Der Großmeister des Agenten-Thrillers John le Carré ist beileibe kein eindimensionaler Versprachlicher von Geheimdienstmythen oder Verschwörungstheorien. Beides ist Bestandteil seiner Literatur, beschreibt diese aber nicht hinreichend. Der mittlerweile 75jährige britische Autor und gelernte Germanist ist einer der brillantesten Erzähler der europäischen Literatur und ein im besten Sinne guter Geschichtenerfinder. Haben ihm 1989 die Geheimdienste der sozialistischen Staaten einen großen Resonanzboden für seine Geschichten, die sogenannte »Systemauseinandersetzung« zwischen kapitalistischen und sozialistischen Staaten, entzogen, so zeigte le Carré bald schon durch seine Beschäftigung z.B. mit dem nicht minder tödlichen Methoden der Pharmaindustrie und ihrer politischen Helfer im Roman »Der ewige Gärtner«, oder mit den Verquickungen und Kumpaneien zwischen den Geheimdiensten der westlichen Großmächte mit den Drogenbaronen und ihren Waffenhändlern in »Der Nachtmanager«, dass ihm nicht nur der Stoff keineswegs ausgeht, sondern zudem, dass er ein wacher und politisch Stellung beziehender, zuweilen sogar anklagender Literat und Weltbürger ist.
Sein Buch »Geheime Melodie« gehört nun eindeutig zur letzteren Sorte von le Carré-Krimis. In »Geheime Melodie« zieht es einen von einem britischen Missionar mit einer Afrikanerin gezeugten und in Zentralafrika geborenen Dolmetscher in sein Geburtsland zurück. Grund der Rückkehr ist der Einsatz für den britischen Geheimdienst, der ihn, da er viele der afrikanischen Sprachen und Dialekte perfekt sprechen und übersetzen kann, als Dolmetscher für eine Konferenz engagiert, auf der angeblich eine demokratische Friedensordnung für den Kongo abgestimmt werden soll. Bruno Salvador, so nennt le Carré seine Hauptfigur, lässt sich, ob dieses Zieles, gerne einspannen und übersetzt nicht nur auf der Konferenz, sondern horcht die Teilnehmer für den britischen Dienst aus. Der Einsatz bei dieser Geheimkonferenz hat für Salvo, wie Salvador in der Kurzform genannt wird, aber weit reichende Folgen bis hin zum Abtauchen in den Untergrund. Zurück lässt er dabei seine bürgerliche Existenz, seine hochfeinen Vorstellungen von Ästhetik und Lebensstil. Dafür nimmt er Dokumente von dieser Konferenz mit, die explosiv und hochgefährlich sind. Man braucht kein professioneller Agentenjäger zu sein um sich auszumalen, was unserem Helden geschehen kann. Jedenfalls fällt es schwer zu glauben, dass ein Dolmetscher aus gutbürgerlichen britischen Verhältnissen, wenn auch durch Einsichten politisch radikalisiert, so schnell seine Naivität gegen den kalten Zynismus eines gewieften Untergrundkämpfers wird eintauschen können, dass ihm nichts zustoßen kann. Aber mehr sei von der Handlung auch nicht verraten.
John le Carré hat sich, wie immer in der Vorbereitung auf seine literarischen Stoffe, vor Ort umgesehen und recherchiert. Eine Reise in den Kongo führte ihn in das Grenzgebiet zu Ruanda. Dort erlebte er die Folgen der Gewalt und des Krieges, vor allem des Genozides an dem Volk der Tutsi wie auch der Gräuel durch Tutsi-Kämpfer, die auf ihrem Feldzug gegen geflohene Hutu-Milizen diese in den Kongo folgten und nun ihrerseits zu Gewalttätern wurden. Sein Resümee formulierte er so: »Die Wirklichkeit ist so überwältigend, dass alle Fiktion dagegen verblasst«.
»Geheime Melodie« ist kein Tatsachenbericht. Wohl ist dieser Roman sowohl ein gut konstruierter und spannend geschriebener Krimi als auch eine politische Anklage gegen die Politik einer englischen Regierung, die sich in einer Kontinuität ihrer kolonialen Vergangenheit weiterhin gegen die Interessen der Menschen in Afrika stellt und zugleich politische Anteilnahme heuchelt.