Alibi für ein Todesspiel

Wenn jemand neue Münster-Krimis ersinnen kann, dann ist es Bela Bolten. Der gebürtige Westfale fuhr jahrelang Taxi in der Metropole und kennt jeden Winkel rund um den Prinzipalmarkt. Entsprechend authentisch sind seine Tatorte, sei es das »Hotel Krautkrämer« oder das »Café Klatsch«.

Bolten erschafft in dem Piloten seiner Münster-Reihe ein Ermittlerpärchen aus einem vorbestraften und leicht verkommenen Jungunternehmer und einer brillant aussehenden Schauspielerin, die nach einem Motorradunfall querschnittsgelähmt ist. Die beiden betreiben eine Alibi-Agentur, deren Sinn und Zweck darin besteht, Fremdgängern ein hieb- und stichfestes Alibi für ihre Auszeit zu beschaffen. Dummerweise wird gleich der erste Doppelgänger erstochen, und da stellt sich die Frage, ob es sich um eine Verwechselung oder um Absicht handelte.

Der Autor erzählt flüssig und schafft es, den Leser in seinen Erzählstrang einzubinden. Hinsichtlich der Personenentwicklung überzeugt er mich – ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Krimis – nicht vollends. Auf der einen Seite kommt anfangs ein Herr Tom ins Spiel, der sich regelmäßig um das Liebesleben der behinderten Schauspielerin kümmert, dann aber bald vergessen wird und keine Rolle im Geschehen spielt.

Auf der anderen Seite entwickelt die arbeitssuchende Dame schon beim Vorstellungsgespräch eine derartige Dominanz, dass man sich sofort fragt, welcher Unternehmer sich das wohl bieten lässt. Und warum spricht die engagierte Arbeitssuchende nicht mit der gleichen Frechheit im Theater vor, denn auch dort gibt es viele Rollen, die Rollstuhlfahrern auf den Leib geschnitten sind, oder wendet sich gleich an eines der blühenden Inklusionstheater?

In der Diktion erzählt Bolten nüchtern und sachlich. Leidiglich bei Position 1075 wird er direkt leidenschaftlich, als er sich zur »Diktatur der Gourmets« äussert und gegen die »Schreckensherrschaft der Caffé-Latte-Despoten« wettert. Da spürt der Leser, dass der Autor sehr viel mehr kann.

Insgesamt ist »Alibi für ein Todesspiel« ein gut lesbarer Kriminalroman, der unbedingt in den Münsteraner Buchhandel gehört.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Kindle Edition

Golanhöhen

BischoffMan muss nur tief genug in der Vergangenheit des Kriminalkommissars wühlen, dann findet man schon den Mörder. So scheint seit einiger Zeit ein unumstößliches Krimi-Gesetz zu lauten. Egal, ob man „Tatort“ einschaltet oder einen Kriminalroman aufschlägt – ohne persönliche Verwicklungen der ermittelnden Personen geht es anscheinend nicht mehr. Der unbeteiligt ermittelnde Kommissar wurde wohl in Rente geschickt. Da macht auch der neue Roman „Golanhöhen“ von Marc-Oliver Bischoff aus der bewährten Dortmunder-Krimi-Schmiede (Grafit Verlag) keine Ausnahme. Aber soviel vorab: Dies ist auch schon der einzige zu bemängelnde Punkt und zugegebenermaßen auch persönlichem Überdruss geschuldet. Davon abgesehen ist das Buch ein außerordentlich gut gemachter Krimi, angemessen düster, intelligent aufgebaut und erzählt.

„Golanhöhen“ ist der dritte Teil von Bischoffs Frankfurt-Trilogie. Während in den ersten beiden Teilen noch Kriminalpsychologin Nora Winter ermittelte, steht aufgrund ihres Erziehungsurlaubs diesmal ihr Mann Gideon an der Spitze der Ermittlungen – zumindest so lange, bis er degradiert und suspendiert wird. Der Plot ist zum größten Teil angesiedelt in den heruntergekommenen Sozialbauten am Frankfurter Ben-Gurion-Ring, welche den unglücklichen „Spitznamen“ Golanhöhen tragen. Dieses Viertel gleicht in Frankfurt „einem schwarzen Loch. Armut zieht Armut an. Probleme bringen weitere Probleme mit sich“. Der noch positivste Lerneffekt, den ein Bewohner dort mitnehmen kann, ist Selbstmitleid. Selbstmorde sind alltäglich. So geht auch Gideon Richters Team zunächst von einer Selbsttötung aus, als sie zu einem Todesfall in den Sozialbauten gerufen werden. Doch Gideon hat Zweifel. Die Tote ist erst vor kurzem aus der Haft entlassen worden, warum sollte sie sich ausgerechnet jetzt vom Dach stürzen? Und was ist mit dem toten Baby, dass in der Mülldeponie gefunden wurde? Hängen die beiden Fälle zusammen?

Gideon allerdings tut sich ausnehmend schwer, sich auf die Ermittlungen zu konzentrieren. Den frischgebackenen Vater lassen Ermittlungen um ein totes Baby und eine Frau, die als Kindsmörderin inhaftiert war, ganz und gar nicht kalt. Dazu kommt eklatanter Schlafmangel, denn das Baby lässt Nora und ihm nicht viel Ruhe. Deshalb leidet er unter unerklärlichen Blackouts, von denen er befürchtet, dass sie nicht nur aus den schlaflosen Nächten resultieren. Und dann muss er sich auch noch besagten ungeklärten Dingen aus seiner Vergangenheit stellen, die plötzlich den Fall unerwartet tangieren. Gideon verliert Distanz und Objektivität und trifft einmal zu oft eine unhaltbare Entscheidung.

Bischoff beginnt den Roman zwar mit einem rasanten Prolog, läßt sich dann aber Zeit, den eigentlichen Fall ganz ruhig und detailliert, dabei aber an jeder Stelle spannend zu beginnen. Im weiteren Verlauf steigert er sein Tempo, die Brechstange bleibt dabei dankenswerterweise weggeschlossen. An jeder Stelle lässt er sich Zeit, alle Aspekte des Falls und der Ermittlungen in einem wohltuend unaufgeregten Schreibstil auszuleuchten. Ausführlichen Platz bekommt dabei auch die Betrachtung heutiger Arbeitsbedingungen. Unterbesetzte Teams, Stress, die Schwierigkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, die stillschweigend vorausgesetzte Bereitschaft, auch über vertragliche Arbeitszeit hinaus bereitwillig parat zu stehen, auch und gerade bei Teilzeitkräften – Themen, die sicher nicht nur, aber eben auch Polizei-Teams beschäftigen. Bischoff zeigt am Beispiel von Gideons Team explizit und kritisch, wie sehr das so oft gehörte ungute „Sei froh, dass Du noch einen Job hast“ bereits gesellschaftlich akzeptiert ist. Dass dem Leser auch bei solchen Exkursen nicht langweilig wird, liegt nicht nur am Wiedererkennungswert, sondern sicher auch an der Fähigkeit des Autors, nicht nur geschliffen zu formulieren, sondern sich auch ohne Anbiederung in seinen Dialogen den jeweiligen Schichten gut und glaubwürdig anzupassen. Spannend zum Schluss der Mut des Autors, ausgerechnet eine Trilogie mit einem offenen Ende zu beschließen.

Marc-Oliver Bischoff kam über das Bloggen zum Schreiben, sein erster Krimi „Tödliche Fortsetzung“ wurde gleich mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Er lebt in Ludwigsburg und arbeitet dort als Technologieberater.

Erstveröffentlichung dieser Rezension in den Revierpassagen.de


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Grafit Dortmund

Die Stillen müsst ihr fürchten – Tatort Köln

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Ein psychopathischer Killer vergewaltigt und ermordet junge Frauen in Köln auf brutale Weise. Nach dem Mord stellt er Bilder der toten Frauen in die Facebook-Profile der Toten. Die Kripo Köln um Lasse Brandt ermittelt auf Hochtouren, da der Mörder bereits seine nächste Tat angekündigt hat. Zu allem Überfluss bekommt Brandt einen neuen, unerfahrenen Partner an seine Seite gestellt. Kann die Kripo Köln den Täter schnappen, bevor die nächste junge Frau ihm zum Opfer fällt oder wird Brandt selbst zur Zielscheibe des Psychopathen?

Nach zwei Frauenleichen, deren Fotos im social media auftauchen und die Kölner in einen Zustand der Schockstarre versetzen, scheint es für Kommissar Lasse Brandt und seinen neuen  Kollegen, als sei der Täter immer einen Schritt voraus. Der Täter jedoch lässt den Leser an seiner kranken Handlungsweise teilhaben und führt die Polizei weiterhin an der Nase herum. Fieberhaft versucht das Team der Ermittler eine Gemeinsamkeit herzustellen zwischen den Opfern. Bis dies gelingt, landet die Polizei immer wieder in Sackgassen. Selbst als Brandt dem Täter gegenüber steht, gelingt es ihm nicht, ihn zu verhaften.

Der Klappentext klang wie ein beliebiger Krimi, erschien typisch: ein Psychopath, junge Frauen, die ermordet werden und ein Bulle, der irgendwie nicht genug Abstand hat. So weit schon einige Male geschrieben und nicht wirklich spektakulär. Weit gefehlt. Je weiter man eindringt in die Psyche des Mörders, umso größer wird die Spannung. Salim Güler versteht es, den Leser ins tiefste Innere des Mörders zu führen. Am liebsten möchte man der Polizei zurufen, was der Psychopath als nächstes plant. Tatsächlich tappt der Leser im Dunkeln, um wen es sich handelt. Dies offenbart sich erst zum Ende. Der Spannungsbogen wird von der ersten bis zur letzten Seite gehalten, auch weil die agierenden Figuren sehr gut charakterisiert sind. Man hat das Gefühl, jeden einzelnen zu kennen und fiebert deshalb mit. Der Täter ist ein zutiefst krankhafter und brutaler Mensch, den man im Verlauf der Geschichte am liebsten selbst massakrieren möchte. Der Autor erweckt im Leser gleichsam dunkle Seiten zum Leben, die ihn selbst erschrecken.  Andererseits möchte man dem Täter zustimmen, wenn er über die Dummheit seiner Opfer philosophiert. Bis zum Ende habe ich versucht, Abstand vom Täter und allen beteiligten Personen zu bekommen. Es ist mir nicht gelungen. Kein Krimi der üblichen Sorte sondern außergewöhnlich und überaus bestürzend.

Großartig.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Kindle Edition

World Gone By

518+X7qqFfL._SX323_BO1,204,203,200_Tampa, Florida 1943: Der Gangster Joe Coughlin hat sich aus dem aktiven Kriminalgeschäft zurückgezogen und ist (fast) nur noch als Berater für die Mafia-Familie Bartolo tätig. Gemeinsam mit Sohn Tomas pendelt er zwischen Florida und Kuba, der Heimat seiner verstorbenen Frau. Die Geschäfte florieren nicht zuletzt dank des Bedarfs an Rohstoffen im Krieg und Joe genießt höchstes Ansehen, verkehrt nicht nur in der Unterwelt von Havanna und Tampa, sondern dort auch in den besten Kreisen.

Doch die Vergangenheit fordert ihren Tribut und als er einen Hinweis bekommt, dass auf seinen Kopf ein Preis ausgesetzt wurde ist es vorbei mit dem Ruhestand. Außerdem fügen die Gesetzeshüter dem Imperium empfindliche Verluste zu, denn sie scheinen Hinweise aus dem inneren Kreis der Familie zu bekommen. Joe ist gezwungen, in sein altes Leben zurückzukehren und zieht noch einmal in die Schlacht…

Im dritten Teil der Coughlin-Trilogie (Teil eins »The Given Day«, Teil zwei »Live By Night«) zieht Dennis Lehane erneut alle Register seines Könnens und begeistert den Leser mit faszinierenden Figuren (erinnern z.T. an die der TV-Serie »Sopranos«) und spannenden Geschichten von Freundschaft, Liebe und Verrat. Wie im richtigen Leben gibt es nicht nur schwarz oder weiß, sondern alle Schattierungen und Farben dazwischen und die Protagonisten handeln in dem stringenten Plot stets nachvollziehbar, wenn auch nicht immer fehlerlos.

Bei »World Gone By« handelt es sich zwar im Gegensatz zu den Vorgängern »nur« um einen Kriminalroman oder Thriller, aber der ist hochklassig geschrieben und die historischen Hintergründe sind dabei das Salz in der Suppe. Wir treffen in dem Buch u.a. die Mafia-Größen Lucky Luciano und Meyer-Lansky, sowie den korrupten kubanischen Präsidenten Batista; allerdings sind sie gekonnt eingebettet in die Handlung und nicht nur Staffage. Dennis Lehane liefert mit »World Gone By« einen krönenden Abschluss der Trilogie, schade, dass es vorbei ist.

P.S.: Das Buch ist noch nicht in deutscher Fassung erschienen.

 


Genre: Kriminalromane, Thriller
Illustrated by William Morrow

Die Abtaucher

Als ausgewiesener Schalke-Fan in der „verbotenen Stadt“ Dortmund arbeiten zu müssen, dann noch ein wandelndes Beispiel für die alte Fußballer-Weisheit „Knie heilt nie“ zu sein und als krönende Dreingabe einen Assistenten, der sich trotz oder wegen seines Atze-Schröder-Stylings als unermüdlicher Playboy gefällt – Kriminalkommissar Georg Schüppe hat mehr als ein Problem. Da fällt sein ungeliebter Spitzname „Der Spaten“ schon kaum mehr ins Gewicht.

Derart vom Leben gebeutelt, macht er sich eher widerwillig auf zu seiner neuesten Ermittlung. Ein toter Einbrecher in einem Dortmunder Zechenhaus verspricht nun auch nicht gerade die dollste Ablenkung. Weder für ihn noch für Polizeireporter Tom Balzack, der sich mehr schlecht als recht mit seiner kleinen TV-Firma als Sensations-Zulieferer für den Boulevard durchschlägt. Doch nicht lange und der kleine Routinefall wird undurchsichtig. Drei weitere Morde folgen und an den weit voneinander entfernten Tatorten finden sich DNA-Spuren des Einbrechers aus dem Zechenhaus. Der jedoch befand sich zum Zeitpunkt der drei Morde schon in fortgeschrittener Totenstarre.

Wer legt da eine falsche Fährte und vor allem warum? „Der Spaten“ sieht die Zusammenhänge nicht, vielleicht will er sie auch gar nicht sehen. Die vage Ahnung, dass dieser Fall etwas mit ihm und seiner traurigen Vergangenheit zu tun haben könnte, lässt er zunächst nicht zu. Somit schlägt die Stunde des Reporters. Balzack ist chronisch pleite, der Konkurrenzdruck groß, ihn kann nur noch die eine, die ganz große Geschichte retten. Er erkennt den Zusammenhang zwischen den Morden, er kennt „Die Abtaucher“ aus der sogenannten guten Gesellschaft, die nun in der verqueren Logik eines Killers für einen Augenblick der Unachtsamkeit bezahlen müssen.

„Die Abtaucher“ ist das gelungene Krimi-Debüt des Journalisten Thomas Schweres und weit mehr als nur ein weiterer halbwegs gelungener Regional-Krimi. Der gebürtige Essener Schweres lebt als Schalke-Fan „undercover“ in Dortmund und treibt sich mit seiner TV-Firma vorzugsweise auf dem Boulevard herum. Ähnlichkeiten zum Protagonisten Balzack dürften also nicht rein zufällig sein.

Thomas Schweres ist ein genauer Beobachter, den versierten Rechercheur merkt man durchgängig. Er weiß genau, worüber er schreibt, in seinen langen Reporterjahren ist er zum genauen Kenner der Ruhrgebiets-Szene geworden. Die Liebe zum Pott schimmert durch, aber auf nett gemaltes Lokalkolorit beschränkt er sich dabei dankenswerterweise nicht. Schweres scheut sich nicht, auch die unangenehmen, schwierigen Seiten des Ruhrgebiets aufzuzeigen. Ob es um Schutzgelderpressungen, den Tagelöhner-Strich, die vergifteten Monte Schlackos geht – Schweres redet Tacheles. Wer jemals länger in einem Stadtteil gearbeitet oder gelebt hat, in dem ganz eigene Gesetze herrschen und der von der Obrigkeit als aufgegeben bezeichnet werden darf, weiß, wovon Schweres redet und liest die entsprechenden Seiten mit einem sonderbares Gefühl der Dankbarkeit dafür, dass es endlich einer ungeschönt ausspricht. Dazu gönnt der Kenner des Boulevards dem Leser amüsante Einblicke in das umkämpfte Geschäft mit dem Sensations-Journalismus.

Thomas Schweres schreibt kurz, knackig und durchgehend flüssig. Wie man einen Plot aufbereitet und den Leser häppchenweise bei der Stange hält, weiß er aus seinem Tagesgeschäft und übertragt das gekonnt und mit gelegentlichem Augenzwinkern in die Romanform. Der Plot an sich ist stimmig, auch wenn man heutzutage anscheinend in keinem einzigen Krimi mehr auf persönliche Involvierung der ermittelnden Kommissare verzichten kann. Alles in allem spannende Lektüre, mit der nicht nur Ruhrgebiets-Liebhaber richtig aus dem Alltag abtauchen können.

Interessanterweise ist unter den Protagonisten kein einziger richtiger Sympathieträger, aber der Autor schafft das Kunststück, dass man dem Kommissar, dem Reporter und seinen Mitstreitern ein gutes Ende wünscht. Den meisten jedenfalls. Wahrscheinlich, weil man sie alle irgendwoher kennt. Im Zweifelsfall aus der Nachbarschaft.

Erstveröffentlichung in den Revierpassagen am 02.12.2014


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Grafit Dortmund

Tunnelspiel

Tunnelspiel_B640-189x300Ein grausiger Mord. In einem verfallenen Schlachthof wird ein nackter Toter angekettet aufgefunden. An seinen Klöten baumeln Christbaumkugeln.

Der Verblichene war Verleger. Seinen Mitarbeitern schuldete er Geld, seine Autoren pumpte er an und sein bester Kunde war der Gerichtsvollzieher. Aus reichem Haus stammend, verschwendete er sein Erbe zum Erwerb eines Adelstitels. Als »Graf von Externstein« versuchte er sich selbst in Nachdichtungen sadomaso-erotischer Texte, die keiner lesen wollte. Unternehmerisch war er erfolglos und galt als schwarzes Schaf der Familie.

Ira Wittekind, eine engagierte Lokaljournalistin, beschäftigt sich mit dem mysteriösen Mordfall. Ihre Recherchen führen sie in die Arbeitswelt des ermordeten Verlegers. Sie hört von einer geheimnisvollen Stalkerin und begegnet der Familie des Toten. Zu ihrem Glück war ihre Nachbarin früher als Domina tätig war und verfügt über umfassende Kenntnisse der Praktiken der Sado-Maso-Szene. So erfährt sie auch, was Tunnelspiele sind: Spielchen aus der BDSM-Szene, die von dem dominierten Part nicht selbst beendet werden können.

Bescherte vielleicht ein derartiges Tunnelspiel dem Herrn Verleger sein unschönes Ende? Schlug eine Domina zu hart zu? Lockten frustrierte Autoren den guten Mann in eine tödliche Falle? Wollten Verwandte eine offene Rechnung begleichen?

Carla Berling versteht es, den Spannungsbogen ihres Ostwestfalen-Krimis geschickt aufzubauen. Gekonnt lässt sie die Mentalität alteingesessener Ostfalen, die teilweise noch einem Ehrenkodex verhaftet sind, der Preußens Gloria hochhält, in die Romanhandlung einfließen.

Im Ergebnis liefert Carla Berling einen gut gebauten Krimi, der auch Lesern, die sich nicht in der Region auskennen, spannendes Lesevergnügen beschert.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Kindle Edition

Identität

Katharina Clausen kommt im Auftrag einer deutschen Firma nach Bogotá und trifft auf Señor Nicoljaro, der ein Unternehmen betreibt, das eine Alternative zur Verarbeitung tropischer Hölzer entwickelt hat. Der geheimnisvolle Unternehmer im Rollstuhl entfacht bald Gelüste der attraktiven Frau und lockt sie an seinen Kamin.

Doch da wird die Deutsche entführt und gelangt in die Hände eines Herrn, der ihrem kolumbianischen Vertragspartner »Menschenhandel« vorwirft. Als sie nach einigen Tagen wieder erwacht, hat sie nicht nur Handtasche und Handy, sondern auch ihr Kurzzeitgedächtnis verloren. Aber galt der Überfall vielleicht weniger ihr als den Telefonnummern, die ihr Smartphone gespeichert hatte?

Bald beginnt eine spannende Serie von Attentaten, Verfolgungsjagden und Schiessereien, in der immer wieder Akteure auftauchen, die Nicoljaros Geheimnis, das mit seiner Familiengeschichte zu tun hat, bröckchenweise enthüllen. Da Kolumbien ein Land zu sein scheint, in dem alles käuflich ist, sind auch bestechliche Ärzte und Polizisten mit im Spiel

Angela Planert versteht es, ihren komplexen Roman als Liebesgeschichte beginnen und als spannenden Krimi enden zu lassen. Sie schlägt in ihrem Werk einen grandiosen Spannungsbogen und verrät dabei nicht ein Gramm zu viel von dem, was der Leser unbedingt erfahren will und ihn bis zum Ende der Geschichte festhält.

Es ist eine Freude, zu lesen, wie die Autorin sich von Roman zu Roman sprachlich und stilistisch weiter entwickelt. Anteil daran haben sicherlich auch Korrektorat und Lektorat, die dem Werk gut getan haben. Des Guten zu viel finde ich lediglich, dass die im Spanischen üblichen umgedrehten Frage- und Rufzeichen vor der entsprechenden wörtlichen Rede gesetzt worden sind.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Kindle Edition

Der Frauenmörder

Ein erfolgloser Schriftsteller hat angeblich fünf alleinstehende Mädchen, die er über Kontaktanzeigen kennenlernte, aus Geldgier umgebracht. Die Beweise gegen den Verdächtigen sind erdrückend, allerdings fehlt jede Spur von seinen Opfern. So kommt es zu einem spektakulären Indizienprozess, zumal der Angeklagte jede Erklärung verweigert.

Der angeklagte Autor glaubt, dass er ein genialer Dichter ist. Er sieht aber keine Möglichkeit, den Wall von Hindernissen des Literaturbetriebs, die sich ihm entgegenstellen, zu übersteigen. Sein Buch wird nicht gelesen, sein Stück nicht aufgeführt, er hat kein Geld und fühlt, dass er das elende Leben, das er führt, nicht mehr lange ertragen kann.

Plante der Schriftsteller die Morde, um sich aus dem Dunkel emporzureißen, indem er zum Mittelpunkt einer ungeheuren Sensation wird? Oder ist alles eine große Komödie, die wohlbedacht inszeniert wurde und dem Literaturbetrieb den Spiegel vorhält? Der Berliner Polizeikommissar Joachim von Dengern, dem Qualitäten eines deutschen Sherlock Holmes nachgesagt werden, muss exakt recherchieren, bis er der Wahrheit auf den Grund kommt.

Hugo Bettauers Roman »Der Frauenmörder« erschien bereits 1922. Die Veröffentlichung des Werks, das bei Amazon kostenfrei erhältlich ist, bietet eine Wiederentdeckung mit der Literatur der Zwanziger Jahre. Der als »Entdeckungsjournalist« gefeierte Schriftsteller mit jüdischen Wurzeln wurde 1872 bei Wien geboren und bald durch sein Engagement für sexuelle Freizügigkeit berühmt. Er verursachte diverse Skandale, weil er sich für ein modernes Scheidungsrecht, Straffreiheit bei Schwangerschaftsabruch und die Akzeptanz von Homosexualität einsetzte. Am 26. März 1925 erlag er im Alter von 52 Jahren den Folgen eines Attentats, das ein schießwütiger Nazi nach einer Hetzkampagne in den Medien auf ihn verübte.

Thematisch kann man den Roman auch als ausgeklügelten Marketing-Tip für Self-Publisher lesen. Denn in diesem Werk will der Autor nicht durch die Tat berühmt werden. Er will durch sie seine bereits vorhandenen Werke berühmt machen und hat damit Erfolg.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Kindle Edition

Das Gedankenexperiment

Jonas Winner schreibt intelligente Romane, die den Leser fordern. Im »Gedankenexperiment« befasst er sich in erster Linie mit einer philosophisch-lingustischen Grundfrage der Sprachtheorie. Es geht ihm dabei um die Diskussion, woher die menschliche Sprache eigentlich kommt. Ist es denkbar, dass ein mit unserem Körper verknüpftes »Sprachwesen« in uns haust, das Macht über unseren Geist hat und dem wir – unter geeigneten Umständen – vielleicht sogar begegnen können?
Stammt also möglicherweise das, was wir sagen, gar nicht von uns, sondern von dieser geheimnisvollen Wesenheit, die unsere gesamte zwischenmenschliche Kommunikation steuert? Und was ist, wenn wir dieses Sprachwesen als dreidimensionales Etwas in uns hocken sehen, es aber nicht (be)greifen können – treibt uns das möglicherweise in den Wahnsinn? Ist der Verlust des Verstandes, beziehungsweise das, was wir darunter verstehen, der Preis, der gezahlt werden muss, um das Wesen zu erkennen?
Der Forscher Leonard Habich, der in einem verwinkelten Schloss mit unterirdischen Gängen und Gewölben residiert, ist dieser Idee verfallen. Seinen »Verfall« muss Karl Borchert, ein aufstrebender Philosoph, der eine Stelle als dessen Privatsekretär antritt, bald feststellen. Habich will ein bahnbrechendes Werk zum Abschluss bringen, an dem er seit Jahrzehnten arbeitet, Borchert soll ihm dabei helfen. Doch es gibt mehr als gemeinsame philosophische Interessen zwischen den beiden. Denn wie kommt es, dass der alte Forscher seinen jungen Assistenten Borchert und dessen wissenschaftliche Arbeit so genau kennt? Wieso war er ausgerechnet mit seinem Vater, einem Chirurgen, befreundet, der seinen Sohn in jungen Jahren nach einem tragischen Fahrradunfall an einer schweren Kopfverletzung operierte? Was steckt wirklich hinter den Forschungen, die auf dem Schlossgelände betrieben werden? Existiert dort eine Höllenmaschine, die jeden auf eine Irrsinnsreise schickt? Werden eventuell sogar Menschenexperimente gemacht?
Jonas Winner versteht es, eine vielschichtige wissenschaftliche Theorie in eine durchaus spannende Rahmenhandlung einzubinden. Er versäumt dabei nicht, auf versunkenes Geheimwissen anzuspielen und paradigmenstiftende Verschwörungstheorien einzuflechten. Nicht zufällig spricht Habich Henochisch, eine alte magische Sprache, die auch »Sprache der Engel« genannt wird.
Philosophen haben wohl immer schon davon geträumt, den eigenen Geist wie ein Besucher betreten und sich darin umsehen zu können, also in sich selbst spazieren zu gehen. Platon, Descartes und Wittgenstein beschäftigten sich mit der Thematik, die zuletzt in wilden Hippiezeiten wieder aufkam, in denen unter Drogeneinfluss (Winner lässt diesen Aspekt allerdings aus) versucht wurde, einen vom Bewusstsein losgelösten äußeren Einstieg in die Innenwelt zu erlangen. Gern wird diese Diskussion mit der Grundsatzfrage verknüpft, wie die Sprache überhaupt entstand und in unsere Köpfe gelangte. Philosophisch delikat dabei ist der Aspekt, dass das Medium, in dem nachgedacht wird identisch ist mit dem Gegenstand, über den nachgedacht wird.
In diesem Zusammenhang taucht im Roman natürlich auch der berühmte US-Linguistiker Noam Chomsky auf, der mit der »Chomsky-Hierarchie« unter anderem versuchte, eine Metasprache zu entwickeln. Der Forscher machte geltend, dass die Daten, die wir als Kind empfangen, zu dünn seien, als dass allein dadurch etwas derartiges Komplexes wie die Sprache erlernt werden könne. Nach seiner Auffassung muss es eine Art angeborene Sprachkompetenzorgan im Hirn geben, dessen Parameter durch die Eindrücke des Kindes eingestellt werden, vergleichbar etwa mit einem Computer, bei dessen Erstinstallation die Sprache eingestellt wird. Auf diesem Gedanken wiederum fußt Habichs Theorie vom Sprachwesen, das eine Symbiose mit dem menschlichen Körper eingeht.
Jonas Winners Roman spricht Leser an, die sich für philosophische Paradigmen und Theorien der Sprachentwicklung interessieren. Der Autor macht es als promovierter Philosoph dem Leser dabei nicht ganz einfach, wenn er die Weiterentwicklung von der Seins- über die Bewusstseins zur Sprachphilosophie als »Dreischritt« begreift, dem ein vierter Schritt folgen müsse: »Den Grundgedanken, dass wir gefangen sein könnten, dass wir getäuscht werden könnten, dass jemand absichtlich ein Schild aufgestellt haben könnte, um uns in die Irre zu führen. Den Grundgedanken, das wir erst dann aus einer inszenierten Verwirrung herauskommen, wenn wir begreifen, dass wir Opfer einer Verschwörung sein könnten. Opfer derjenigen, die uns als Gefangene in einer Höhle halten.« (S. 129)
Vielleicht lässt sich »Das Gedankeninstrument« als Wissenschaftskrimi beschreiben. Denn gut drei Viertel des Werkes könnten auch als populäres Sachbuch zum Thema Sprache durchgehen. Dass er trotzdem die Kurve bekommt und die ganze Geschichte spannend verpackt, ist eine absolute Stärke des Autors.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Droemer Knaur München

Der Aufbewarier

Berlin, Februar 1943: Mit regelmäßigen nächtlichen Luftangriffen erntet nun auch die Hauptstadt die Früchte, die das deutsche Volk mit ihrer Massenmörder-Regierung einst säte. In einer dieser Nächte findet der degradierte Kriminalpolizist Axel Daut den zerstückelten Torso einer jungen Frau. Nach und nach tauchen mehr Leichenteile auf und es wird klar, dass es sich bei der Toten um eine Jüdin handelt, was die Ermittlungen natürlich nicht einfacher macht.

Daut muss vorsichtig sein, in diesen Zeiten kann man nur wenigen trauen und auch er selbst hat jüdische Freunde, denen er helfen möchte, den Wahnsinn zu überleben. Bald konzentriert sich die Suche auf den „Aufbewarier“ der Toten; so nennt man die guten unbescholtenen Deutschen, die die Wertsachen der Verfolgten an sich nehmen und verwahren, um sie der Beschlagnahmung zu entziehen. Währenddessen wird die Lage der Juden immer prekärer und Daut ist gezwungen, enorme Risiken einzugehen um seine Freunde vor der Deportation nach Osten zu schützen. Unerwartete Hilfe aber naht, und zwar in Person seines Leinwandidols Zarah Leander…

Auf den Autor Béla Bolten (hinter dem Pseudonym verbirgt sich der renommierte Historiker und Biograf Matthias Brömmelhaus) stieß ich bei der Lektüre des äußerst empfehlenswerten Elektrobuchs „Wie man erfolgreich E-Books verkauft“ von W.R. Frieling.

Bolten ist einer der unabhängigen Kindle-Autorenstars und er hat sich diesen Erfolg redlich verdient: Geschliffene Sprache, klare Handlungsstränge, gediegene Krimi-Spannung und nicht zuletzt die akribische historische Recherche sorgen für ungetrübte Lesefreude. Die zeitgeschichtlichen Bezüge sind dabei mindestens ebenso wichtig wie der Kriminalfall, wer diese Art von Lektüre schätzt (und ich tue das!), wird hier bestens bedient.

„Der Aufbewarier“ (nicht „Aufbewahrer“, bitte in der nächsten Auflage ändern, lieber Prinz Rupi!) ist der zweite Band in der Reihe um Axel Daut und ich hoffe, dass bald weitere folgen; klare Lese- und Kaufempfehlung!


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Kindle Edition

Der 7. Tag / das 5. Gebot

Die Kritik feiert sie gerne als E-Book-Queen. Die Autorin Nika Lubitsch ist einer der Stars in der deutschen Self-Publisher-Szene. Ihr Krimi der 7. Tag führte lange die Kindle Bestsellerliste an, dankenswerterweise gelang es ihm sogar, die Shades of Grey von der Spitze zu verdrängen. Wie man hört, hat sich Oliver Berben bereits die Filmrechte gesichert. Im Frühjahr legte Nika Lubitsch mit dem Krimi das 5. Gebot nach. Der große Erfolg führte dazu, dass beide Bücher nunmehr auch als Taschenbuch und der 7. Tag sogar als Hörbuch erhältlich sind.


Beide Bücher sind im Genre Krimi/ Thriller angesiedelt.  Der 7. Tag ist auf den ersten Blick ein klassischer Gerichtskrimi. Es geht um eine junge Frau, Sibylle,  die des Mordes an ihrem Ehemann angeklagt ist. Sie kann sich an nichts erinnern und während sie auf der Anklagebank sitzend die Zeugenaussagen verfolgt, zieht vor ihrem geistigen Auge ihr Leben an ihr vorbei – immer ohne dass sie selbst weiß, ob wirklich sie ihren Mann ermordet hat. Am siebten Tag des Prozesses  erkennt Sybille plötzlich die Wahrheit. Sie muss sie nur noch beweisen.

 

Der 7. Tag ist zweigeteilt plus Epilog. Der erste Teil ist in den Handlungsrahmen Gerichtsprozeß eingebettet, neben diversen Zeugenaussagen und Sybilles Gedanken beschliesst ein Zeitungsartikel mit einer Zusammenfassung des jeweiligen Prozesstages die einzelnen Kapitel. Der zweite Teil des Buches bedient sich noch einmal eines ganz anderen Stils, dem einer Dokumentations-Serie eines Magazins.  In diesem Buch ist es weniger der eigentliche Plot als der häufige Stilwechsel, der für Spannung sorgt. Man ahnt relativ schnell, worauf die Geschichte hinausläuft, aber das bereitet dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Auch die bei dieser Art des Aufbaus ständigen Wiederholungen sind nicht störend, im Gegenteil – das Buch bezieht seine Spannung daraus, dass man mehrere Seite ein und derselben Medaille zu betrachten bekommt.

 

Im  5. Gebot geht es ebenfalls um klassische Krimi Plots. Diesmal um eine junge Britin, die im Berliner Grunewald die Leiche einer Frau findet, die ihr wie ein Ei dem anderen gleicht. Die Protagonistin ahnt bald, dass es dunkle Familiengeheimnisse gibt und ein mörderischer Wettlauf quer durch Europa beginnt. Das 5. Gebot ist stilistisch einheitlicher, vom Tempo her aber nicht weniger rasant. Hier hat Nika Lubitsch sich mehr auf die eigentliche Handlung konzentriert. Allerdings sind die Handlungsverläufe manchmal arg konsturiert und erwecken den Eindruck, ihr wären die Ideen ausgegangen. Ganz ehrlich – hätte der Ehemann auch nur noch ein einziges Mal sein Handy verloren, ich hätte das Buch zugeklappt und die Auflösung wäre mir egal gewesen. Eine relativ einfach gestrickte Auflösung im übrigen. Wenn man die Energie bedenkt, die der Täter im Vorfeld aufgewandt hat, dann ist das Ende schon arg dürftig. Ebenso wie die Auflösung der Einschübe, welche eine falsche Fährte legen sollen. Nichts gegen falsche Fährten, aber die Auflösung der – nennen wir sie “Luder- Einschübe” hinterlässt einen faden Nachgeschmack. Sie macht einen Mann, der an und für sich so angelegt  war, dass er einer der interessantesten in der ganzen Geschichte hätte sein können, komplett unsympathisch und vergällt einem auch die Freude am kleinen Happy End, dass man zumindest diesem Mann ganz und gar nicht mehr gönnt.  Dafür allerdings entschädigt die Auflösung des Familiengeheimnis mehr als genug. Die Einbindung in den geschichtlichen Kontext hat die Autorin wirklich gut hingekriegt, diese Zusammenhänge liest man mit großer Neugier, welche dann auch befriedigt wird.

 

Beiden Krimis gemein ist die nicht sehr tiefe Charakterzeichnung, aber für einen Krimi ist das gerade noch ok. Beide Bücher sind durchaus spannend, auch wenn die Plot-Auflösungen beide Male zu schnell und zu glatt vonstatten gehen. Da ist noch gut Luft nach oben. Nika Lubitsch Schreibstil ist versiert und lässig zugleich, nur manchmal rutscht sie da ein wenig ab, der – wenn auch seltene – Gebrauch von Umgangssprache wirkt bemüht und fehl am Platz. Beispiel: Victoria, die Heldin im 5. Gebot ist einfach nicht so angelegt, als dass sie für ein Handy ausgerechnet den Begriff “Quatsche” benutzen würde. Ebenfalls störend sind dauernde Wiederholungen. Nicht in der Handlung, (s.o)., aber in der Erklärung von Begleitumständen. Da kann man dem Leser ruhig etwas zutrauen. Der kann sich durchaus merken, dass Heldin A von Beruf Pressesprecherin ist und welche Joggingrunde Heldin B. nun genau gedreht hat.

 

Man verstehe mich nicht falsch – ich habe beide Bücher gerne gelesen und fühlte mich prima unterhalten. Meine Kritteleien sind Kritteleien an einem guten Niveau. Es steht Krimi drauf, es ist Krimi drin – mehr braucht es eigentlich nicht, um beide Bücher gerne als entspannende Urlaubslektüre zu empfehlen. Nika Lubitsch liefert beileibe keine Mogelpackung, ihre Bücher sind eine echte Alternative zu den allseits bekannten Krimiautorinnen, zumal sie in ihren Geschichten komplett auf das oftmals anödende Polizei-Hickhack verzichtet. In beiden Geschichten durchlebt die Heldin aufgrund der Geschehnisse eine Art Katharsis und man kann sich auch durchaus eine Art Moral aus den Büchern mitnehmen: Die Erkenntnis, wie sehr sich Freundschaften im Laufe eines Lebens und unter dem Eindruck von dramatischen Ereignissen verändern können. Das hat die Autorin wirklich gut herausgearbeitet.

 

Was mich bei beiden Büchern gefreut und letztendlich auch zu einer Rezension bewogen hat, ist ihre generelle Machart. So sorry, aber ich bin derbe enttäuscht von sehr vielen Self-Publishing-Werken. Da bin ich komplett humorbefreit, ich empfinde es als eine grobe Missachtung des Lesers, wenn einem -auch hochgejazzte- Machwerke begegnen, die in erster Linie erst einmal durch eine ausgeprägte Grammatikscheu auffallen und vor allem nach der Regel Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten, geschrieben zu sein scheinen.Die Titel der Nika Lubitsch hingegen sind von Anfang an – auch schon als E-Book – sorgsam gearbeitet und gut lektoriert und so war es mir eine Freude, auch einmal eine Erfolgsgeschichte aus dem Self-Publishing vorzustellen.

 


Genre: Kriminalromane
Illustrated by MVG Verlag München

Where the Shadows lie

Magnus Jonson, ein Bostoner Cop, hat Ärger mit einem Drogenkartell, dessen Boss ihm nach dem Leben trachtet. Deshalb nimmt man ihn –im wahrsten Sinne des Wortes- aus der Schusslinie und schickt ihn nach Island, wo er aufgewachsen ist. Die dortigen Kollegen empfangen den Fremden mit einer Mischung aus Misstrauen und Neugier, aber sie können seine Erfahrung gut gebrauchen, haben sie doch einen Mord aufzuklären und das kommt in Island nicht alle Tage vor.

Das Opfer ist ein Literatur- und Sprachprofessor, der sich außer mit diversen Studentinnen vor allem auch mit isländischen Legenden und Sagen beschäftigt hatte. Der Gelehrte scheint einer ganz großen Sache auf der Spur gewesen zu sein, eine bisher unentdeckte geheime Sage über einen magischen Ring, die Vorbild sowohl für das Nibelungen-Epos als auch für Tolkiens “Herr der Ringe” gewesen sein soll.

Magnus geht diversen Hinweisen nach und stößt nebenbei auf dunkle Geheimnisse der eigenen Familie, als sich plötzlich eine sensationelle Spur ergibt: Der Zauberring könnte tatsächlich existieren und sich eben jetzt in Island befinden! Ist seine Macht etwa verantwortlich für die ganzen Verbrechen?

Krimi-Routinier Michael Ridpath hat mit “Where the shadows lie” (deutscher Titel “Fluch”) einen wirklich unterhaltsamen Roman abgeliefert. Geschickt versteht er es dabei, die Mythen und den Kult rund um Tolkiens Jahrhundertwerk in eine Mordgeschichte der Gegenwart einzubauen und sichert sich damit schon mal das Interesse der Millionen Herr der Ringe-Fans weltweit.

Eine flotte Schreibe, Charaktere, die überzeugend handeln sowie die Einbindung der spektakulären Natur und Landschaft Islands, ohne dass dadurch der Plot erdrückt wird, tun ein Übriges, um dieses Buch aus der unüberschaubaren Masse des Angebots in diesem Genre herausragen zu lassen. Niveauvoll spannende Unterhaltung, nicht mehr, aber bestimmt auch nicht weniger!


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Corvus

Mordsviecher

Im Landkreis Garmisch wird die Leiche eines Unternehmers gefunden, inmitten unzähliger Tiere, Pferde, Hunde und Kaninchen, aber eben auch Reptilien und fast alle davon in einem erbärmlichen Zustand. Der Tote war ein äußerst erfolgreicher Daunenproduzent, bayerischer Unternehmer des Jahres und betrieb aktive PR in Sachen Tierschutz und Ökologie. Kommissarin Irmi Mangold und ihr Team ermitteln rasch die Todesursache: Gift einer schwarzen Mamba. Dann aber wird es schwierig, denn der vermeintliche Saubermann hatte nicht nur Feinde unter den Tierschützern, sondern auch genügend Neider im Kreis seiner Wirtschaftsfeinde und selbst innerhalb der Familie waren ihm nicht alle wohl gesonnen. Oder war es doch nur ein Unfall? Fragen über Fragen tun sich auf und zudem kriecht auch noch eine schwarze Mamba irgendwo frei durch das bayerische Alpenland…

Der Roman greift das brisante Problem des “Animal Hoarding” (unkontrolliertes Ansammeln von Tieren) auf, ein Phänomen, das auch hierzulande immer öfter auftritt und engagiert sich für den Tierschutz, eine feine Sache, für die der Autorin Lob gebührt. Allerdings ist das auch so ziemlich der einzig positive Aspekt, den ich diesem Werk abgewinnen kann. Die Handlung schleppt sich für einen Krimi zu zäh und langatmig dahin, die Protagonisten agieren allesamt eindimensional und sind zu wenig facettenreich gezeichnet; sie interessieren den Leser daher nicht sonderlich. Der Versuch, dem Buch etwas Regio-Touch und Lokalkolorit zu verleihen wirkt bemüht und beschränkt sich weitgehend auf die örtlichen Verkehrswege (inklusive detailgetreuer Schilderung Münchener Baustellen); ein paar richtig schräge einheimische Charaktere (und daran besteht ja hier in Bayern kein Mangel!) hätten wohl eher zum Ziel geführt.

Wer den Roman dennoch lesen möchte, kann auch außerhalb des Freistaats bedenkenlos zugreifen, die Verständlichkeit wird jedenfalls nicht durch übermäßigen Dialektgebrauch eingeschränkt.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Pendo

Toter geht’s nicht

Henning Bröhmann ist Kriminalhauptkommissar in der mittelhessischen Provinz und pflegt am liebsten sein Phlegma. Damit ist es jedoch schlagartig vorbei als ihn seine Frau verlässt, die eine Auszeit braucht und nach dem Faschingsumzug ein toter Tod entdeckt wird. Nun ist der Kommissar gefordert; er muss die Kinder und Hund Berlusconi versorgen und einen Mörder suchen, dessen Opfer zunächst keinerlei Anhaltspunkte liefert. Entsprechend schleppend gestalten sich die Ermittlungen, sie bescheren schaurige Schlagergalas und ungebetene väterliche Ratschläge, nichts was wirklich weiterhilft. Doch dann gibt es einen zweiten Toten…

Dietrich Faber, der bisher hauptsächlich kabarettistisch tätig war, hat mit “Toter geht’s nicht” ein durchaus respektables Romandebüt abgeliefert. Seine Herkunft kann (und will) er dabei freilich nicht verleugnen, denn trockener Humor und Satire mit bewusst bedienten Klischees überwiegen im Buch, der kriminalistische Teil mit der eher zufälligen Auflösung des Falles ist eher Beiwerk. Dennoch funktioniert der Roman als erster Teil einer Serie, die Figuren werden eingeführt und können deshalb entsprechend ausführlich in ihrem Lebensumfeld verankert werden.

Das Buch ist flüssig geschrieben und witzig, der Kommissar als plötzlich alleinerziehender Vater sympathisch und auch die anderen Charaktere kommen stilsicher daher, Leute eben, wie es sie nicht nur in der hessischen Provinz gibt. Mundart kommt kaum vor, die Leserschaft muss also nicht regional beschränkt werden.

Fazit: Macht richtig Spaß, Fortsetzung erbeten und beim nächsten Mal vielleicht etwas mehr Krimielemente.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Rowohlt Polaris

Abgründe

AbgründeEine Woche lang schaute Frankfurt auf Island. Nicht der Finanzblase wegen, auch Aschewolken waren außen vor – nein, es war Buchmesse und Island zu Gast. Man bezauberte mit der gemütlichsten Wohnzimmer-Installation der ganzen Messe und drohte mit der erklärten Absicht, Europas Buchmarkt werde sich nie wieder von dieser Bücherblase erholen. Die Heute-Show fragte gar, ob es nun nicht opportun sei, den Isländern mit einer Schreibblockade zu drohen. Wir fragen investigativ, ob es nicht einfach reicht, eines davon zu lesen. Im Selbstversuch verzichtete ich auf Elfen, Trolle und Stockfische und griff mir eines, welches Spannung und abgründige Blicke in Islands Finanzwelt versprach .

In seinem neuesten Island-Krimi schickt Arnaldur Indridason seinen bewährten Kommissar Erlendur erst einmal in Urlaub. So muss sich sein Kollege Sigurdur Oli um die Aufklärung zweier Todesfälle kümmern. In einen davon ist er persönlich verwickelt, da er der Bitte seines besten Freundes entsprechend eine junge Frau davon abhalten will, dessen Familie zu erpressen. Als Oli diese Frau, Lina, zur Rede stellen will, findet er sie zu Tode geprügelt von einem Schuldeneintreiber vor. Obwohl persönlich involviert, ermittelt er weiter und findet heraus, dass vor über einem Jahr ein Banker bei einem Ausflug, den ausgerechnet Linaorganisierte, einen tödlichen Sturz in einen Abgrund erlitt. Die Ermittlungen führen ihn in höchste Bankenkreise, die in abenteuerlichen, moralisch fragwürdigen Geschäften immer höhere Gewinne scheffeln.

“Abgründe” ist ein Krimi, bei dem es auch, bei weitem aber nicht nur, um einen kriminellen Plot geht. Von Ingridason zwar bildhaft und flüssig erzählt, liegt hier die Schwäche des Romans. Weite Teile drehen sich um das Privatleben Olis, das eigentlich nichts als abgründig langweilig ist. Das Sympathiepotential des Kommissars dürfte sich bei jenen erschöpfen, für die amerikanische Sportarten das Größte und die noch dazu vom Leben und den Frauen enttäuscht sind. Der Rest der Leser wartet auf den Fortgang der Handlung. Besser gesagt, der zwei Handlungen. Der Klappentext bemerkt zu Recht, dass die beiden Fälle auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben. Verschwiegen wird dabei, dass sie auch auf den zweiten Blick nicht wirklich miteinander verwoben sind. Außer, dass die Protagonisten sich kannten, finden sich nicht wirklich viele Gemeinsamkeiten. Der Plot um Lina ist relativ schnell gelöst, die Frage nach dem Motiv nimmt noch etwas länger Raum ein. Doch auch hier können die Banker nicht dienen. Die Geschichte um die Banker dient einzig und alleine dazu, die Erwartungen des Lesers zu bedienen, dem Hintergründe zur abgründigen Finanzwelt versprochen werden. Das verkauft sich sicher prima, die zu diesem Thema angebrachte Kritik ist lobenswerterweise auch zu keiner Zeit übers Ziel hinausschießend. Ärgerlich nur, wenn man fast die Hälfte des Buches zuwarten muss, bis der Autor sich endlich dem Thema zuwendet, welches der Klappentext als das vorherrschende anpreist. Noch ärgerlicher, wenn sich die Geschehnisse im Bankermilieu als relativ müde gähnende Abgründe erweisen – vor allem, weil sie anno 2005 geschahen und jeder halbwegs informierte Leser weiß, dass a) die Abgründe des Jahres 2008 wesentlich tiefer waren und b) sich gerade die isländische Wirtschaft anno 2011 wieder berappelt hat. (wahrscheinlich der vielen verkauften Bücher wegen). Eine weitere Irritation im Buch ist eine Side-Story über einen als Kind misshandelten Penner, der nunmehr auf Rachefeldzug ist und dem Kommissar das Leben kriminaltechnisch erschwert. Auch dessen Geschichte beschreibt Indridason eindringlich und bemerkenswert – aber sie hat nichts, absolut nichts mit dem Fall zu tun.(Wenn man mal davon absieht, dass das Leid des Penners die moralische Verwerflichkeit der anderen Verbrechen durchaus eindrucksvoll unterstreicht.) Dass man dies erst ganz zum Schluß erfährt, während man 420 Seiten lang auf die Auflösung der Zusammenhänge wartet, macht den Spannungsbogen nicht besser.

Arnaldur Indridason war Journalist und Filmkritiker bei Islands größter Tageszeitung und lebt heute als freier (preisgekrönter) Autor in Rejkjavik.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Bastei Lübbe