SAID (Said Mirhadi) kam siebzehnjährig als Student nach München. Der 1947 in Teheran geborene Politikwissenschaftler versuchte nach dem Sturz des Schahs in seiner Heimat erneut Fuß zu fassen. Die dort durch die Mullahs neu begründete Theokratie veranlasste ihn aber, in das deutsche Exil zurückzukehren. 2004 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft, doch seine Werke sprechen von der Sehnsucht nach seinem Geburtsland, einer Heimat, die ein Exilant zu lieben gezwungen ist, wie eine unerreichbare Geliebte, die Fata Morgana einer Oase, die in der Phantasie, im schmerzlichen Winkel der Seele wohl unerhört herrlicher erscheint, als sie in der Realität je zu sein vermag. Diese Krux quälte wohl auch den begnadeten Autor, der glücklicherweise in der deutschen Sprache eine neue „Behausung“ gefunden hatte, dutzende Bücher veröffentlichte, u.a. auch in renommierten, großen deutschen Verlagen.
Es ist für mich ein bedrückender Anlass eine Rezession zu verfassen, eines Buchs, das ich bereits vor seinem Ableben zur Besprechung erhielt. Im Lesen vermischt sich die Trauer über den Tod des Poeten mit der Traurigkeit, die aus den Zeilen der Texte zu uns spricht, die von Exil, Vertreibung, Bespitzlung, Verrat und Leben in der Verbannung berichten.
Ich wechselte in meiner Funktion als Herausgeber eine wenige Mails mit dem persischen Poeten, bin sicherlich nicht prädestiniert einen Nachruf zu verfassen. Allerdings gebietet es der Respekt vor dem Menschen und dem oftmals ausgezeichneten Dichter SAID, dies zu versuchen, zumal er ein sehr treuer Wegbegleiter des »Pappelblattes« war, für das er mehrere Jahre hindurch Texte verfasste, bzw. sie zur Verfügung stellte.
Mich faszinierte seine poetisch-surreale Sprache, die sehr oft an die besten Stücke des absurden Theaters erinnerte, etwa an die Nashörner. Auch Metaphorisches in Liebesangelegenheiten beeindruckte mich, das man besser deutlich nicht in Prosa schreibt. Die Qualität seiner Sprache lag für mich genau in diesem flimmernd offen gehaltenen Ausdruck, der Poesie ausmacht, der vielleicht auch gerade dann notwendig scheint, wenn die Wucht der Realität Prosa zu flach oder zu brachial loshämmern lassen würde.
Speziell in „flüstern gegen die wölfe“, gehen seine Bilder, seine ungeschönte Wahrnehmung in trotzdem erhobener Sprache tief unter die Haut. Eine glatte Prosa könnte zu abstoßend ankommen; man verweigert sich innerlich unwillkürlich, schreckliche Erlebnisse aufzunehmen, oder sperrt sich generell vor der Tiefe der Emotionen, wie sie auch in SAIDS Liebestexten an die Oberfläche brechen. Allein die Kunstfertigkeit seiner poetischen Kraft vermag zu bannen. An seinen Sätzen bleiben unsere Augen haften, auch wenn die Bilder, die er evoziert, wenig Erfreuliches bieten. Dabei ist SAIDS Stil ein komplementär verschiedener zu der geilen Effekthascherei, die in den Texten der meisten deutschreibenden Zeitgenossen liegt, die der Aufmerksamkeitsökonomie hörig, Hässliches oder Grausames aufs Papier fetzen, als wären sie horrorfilmsüchtige Jugendliche auf dem Trip in die imaginierte Hölle.
SAID geht es weder um Likes noch um plakativ Besonderes. Wir hatten das Glück in seinem Unglück, einen vorzüglich deutsch schreibenden Autor unter uns zu haben, der originär von einer Welt jenseits unserer demokratischen Gewohnheiten erzählt. In „flüstern gegen die wölfe“ erinnert er an Bespitzelung im ehemaligen Ostblock, Ähnliches wiederholte sich im Iran. Ein Text handelt vom Leben auf einer Verbannungsinsel. Doch auch Magisches, fast Mystisches begegnet uns unerwartet in politisch bedingter Isolation. Es ist zu hoffen, dass der Autor viele glückliche Momente in seinem Leben erfuhr. Als Präsident des Deutschen PEN-Clubs setzte er sich für Menschenrechte und Freiheiten der anderen ein.
„wie ein reisender außerhalb der zeit“, lautet einer der Texte in seinem letzten Buch. Vielleicht entspricht dieser odysseenhafte Titel dem Grundgefühle eines Schriftstellers, der keinen direkten Draht, keinen Einfluss zu seiner Kultur, seiner Heimat, zur Politik seines Landes besaß, da jener durch die Diktatur gekappt wurde. Wir können SAIDS Werk auch als Vermächtnis lesen, als Mahnung und Aufforderung, gegen Demokratieverlust anzugehen, anzuschreiben, aufzubegehren. Gerade in diesen unglaublichen Zeiten, die wir durchmachen, in denen die Selbstzensur der Presse bezüglich der Corona-Maßnahmen, sowie die Kriminalisierung deren Kritiker die 4. Säule der Demokratie zum Einsturz brachte.
SAID verstarb am 27. Mai 2021 in München.
Manfred Stangl
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SAID flüstern gegen die wölfe: Geschichten