Schuld und Verstrickung sind ohne Zweifel geeignete Themen für einen Längen-, Breiten- und Tiefenroman von 650 Seiten und wenn die Handlung unmittelbar nach dem Ende einer Diktatur angesiedelt ist erst recht. Dann lässt sich genug aus dem Vollen schöpfen, um mit einer politischen und privaten Schiene sogar zweigleisig zu fahren.
Da gibt es das traurige Geheimnis zwischen den Eheleuten, dem Filmemacher Eduardo und seiner Frau Beatriz und die aus der Franco-Diktatur her rührende düstere Vergangenheit des Hausfreundes Dr. Vechten. Es wird aus der Sicht von Eduardos jungem Privatsekretär de Vere erzählt.
Man könnte das Ding eigentlich als einen klassischen Bildungsroman begreifen. Über den jungen Erzähler stürzt gar heftig die Bedeutungsschwere seiner Eindrücke und Beobachtungen herein, so sehr dass sie sich für ihn regelrecht zum postjugendlichen Reifungsprozess auswachsen. Dennoch ist mit Filmproduzent Eduardo die Hauptfigur eine andere. Sein Werdegang vom privaten Haupt- und politischen Nebenkläger zum Vergeber und Vergesser darf wohl als der facettenreichste Entwicklungsstrang in dem Roman angesehen werden. Die beiden anderen wichtigen Figuren bleiben indes zur relativen Schablonenhaftigkeit verurteilt. Das gilt für den einfach nur triebhaft dauerschlechten Diktaturgewinnler Dr. Vechten ebenso wie für Eduardos Ehefrau Beatriz, die aus der Melancholie ihrer großbourgeoisen Dauergelangweiltheit kaum heraus kommt.
Immerhin versteht es Marias früh- und rechtzeitige Andeutungsmarken zu setzen, wer so seine tiefen Geheimnisse mit sich herum trägt und wer was mit sich aus zu machen hat, was dann auch zum Ende hin gekonnt aufgelöst wird. Das Lesevergnügen bis dorthin ist allerdings nicht gerade billig erkauft. Der Roman hat eine Ausschweiferitis, die einen Thomas-Mann dagegen noch zum Thriller-Autor gereichen würde. Es wird weitaus mehr reflektiert und beschrieben als erzählt. Immer wieder spinnen sich Details und Vorkommnisse und seien sie auch vergleichsweise nebensächlich in zum Teil seitenlange Kokons des Augenblicks-Philosophierens ein. Die Betrachtungen über die Franco-Diktatur und vor allem ihrer nachträglichen gesellschaftlichen Verwerfungen, die ja einen wichtigen Kontext darstellen, gehören da noch zu den beeindruckenderen Passagen. Ansonsten gebiert eine Fortabstrahierung die nächste. So wie auch nur Anflüge von Handlung Dramatik erkennbar werden, spült der nächste seitenlange Gedankenstrom sie wieder fort. Endlose, zum Teil halbseitenlange Relativ- und Schachtelsätze und der fehlende Verzicht auf Binsenweisheitlichkeit tun ihr übriges. So bleiben auch Doppelungen nicht aus, wenn die eigentlich dem Leser obliegende Verarbeitung der Erzählmasse noch einmal zusätzlich beschrieben und erklärt wird.
Fazit: Wer sich auf der Meta-Ebene gerne viel vorreflektieren und vorphilosophieren lässt, der ist mit dem Roman gut bedient, wer aber nicht nur vom Fortgang der Überlegungen sondern auch der Ereignisse getragen werden möchte, der bekommt so seine Probleme.
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