Danksagung als raffinierte Ergänzung
In «Winterbienen», dem neuen Roman des als Eifeldichter apostrophierten Schriftstellers Norbert Scheuer, ist erneut jenes nützliche Insekt titelgebend, das vor zwei Jahren schon mal für Aufsehen gesorgt hat. Der in die Shortlist des diesjährigen Frankfurter Buchpreises gewählte Roman hat also womöglich Chancen, an den Riesenerfolg des Erstlings «Die Geschichte der Bienen» von Maja Lunde anzuknüpfen, dem 2017 in Deutschland meistverkauften Roman. Gemeinsam ist beiden Romanen, dass in den ineinander verschachtelten Handlungsebenen jeweils Bienen die Thematik bestimmen, an ihnen spiegelt sich das eigentliche Geschehen.
Der vorliegende Roman ist das Tagebuch eines frühpensionierten Gymnasial-Lehrers aus der kleinen Eifelgemeinde Kall, dessen Aufzeichnungen am 3. Januar 1944 mit dem Absturz eines amerikanischen Kampfbombers beginnen. Egidius Arimond ist wegen seiner Epilepsie vom Kriegsdienst befreit und widmet sich als passionierter Imker intensiv der Erforschung dieser Insekten. Er lebt bescheiden von seiner Bienenzucht, zusätzlich benötigt er viel Geld für Medikamente, die er bei seinen epileptischen Anfällen dringend braucht. Der Nazistaat kommt nach dem Verdikt vom «lebensunwerten Leben» nämlich nicht mehr dafür auf, er wurde nach den absurden Vorstellungen der «Rassenhygiene» sogar zwangssterilisiert und fürchtet, irgendwann auch noch der Euthanasie zum Opfer zu fallen. In ganz konkreter Lebensgefahr befindet er sich aber, weil er mit Hilfe seiner Bienenstöcke Flüchtlinge gegen Bezahlung über die Grenze nach Belgien schleust. Nicht ganz uneigennützig also, denn die Preise für die rezeptpflichtigen Medikamente, für die er ja kein Rezept bekommt, werden vom erpresserischen Apotheker des Ortes ständig angehoben, irgendwann gibt es sie dann kriegsbedingt gar nicht mehr.
Der Tagbuchschreiber hat einige Liebschaften mit Frauen aus der Gemeinde, deren Männer im Krieg sind, und er begibt sich schließlich sogar in Lebensgefahr, als er sich ausgerechnet in die Ehefrau des Kreisleiters der NSDAP verkuckt. Ein Goldfasan also, wie der Volksmund diese Parteibonzen wegen ihrer Uniformen nannte, und dessen Frau wiederum beginnt tatsächlich ein Verhältnis mit ihm. Unter der Überschrift «Fragment» werden abwechselnd acht Notizen von Ambrosius Arimond, einem frühen Vorfahren des Tagebuchschreibers aus dem Jahre 1489, in diese Erzählung eingeschoben. Sie stammen aus einer nachgelassenen Klosterbibliothek, die Egidius im Archiv des Ortes entdeckt und mühsam übersetzt hat. Der Benediktiner-Mönch berichtet darin von einer desaströsen Alpenüberquerung, die er in jungen Jahren miterlebt hat. Später war er ebenfalls als Bienenforscher aktiv und hat eine widerstandsfähigere südliche Bienenart in der Eifel angesiedelt.
Bemerkenswert ist, wie souverän der Autor in Tagebuchform seine Geschichte vom Ende des Zweiten Weltkriegs aus der Perspektive einer abgeschiedenen Ortschaft schildert. Dabei verknüpft er geschickt das wohlgeordnete Leben seiner Bienenvölker mit dem chaotischen Kriegsgeschehen, er beobachtet ebenso kenntnisreich die Flüge seiner Bienen wie das Getümmel der Bomber und Jäger am Himmel. Es gibt keinen wirklichen Helden in diesem Roman, die eher ambivalente Hauptfigur wirkt gerade durch das nicht Heldenhafte aber sehr glaubwürdig. Erzählt wird ganz unreflektiert, eher beiläufig, nüchtern und unaufgeregt. Der Krieg ist vorbei, als Egidius beim Einfangen eines Bienenschwarms plötzlich merkt, dass er mitten in einem Mienenfeld steht, lapidar lautet der letzte Satz: «Erstarrt blieb er stehen». In einer längeren Danksagung versteckt berichtet der Autor, wie ihm die vor Jahrzehnten in einem Bienenstock aufgefundenen Tagebücher und Dokumente eines gewissen Egidius Arimond übergeben wurden, aus denen sein Roman im Wesentlichen bestehe. Eine raffinierte Herausgeber-Fiktion also, durch die man dann auch noch erfährt, was nach dem letzten Satz des Romans passiert ist. So spannend kann eine Danksagung sein!
Fazit: erfreulich
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