Prawda

The fear starts here

Was der Buchtitel «Prawda» verheißt, «Wahrheit» nämlich, das findet sich in den eigenwilligen Romanen der Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe eher selten, ihr literarisches Markenzeichen ist vielmehr ihre mit Komik angereicherte, überbordende Phantasie, – «Eine amerikanische Reise» ist also alles andere als ein touristischer Bericht. Auf den Spuren zweier russischer Schriftsteller, Ilja Ilf und Jewgeni Petrow, folgt Hoppe achtzig Jahre später deren von der Zeitung «Prawda» initiierten Reise durch die USA. Die beiden waren damals als Autorenduo mit ihren satirischen Romanen überaus populär, und nach ihrer viermonatigen Amerikatour verfassten sie das amüsante Buch «Einstöckiges Amerika» sowie einen Fotoband. Ihnen zu Ehren wurde 1982 ein neu entdeckter Kleinplanet «3668IlfPetrow» benannt.

«Red Ruby» tauft die reiselustige Felicitas Hoppe im September 2015 den rubinroten Ford Explorer (nomen est omen), mit dem sie in weniger als sechzig Tagen die USA durchqueren will, den beiden Russen folgend, etwa zehntausend Meilen liegen vor ihr. Mit an Bord sind drei in einem skurrilen Auswahlverfahren selektierte Reisegefährten, deren Schrulligkeit allein dem Roman schon eine amüsante Färbung gibt. Da ist zunächst mal Foma, der einzige Mann der Gruppe, ein Landschaftsgärtner mit russischen Wurzeln «auf der Suche nach dem größten Kaktus der Welt». Er wechselt sich mit MsAnnAdams am Steuer ab, einer sich geradezu zwanghaft an ihre Handtasche klammernden und den «Distanzplan» in Händen haltenden Kettenraucherin aus Wien, die mit wahrhaft enzyklopädischem Wissen gesegnet ist. Jerry Miller aus Halle schließlich arbeitet an einem fotografischen Projekt mit dem beziehungsreichen Arbeitstitel «Bräute am Wegrand». Die zwar nicht führerscheinlose, aber fahrunwillige Autorin, die sich «Frau Eckermann» nennt, sitzt hinter dem Fahrer auf der Rückbank des geräumigen SUVs, in ihrem «Torcqueville-Erker», und zitiert immer wieder mal den französischen Historiker Alexis de Torcqueville, dessen berühmtes Hauptwerk «De la démocratie en Amérique» sich ebenfalls auf eine Amerikareise gründet.

Zu den Sehenswürdigkeiten, die das muntere Quartett ansteuert, gehören unter anderen die Niagarafälle, die Werkstatt von Thomas Edison, die Ford-Werke in Detroit, ein elektrischer Stuhl, der Zaun von Tom Sawyer, das kuriose Museum für den Wirbelsturm Katrina, zwischendurch hält Hoppe Vorträge bei «Radio Goethe». Sie besucht auch Frankensteins Haus, über dessen Eingang es aus dem Maul einer schaurigen Maske tönt: «The fear starts here», – ein Slogan, der sich noch öfter findet im Roman. Unfreiwillig verbringt die Ich-Erzählerin eine Nacht in einem Bergwerksstollen, trifft den Maler Brueghel den Allerjüngsten, den «Pharao» Barak Obama im Weißen Haus, schließlich die Regie-Legende Quentin Tarantino. «Schriftsteller halten sich niemals an Fakten», heißt es beziehungsreich im Roman, und so ist denn diese mit Skurrilem üppig angereicherte Reise in jeder Hinsicht weit eher ein Ausflug in poetische Sphären denn ein faktenbasierter Bericht.

Diese hoppesche Sicht der Dinge, ausschließlich literarisch bestimmt also, ist eine Art Gegenwelt zur schnöden, so gar nicht froh machenden Realität, ihre poetisch gefärbte Perspektive ist nur von eigenen Phantasien befeuert und artikuliert sich in einer kreativen, mit Sinnsprüchen, Neologismen und Zitaten durchsetzten Sprache. «Notieren Sie das bitte, Gentlemen!» fordert Hoppe schnippisch immer wieder ihre Leser auf. Erfreulich ist auch die komödiantische Intertextualität des Romans, deren amüsanteste für mich das immer wieder neu abgewandelte Zitat des berühmten ersten Satzes aus Tolstois «Anna Karenina» ist. Nicht alle Besonderheiten ihres spezifischen Schreibstils aber haben mich überzeugt, ihr «wirklich (tatsächlich)» beispielsweise hat mich sogar ziemlich genervt, manchen Leser dürfte zudem auch der furiose Wirbel mit wilden Phantasmagorien und Assoziationen schwindelig machen. The fear starts here?

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by S. Fischer

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