Wer „Atlas eines ängstlichen Mannes“ gelesen hat, ist unweigerlich verloren. Verloren im Universum der Literatur-Droge namens Christoph Ransmayr. Wie es in Selbsthilfegruppen üblich ist, nennt man seinen Namen und gesteht: „Ich bin süchtig“.
Nun ist der schriftstellerische Drogenchemiker Ransmayr aber bekannt dafür, dass er auch ganz gerne experimentiert. Er liebt es, das Design und damit auch die Wirkung seiner Produkte zu verändern, neue „Spielformen des Erzählens“ auszuprobieren.
Stilistisch fast schon konventionelle Romane wie „Die letzte Welt“ und „Morbus Kitahara“ waren es, die ihm überregionale Aufmerksamkeit und internationale Anerkennung einbrachten. Dann aber waren es die kurzen Erzählepisoden seiner vielen Reiseerlebnisse rund um die Welt, die sich im „Atlas eines ängstlichen Mannes“ wie in einem Essay-Band aneinanderreihten.
In „Geständnisse eines Touristen: Ein Verhör“ verbindet er gleich mehrere Komponenten miteinander, die er alle perfekt beherrscht und mit denen er leidenschaftlich gerne spielt, nämlich erzählende Prosa und Fiktion, präsentiert in kleinen Häppchen, die der Leserschaft die Chance geben, mit diesem philosophischen Schnelldenker Schritt zu halten.
In diesem Buch betreibt er zudem – ganz im Sinne einer kapitalistischen Effizienzsteigerung – Literaturrecycling vom Feinsten. Interviews mit ihm und Beiträge über ihn, die irgendwann in den vergangenen Jahren in diversesten internationalen Zeitschriften und renommierten Magazinen veröffentlicht wurden, hat er in diesem Werk zusammengetragen und in ein fiktives Verhör umgewandelt. Protagonist ist einzig und allein der Autor, der die Fragen des unsichtbaren Verhörenden als Einleitung zu seinen Stellungnahmen respektive „Geständnissen“ kurz wiederholt, als hätte er sie nicht richtig verstanden.
Diese Stilform gibt ihm die Gelegenheit, sich zu allen möglichen Lebensthemen zu äußern – zu geschichtlichen Ereignissen und zu Abenteuern, zu Politik und Literatur, zum Schreiben, aber auch zu seinem Umgang mit der Kritik an seinen Werken. In diesem Zusammenhang spart er auch nicht an Selbstkritik an der eigenen Gattung der Schriftsteller. Die „Ahnengalerie der Literaturgeschichte“ sei keine Heldengalerie, sondern ein „Armenhaus und Asyl voller liebes- und geltungssüchtiger Neurotiker“.
Insgesamt ist das Buch zugegebenermaßen sehr schriftstellerei-lastig, was aber überhaupt kein Nachteil ist, sondern für die Leserschaft nichtsdestoweniger eine Vielzahl an bereichernden Erkenntnissen und punktgenau treffenden und gleichzeitig schönen Formulierungen bereithält. Dies sei nur deshalb erwähnt, weil der Titel „Geständnisse eines Touristen“ in dieser Hinsicht falsche Erwartungen weckt. In diesem Buch findet man nicht oder nur kaum die begeisternden Schilderungen seiner Reiserlebnisse und deren sprachlich perfekte Visualisierung, wie man sie aus „Atlas eines ängstlichen Mannes“ im Hinterkopf hat, nein, es sind mehr die universellen, philosophischen Analysen aus der Metaebene, die Ransmayr zum Besten gibt.
Aber auch das ist kein Defizit, kein Abstrich, nur anders, unerwartet, jedoch wie immer maximal intensiv. Nach Sätzen wie
„Heimweh ist vermutlich und grundsätzlich ein Phantomschmerz, weil er sich auf Erinnerungsbilder bezieht, die so oder so ähnlich vielleicht nie existiert haben“
oder
„Wer mit dem Abschied nichts anzufangen weiß, der wird nie etwas überwinden, nie einen Weg finden und nirgendwo ankommen“
muss man zwangsläufig innehalten und die berauschende Wirkung ganz langsam und genießend abklingen lassen, um dann fast schon zwangsläufig auf direktem Weg in die Selbstanalyse einzusteigen.
Warum er all dieses Zitate-Puzzle, all die philosophischen Gedanken, dieses Mosaik anderweitig veröffentlichter Beiträge letztendlich einem Touristen in den Mund gelegt hat, ist eher unlogisch, leicht verwirrend und wird sein Geheimnis bleiben oder das seines Verlages. Diese dadurch verursachte Spur an Verkrampftheit und Verzwungenheit steckt das Gesamtwerk locker weg.
In Summe sind es diese Vielseitigkeit, diese Polyvalenz, die vielen Überraschungseffekte, die Denkanstöße, seine fundierte Lebensweisheit und die Fragezeichen, die diesen Autor Christoph Ransmayr ausmachen, der sich auch als Individuum nicht einfach kategorisieren lässt. Ein Mensch, der sich selbst mit einem sympathischen Augenzwinkern irgendwo zwischen Halbnomade, Weltbürger, hochdekoriertem Autor und wurzelsepphaftem österreichischem Dörfler verortet. Das schlägt sich auch in seinen Werken nieder und das ist es, was ihn immer wieder lesenswert macht.
Illustrated by Fischer Verlag