Die Mimik der Haie. Erzählungen

Matthias Risches „Die Mimik der Haie“ ist eine Sammlung von Erzählungen, die sich durch ihre dichte Atmosphäre, psychologische Tiefe und oft beunruhigende Themen auszeichnen. Rische versteht es, in gedrängter Form komplexe emotionale Zustände und gesellschaftliche Themen zu behandeln, die den Leser in eine dunkle und introspektive Welt entführen.

Die Erzählung „Traum von Wasser“ schildert das Leben des jungen Amir, der seine Welt durch das Schwimmen erlebt. Das Element Wasser steht hier symbolisch für die Sehnsucht nach Kontrolle, Freiheit und Heimat, aber auch für die Angst und Ohnmacht, die er empfindet, als er sich gezwungen sieht, seine Familie und seine Stadt zu verlassen. Der Text wechselt gekonnt zwischen der inneren Welt des Protagonisten und den äußeren politischen und gesellschaftlichen Umständen, die sich auf sein Leben auswirken. Der Autor nutzt das Motiv des Wassers als Spiegel für Amirs inneren Kampf und die Verlorenheit, die er schließlich in den Fluten des Meeres erfährt. Risches klare, präzise Sprache zieht den Leser tief in Amirs Welt hinein, lässt ihn die Dramatik der Flucht und das Gefühl der Orientierungslosigkeit hautnah miterleben.

Die titelgebende Erzählung „Die Mimik der Haie“ ist ein ebenso düsteres und symbolisch aufgeladenes Werk. Der Protagonist lebt in einem emotionalen und physischen Chaos, das sich in seinen familiären und sozialen Beziehungen widerspiegelt. Die ständige Gewalt, die Hilflosigkeit und die Isolation werden durch die Metapher der Haie unterstrichen – Tiere, die keine Mimik haben, aber dennoch unerbittlich in ihrem Verhalten sind. Er beobachtet diese Tiere mit einer Faszination, die sich in seinem eigenen Leben widerspiegelt: Er lernt, seine eigenen Emotionen zu unterdrücken, kann jedoch der Gewalt, die ihn umgibt, nicht entkommen. Die Geschichte entfaltet ein düsteres Bild von Vernachlässigung, Gewalt und der Flucht vor der eigenen Vergangenheit, was durch die distanzierte und gleichzeitig eindringliche Erzählweise verstärkt wird.

„Gene oder Erziehung“ stellt auf beklemmende Weise dar, wie frühkindliche Prägungen und familiäre Umstände das Leben eines Menschen in destruktive Bahnen lenken können. Rische zeichnet hier das Porträt eines Kindes, das von einem autoritären Vater geprägt wird und sich zunehmend in eine Spirale aus Gewalt und emotionaler Kälte hineinsteigert. Die Frage, ob Gene oder Erziehung den Menschen formen, bleibt unbeantwortet, doch der Text vermittelt eindrücklich, wie die Umgebung ein Leben vergiften kann. Der nüchterne Stil und die Kälte, mit der die brutalen Ereignisse geschildert werden, verstärken die bedrückende Wirkung der Erzählung.

Stilistisch zeichnet sich „Die Mimik der Haie“ durch eine klare, prägnante Sprache aus, die den Fokus stark auf die innere Gefühlswelt der Protagonisten und ihre Konflikte lenkt. Risches Geschichten sind introspektiv, oft tief in das Bewusstsein der Protagonisten eingebettet. Er mag den inneren Monolog und fokussiert auf die psychische Verfassung seiner Figuren, sodass die Handlung manchmal fast in den Hintergrund tritt. Dies erzeugt eine beklemmende Nähe zu den Charakteren und lässt den Leser ihre innere Zerrissenheit unmittelbar erleben.

Matthias Rische

Risches Sprache ist nüchtern, fast distanziert. Gewalt und emotionale Tragödien werden ohne große Dramatik, nahezu lakonisch, beschrieben. Diese zurückhaltende Art des Erzählens verstärkt die Wirkung der Ereignisse und schärft die brutalen oder emotional aufwühlenden Momente, da sie ohne explizite Wertung präsentiert werden.

Der Autor verzichtet auf überflüssige Details, konzentriert sich auf das Wesentliche. Seine sprachliche Sparsamkeit verleiht den Geschichten eine gewisse Härte und Unmittelbarkeit. Er bricht in einigen Geschichten mit fragmentarischen Erzählstrukturen, löst die Chronologie der Ereignisse, wodurch der Leser die Zusammenhänge selbst rekonstruieren muss. Diese Technik verstärkt den Eindruck der Desorientierung und Verlorenheit der Figuren und spiegelt ihre emotionale und mentale Zerrissenheit wider.

Insgesamt nutzt Matthias Rische einen Stilmix aus Prägnanz, Symbolik und emotionaler Distanz, um komplexe psychologische und gesellschaftliche Themen darzustellen. Seine Sprache ist reduziert, aber durchdringend, was die beklemmende Atmosphäre seiner Erzählungen unterstreicht.

„Die Mimik der Haie“ ist eine Sammlung, die durch ihre emotionale Intensität und die geschickte Verbindung von inneren und äußeren Konflikten beeindruckt. Die 22 Erzählungen sind tiefgründig und provokativ, oft unbehaglich und beklemmend, jedoch stets fesselnd. Sie fordern den Leser heraus, sich mit den dunklen Seiten der menschlichen Existenz auseinanderzusetzen.

Fazit: Herausfordernd!

 


Illustrated by Periplaneta Berlin

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