Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit Henry Ingram verdient sein Brot im London unserer Tage mehr schlecht als recht mit der Schauspielerei. Nach langer Durststrecke bekommt er endlich ein ordentliches Engagement. Er gibt den Captain Macheath in der “Bettleroper”, zu der schon Brecht anmerkte, dass sie richtig “des Bettlers Oper” heißen müsse. Die Premiere ist umjubelt, doch dann verlässt ihn sein Glück. Am Tag nach der Premierenfeier wacht er reichlich verkatert im verlotterten Keller von “Mother Blake’s Gin Shop ” auf. An viel kann er sich nicht erinnern. Irgendetwas war da mit einer Eisenstange, mit Blut und mit leidenschaftlichen Küssen seiner Freundin, die nur dummerweise nicht ihm galten. Als er noch benommen auf die Straße tritt, ist seine Verwirrung komplett. Er steht nicht zwischen Wolkenkratzern, sondern zwischen windschiefen Häusern auf einer kopfsteingepflasterten Strasse, er hat zwar noch sein Smartphone, aber kein Netz. Und die ihn umgebenden Menschen sehen mit ihren Perücken, ihren Miedern und Kniebundhosen auch nicht so aus, als ob sie gerade die News of the World in den Orbit twittern würden. Dummerweise ist auch die Suche nach der versteckten Kamera gänzlich erfolglos, dafür darf Henry sogleich eine rühmliche Rolle bei der Befreiung von Londons berühmtesten Dieb Jack Sheppard spielen. Als Hirngespinst haben Zeitreisen sicher etwas unbestreitbar Reizvolles. Henry aber, plötzlich ins London des Jahres 1724 versetzt, hat mit Gefahren zu kämpfen, aus denen ihn mehr als einmal nur sein schauspielerisches Talent zu retten vermag. Plötzlich findet er sich inmitten von Macheath’ Umfeld wieder, er gehört zur Bande von Sheppard, arrangiert sich notgedrungen mit dem Gauner Blueskin, verliebt sich in die Hure Bess und wird ins berüchtigte Irrenhaus Bethlem Royal eingewiesen. Schließlich lernt er gar die Schöpfer der Bettleroper kennen, nicht ohne ihnen seinen Captain Macheath ans Herz zu legen, damit dessen Rolle auch ja eine bedeutende werden wird. Sein Schicksal verwebt sich immer mehr mit der Handlung der Bettleroper, ein Ausweg scheint ungewiss…..

“Gegen alle Zeit ” ist ein gewagter Genre Mix aus historischem Roman, Krimi, Fiktion und Milieustudie, gewürzt mit ein wenig Romantik und einem guten Sinn für Situationskomik, insbesondere wenn Henrys Verständnis der Welt und seine ungewohnte Situation kollidieren. Der Roman spielt in den heruntergekommenen Vierteln Londons, seine Helden sind die gewitzten Diebe und die durchtriebenen Huren jener Zeit. Die Geschichte entwickelt sich rasant, Atempausen sind dem Leser nur vergönnt, wenn die Erzählperspektive wechselt. Der Leser erlebt das Geschehen meist aus der Sicht Henrys, einige Kapitel sind jedoch aus der Sicht anderer Protagonisten erzählt, was einem besseren Verständnis durchaus dienlich ist. Der Roman ist nicht nur sorgfältig recherchiert und von Anfang bis Ende gut durchdacht konzipiert, sondern auch atmosphärisch überzeugend. Als Leser fühlt man sich zurückversetzt in ein dreckiges, lautes und verruchtes London des frühen 18. Jahrhunderts. Die grundlegenden Zusammenhänge sind schnell durchschaut, doch sich entwickelnde Widersprüche führen dazu, dass man selbst als mit dem Hintergrund der Bettleroper vertrauter Leser nicht immer weiß, wo die Historie aufhört und Fiktion anfängt. Die vorherrschende Sorgfalt wird unterstrichen durch die sehr ansprechende Gestaltung des Buches. Großartige, teils ganzseitige Illustrationen von Tina Dreher untermalen die Handlung trefflich, darüberhinaus finden sich in den Klappendeckeln Stadtschnitte und Pläne der britischen Hauptstadt des 18. Jahrhunderts.

Der Autor: Hinter dem Pseudonym Tom Finnek steht der im Westfälischen recht bekannte Autor Herbert “Mani” Beckmann, der sich mit münsterländischen Krimis und der historischen Moor Trilogie aus dem Book on Demand Bereich heraus bereits einen Bekanntheitsgrad erarbeitet hat. Sein Pseudonym setzt sich aus den Vornamen seiner Söhne zusammen und soll einen Leserkreis über lokale Verbindungen hinaus ansprechen. Gegen alle Zeit ist bereits der zweite historische Roman unter dem Namen Tom Finnek. Der erste “Unter der Asche” spielt ebenfalls im historischen London, im ausgehenden 17. Jahrhundert. Der dritte ist in Arbeit und soll die London-Trilogie abschließen. Für die große Fangemeinde historischer Romane dürfte Tom Finnek dank seiner detailgetreuen, aber rasanten Erzählweise eine echte Bereicherung sein.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Ehrenwirth München

Die Glasbläserin

Der Titel ist ein wenig irreführend, erzählt dieses Buch doch nicht nur die Geschichte einer jungen Frau, sondern gleichberechtigt die von drei Schwestern, Johanna, Ruth und Marie, die bereits Halbwaisen sind und nun auch noch den Vater an den Tod verlieren. Dieser Verlust zwingt die drei Mädchen schon relativ früh dazu, selbst für ihren Lebensunterhalt in dem kleinen Glasbläserdörfchen Lauscha im Thüringer Wald im Jahre 1890 zu sorgen.

Wie unterschiedlich jede dieser drei historischen, aber trotzdem fiktiven Frauenfiguren auf Grund ihrer spezifischen Charaktere diese Selbständigkeit entwickelt, beschreibt Petra Durst-Benning sehr spannend und unterhaltsam und setzt gleichzeitig dem Glasbläserhandwerk und dessen Heimat Lauscha ein Denkmal.

»Die Glasbläserin« ist ein anspruchsvoller Schmöker zur Vorweihnachtszeit. Der Roman eignet sich aber auch als wunderschönes Weihnachtsgeschenk und dies nicht nur für an der zerbrechlichen Glasbläserkunst interessierte Leser.


Genre: Historischer Roman
Illustrated by List München

Imperium

Die Geschichte des römischen Senators und Rechtsanwaltes Cicero, erzählt von seinem Diener und Sekretär Tullius Tiro, ist Gegenstand dieses herausragenden Historienkrimis. Tiro, Erfinder der Kurzschrift, protokolliert die unvergleichliche Entwicklung Ciceros vom stotternden und scheuen Jüngling zum selbstbewussten Machtpolitiker, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere die ihm vom Staat übertragene Macht über Leben und Tod, das »imperium«, ausübte.

Cicero gewann im Alter von 42 Jahren, dem jüngsten erlaubten Alter, mit dem römischen Konsulat das höchste Amt im Staat. Er erlangte es durch das einstimmige Votum aller Zenturien, als homo novus, ohne einflussreiche Familie, ohne Vermögen und ohne die Macht von Waffen: ein Kunststück, das noch nie zuvor gelungen war und nie mehr gelingen sollte. Mit seiner einzigen Waffe, seiner Redekunst, trat er allem entgegen, was im römischen Staat korrupt und verabscheuungswürdig war. »Redekunst, die nicht aufrüttelt, ist für mich keine Redekunst«, lautete sein Motto, und noch zweitausend Jahre später werden seine mitreißenden Reden als rhetorische Kunststücke gelesen und zitiert.

Im römischen Senat, im Volkstribunal und an den Gerichtshöfen herrschten Korruption und Intrige. Richter und Geschworene waren ebenso gekauft wie die Wähler, die auf dem Maifeld ihre Stimme abgeben durften. Für den Republikaner Cicero war es nahezu unmöglich, sich gegen die zementierten Machtstrukturen und die Allmacht des Geldes und der Aristokratie zu behaupten. Dass es ihm dennoch gelang, schreibt der Erzähler seiner Fähigkeit zum Pragmatismus und zur Demagogie zu.

Richard Harris macht aus dem Thema einen Staatskrimi, der den Leser bis zur letzten Zeile fesselt. Selten wurde römische Geschichte und die Fäulnis eines untergehenden Riesenreiches so spannend beschrieben wie in diesem Buch.


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Heyne München

Das vergessene Pergament

Die Bibliothekarstochter Afra ist sowohl ungewöhnlich schön als auch gegen alle Regeln des 15. Jahrhunderts belesen und gebildet. Als sie von ihrem Lehnsherren missbraucht wird, flieht sie mit ihrem einzigen Besitz: einem verblichenen Pergament, das nur mit Hilfe alchimistischer Geheimtinkturen kurz sichtbar gemacht werden kann. Geheimnisvolle Bruderschaften, Mönche, Spitzel und bewaffnete Schergen des römischen Papstes wollen an das Papier kommen und jagen die schöne Maid von Ulm über Strassburg und Venedig bis nach Konstanz. Offenbar kann der Inhalt des Pergaments die Grundfesten der katholischen Kirche erschüttern, und so werden weder Mord noch Totschlag noch Intrige gescheut, um an das wertvolle Dokument zu gelangen. Afra bewältigt indes souverän alle Gefahren und trickst instinktsicher die ihr unbekannten Gegner aus, um schließlich den Papst erzittern zu lassen.

Philipp Vandenberg schildert eine abenteuerliche Mittelalterodyssee im Schatten mächtiger Dome, lüsterner Popen, grimmiger Piraten, gieriger Wegelagerer und eines stets gewaltbereiten Pöbels. Der Historienkrimi ist spannend und unterhaltsam im Fahrwasser von »Säulen der Erde« geschrieben, zum deutschen Ken Follett reicht es allerdings leider nicht.


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach