer „Andersartigkeit“ ganz normale Leute sind – die aber wegen einer konformen, nicht über den Tellerrand blicken wollenden Gesellschaft nicht als normal gesehen werden. Und deshalb werden Micah, Cassie, Auri, Julian und all die anderen von genau diesen Vertreter*innen der konformen Gesellschaft immer wieder behindert, ausgegrenzt und diffamiert, was die beiden Romane nicht verschweigen. Sie bieten aber auch Lösungen an in Form von neuen Freundschaften, Lautsein und sich stark machen für die eigenen Rechte, zu sich selbst stehen, sich Gleichgesinnte suchen, sich gegenseitig unterstützen, aber auch ehrlich miteinander sein.

Was also in der Rahmengestaltung vermeintlich trivial daher kommt (die unsäglichen Buchtitel allein hätten mich wohl wirkungsvoll vom Lesen abgehalten), ist von den Themen und der Selbstverständlichkeit der Themen, die ja wirklich mitten im Alltag vorkommen, alles andere als trivial, sondern zentral. Denn die Natur arbeitet mit Diversität als Überlebensprinzip, und wer die Augen aufmacht und über den Tellerrand blickt, der sieht das auch an jeder Ecke und Kante. Von daher sehr gelungene Bände und: Gern mehr davon! Mindestens eine Fortsetzung gibt es schon: „Someone to stay“.

Einziger Wehrmutstropfen: Warum müssen die Romane, selbst wenn sie von deutschsprachigen Autor*innen verfasst werden, mit amerikanischem Setting arbeiten, das zumal beim Lesen etwas unecht wirkt? Ich finde das völlig unnötig; all das kann man genauso gut in jedem anderen Land ansiedeln, also auch im deutschsprachigen Raum. Da hat der Verlag wohl auf Verkaufszahlen gedrängt, weil das Amerikanische angeblich besser ankommt. Schade!


Genre: Diversität, Roman, Romantik
Illustrated by LYX