Wenn das Böse obsiegt
«Ich schreibe keine Kriminalromane» hat Patricia Highsmith kurz vor ihrem Tode gesagt, und so ist denn auch der 1955 erschienene Roman «Der talentierte Mr. Ripley» eher eine psychologische Studie. Der in nur sechs Monaten «wie von selbst» geschriebene Roman wurde 1960 erstmals verfilmt und 1961 unter dem Titel «Nur die Sonne war Zeuge» auch auf Deutsch herausgebracht, sein Erfolg führte später in größeren Abständen zu vier weiteren Romanen um den Helden Tom Ripley. Der letzte erschien 1991, in diesem Jahr stand Highsmith dann auch auf der Vorschlagsliste für den Nobelpreis. Die zweite Hälfte ihres Lebens in verschiedenen Ländern Europas lebend, war die amerikanische Autorin mit ihren insgesamt 22 Romanen und einer großen Anzahl anderer Werke in den USA weniger erfolgreich als in ihrer Wahlheimat. Ein wesentlicher Einfluss auf ihr Werk ist einem populärwissenschaftlichen Buch über Psychiatrie zuzuschreiben, das sie unter den Büchern der Eltern fand: « Es waren Fallgeschichten – Kleptomanen, Pyromanen, Serienmörder – praktisch alles, was mental falsch laufen konnte. […] Ich merkte, dass diese Leute äußerlich völlig normal aussahen und realisierte, dass ich von solchen Menschen umgeben sein könnte.» Das erklärt, warum im Mittelpunkt ihrer Romane nicht die Frage nach dem Täter steht, sondern nach seinem Motiv, nach versteckten Beweggründen für seine Tat und den äußeren Begleitumständen.
Tom Ripley, ein in prekären Verhältnissen lebender 25jähriger Mann, befreit sich durch zwei Morde und viel Talent aus seinem drögen Dasein. Er steht als Täter von vornherein fest, der Roman ist komplett aus seiner Perspektive erzählt, das Warum also steht im Vordergrund. Die Autorin befasst sich vornehmlich mit der Frage, was in ihm vorgeht, welche kriminelle Energie da offensichtlich ungebremst wirksam wird, allen Moralgesetzen, dem Freudschen Über-Ich, zum Trotz. Was macht einen bisher allenfalls kleinkriminellen Durchschnittsmenschen zum zweifachen Mörder, und wie gelingt es ihm innerlich, damit umzugehen?
Die Handlung ist in wenigen Worten erzählt: Tom reist im Auftrag des reichen Vaters seines ehemaligen Schulfreundes Richard Greenleave nach Italien. Der einzige Sohn des Werftbesitzers, mit monatlichen Schecks aus eigenem Vermögen bestens versorgt, dilettiert dort als Maler und führt ein bohemeartiges Leben. Tom soll ihn zu Rückkehr in die USA bewegen. Als das zu scheitern droht, bringt Tom kurz entschlossen Richard um, lässt die Leiche verschwinden, nimmt chamäleonartig dessen Identität an und beschließt, ab sofort ein schönes Leben zu führen, sich in anderen Kreisen zu bewegen. Als ein Freund ihm auf die Schliche zu kommen droht, wird auch der umgebracht. Was folgt ist ein trickreiches Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei, mit Richards Freundin Marge, dem Vater und Freunden von Richard.
Highsmith hat einen aberwitzigen, aber jederzeit nachvollziehbaren Plot konstruiert, der zu erheblichen Teilen als Bewusstseinsstrom erzählt wird, ein Stilmittel, mit dem sie Toms psychologisch interessante Beweggründe, samt Rechtfertigung jenseits aller Moral, meisterhaft herausarbeitet. Äußerst kunstvoll ist hier ein kriminalistisches Labyrinth angelegt, in dem der ebenso talentierte wie reuelose Held sich scheinbar mühelos bewegt, den Verfolgern immer einen entscheidenden Schritt voraus. Die Geschichte ist in einfacher, flüssig lesbarer Sprache geschrieben und entwickelt einen Sog, der den Leser mitreißt bis zum unkonventionellen Ende. En passant wird das Lesen auch zu einer Reise durch Italien, das Lokalkolorit ist jedenfalls treffend eingefangen, wahrlich geeignet mithin, Sehnsucht nach Bella Italia zu erzeugen. Der Mut der Autorin, sich auf die Seite des Bösen zu stellen, zumindest dessen Perspektive einzunehmen, ist lobenswert, weil unüblich. Und verblüffend ist, wie die Autorin es sogar fertig bringt, den braven Leser auf die Seite des amoralischen Protagonisten zu ziehen. Steckt ein wenig von ihm in uns allen?
Fazit: lesenswert
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