Die Griechen. Der englische Byzantinist Roderick Beaton legt in seinem mehr als 600-seitigen Werk eine Globalgeschichte über das Kulturvolk der Griechen vor, das schon mehr als 1000 Jahre existiert(e).
Nephelokokkygia – Wolkenkuckucksheim
Im Westen – unter den “Lateinern” oft vergessen – wird oft nicht bedacht, dass das Römische Reich nach seinem Untergang noch beinahe 1000 Jahre weiterlebte: in Konstantinopel, heute besser bekannt als “Istanbul”. Von den griechischen Polis Athen, Sparta, Theben bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen spannt sich der Bogen der vorliegenden Geschichte über die auch als Helenen, Achaier, Danaer, Argiver bekannten europäischen Stadtstaaten, die sich zuerst selbst bekriegten und dann doch gegen die Perser zusammenhielten, um sich später erneut untereinander zu bekriegen. Dabei machten weder die einen noch die anderen sich einen Hehl sich mit dem ehemaligen Erzfeind der Griechen gegen die jeweils anderen Griechen wieder zu verbünden.
Weltkriege – schon damals
Vielleicht deswegen gilt das alte Griechenland unbestritten als die eigentliche Wiege des Abendlandes, Päderast und Sklavenhaltung inbegriffen. Selbst die Olympische Idee geht auf das alte Griechenland zurück, denn die Olympischen Spiele seien schon im Jahr 776 v.Chr. ins Leben gerufen worden sein. Auch der Ostrakismos geht auf die Griechen zurück, abgesehen von unzähligen Philosophen, die noch heute unser Denken beeinflussen. Wie Roderick Beaton treffend beschreibt, wurden schon damals “Weltkriege” (Kapitel 4) ausgetragen, denn Perser gegen Griechen, Ost gegen West, das war ein Match, das noch mehrere Jahrhunderte oder Jahrtausende andauern sollte.
Romaioi, keine Romani
Alexander aus Makedonien gelang es schließlich den Spieß umzudrehen und erobert nicht nur Persien, sondern geleitete seine Truppen noch bis zum Indus. Das “psychopathische Genie” (O-Ton Beaton) hätte es ohne das ideologisch-kulturelle Rüstzeug der Griechen wohl nicht geschafft, so viele Völker zu unterwerfen und das – so schreibt Beaton – obwohl auf der Seite der Perser weit mehr Griechen gegen ihn kämpften als mit ihm. Aber schließlich schwebte ihm in Form des Hellenismus eine Vereinigung von West und Ost vor, ein “Imperium ohne Grenzen”. Konstantin der Große vermochte es mehr als ein halbes Jahrtausend später mit Hilfe einer neuen Religion, des Christentums, ein solches Imperium ohne Grenzen zu errichten, verkörpert seine Herrschaft doch beinahe die größte Ausdehnung der römischen Macht in der Geschichte Westroms. In hoc signo vinces. Allerdings ging das auch ohne Christentum. Denn die größte Ausdehnung war schon unter Trajan, 130 Jahre zuvor.
Ein griechisches Römisches Imperium
Die offizielle Teilung des Reichs erfolgte unter Theodosius I., 395 n.Chr., der die beiden Hälften an seine beiden Söhne weitergab. 476 endete der Westen allerdings und Konstantinopel wurde zur Hauptstadt eines Reiches, in dem immerhin 30 Millionen Menschen lebten. Aber diese Menschen waren Romaioi und keine Romani, wie Beaton betont, ihre Sprache war Griechisch, ihre Religion orthodox. Denn schon damals begann das Schisma. War das Wesen Christi homoousios (vorn derselben Substanz) oder homoioousios (von ähnlicher Substanz) gehörten zu den damaligen Disputen, die ganze Landesteile spalten konnten. 530 war Griechisch durch Justinian zur Staatssprache in Ostrom erklärt worden. Konstantinopel zur “Stadt der Sehnsucht der Welt” geworden.
Fu-lin, “Stadt der Sehnsucht der Welt”
Zu den weiteren Stationen der Spaltung der Welt in Ost und West zählt etwa auch der Ikonoklasmus, der Bilderstreit. Zu den Errungenschaften Ostroms kann aber die friedliche Konversion der Slawenvölker verstanden werden, so Beaton, was im Westteil Europas zur gleichen Zeit mit dem Schwert erzwungen wurde. Damals hätte es allein in der Hauptstadt eine Kirche für jeden Tag des Jahres gegeben, so ein Zeitgenosse. Die Pracht Konstantinopels wurde weit über seine Grenzen besungen und mag wohl auch deswegen den Ehrgeiz so mancher asiatischer Despoten erweckt haben, diese reife Frucht zu pflücken.
Dass es aber schlussendlich die Christen selbst waren, die sich dieser schönsten aller Städte beraubten, das verheimlicht uns auch Roderick Beaton nicht. Denn es war ein vereintes Heer aus Franzosen, Franken, Genuesen, Venezianern u.a., die im sog. Vierten Kreuzzug Konstantinopel plünderten und brandschatzten. Auch wenn es dann noch zweieinhalb Jahrhunderte Bestand hatte, war es seine Seele beraubt worden: von Christen.
Eine epochenübergreifende Erzählung sowie ein lehrreiches Lesevergnügen, das uns sogar mehrmals zeigt, dass der eigentliche Feind nicht der andere oder das Fremde sind, sondern uns zutiefst inmitten wohnt. Ebenfalls im Reclam Verlag erschienen ist eine zweibändige Prachtausgabe zu Homers Ilias und Odyssee. Übers. von Johann Heinrich Voß
Einleitung und Nachworte von Melanie Möller. 2 Bde. geb. im Schuber. Buchformat 12 × 19 cm. Insges. 1054 S.
ISBN: 978-3-15-030085-5
Roderick Beaton
Die Griechen. Eine Globalgeschichte
Deutsche Erstausgabe
Übers. von Ursula Blank-Sangmeister unter Mitarbeit
von Janet Schüffel
Geb. mit Schutzumschlag, Fadenheftung, Lesebändchen
Format 13,5 × 21,5 cm
605 S. 43 Farbabb. 15 Karten
ISBN: 978-3-15-011007-2
Reclam Verlag
38,00 €