Triumph über das Böse
«Dieses Buch ist den toten und lebenden Antifaschisten Deutschlands gewidmet» heißt es vorab in «Das siebte Kreuz», dem zweifellos bedeutendsten Werk der deutschsprachigen Exilliteratur, geschrieben von Mai 1938 bis Spätsommer 1939 von der jüdische Schriftstellerin Netty Reiling unter dem Pseudonym Anna Seghers. Der Roman ist 1942 in Mexiko auf Deutsch erschienen, war dann sehr schnell in den USA ein Riesenerfolg und wurde schon zwei Jahre später in Hollywood verfilmt, ehe er nach dem Krieg auch in Deutschland einen wahren Hype auslöste, er ist bis heute Schullektüre. Die spannende Geschichte war als Beitrag im Kampf gegen den Nationalsozialismus gedacht, Anna Seghers äußerte sich dazu: «Eine Fabel also, die Gelegenheit gibt, durch die Schicksale eines einzelnen Mannes sehr viele Schichten des faschistischen Deutschlands kennen zu lernen». Wobei die von der Nazidiktatur verursachten Risse und Brüche nicht nur quer durch die Gesellschaft, sondern auch quer durch die Familien gehen. 2018 wurde für das jährlich stattfindende Lesefest «Frankfurt liest ein Buch» dieser Roman ausgewählt, was eindrucksvoll belegt, wie aktuell diese Lektüre noch, – oder vielleicht auch gerade wieder, ist!
Aus dem Konzentrationslager Westhofen nahe Worms brechen sieben Häftlinge aus, von denen drei sehr schnell, zwei andere nach wenigen Tagen gefasst werden, einer stellt sich schließlich freiwillig. Der wütende, weil ziemlich blamiert dastehende Lagerkommandant lässt zur Abschreckung auf dem Hof an sieben entkronten Platanen ein Brett so annageln, dass ein Kreuz entsteht, an das die inzwischen gefassten Ausbrecher beim täglichen Appell vor den versammelten Lagerinsassen angebunden werden. Eines dieser Kreuze aber bleibt leer. Denn Georg Heisler, ein ehemaliger Kommunist, den seine Flucht über Worms bis nach Mainz und Frankfurt führt, kann sich der Verhaftung mit Hilfe von Freunden oder gut meinenden Fremden immer wieder entziehen. Von einem älteren Ausbrecher hat er während der Vorbereitung viele wertvolle Tipps und Verhaltensmaßregeln bekommen für das unauffällige Untertauchen in der Menge. Mehr soll hier aber nicht ausgeplaudert werden, denn diese Fluchtgeschichte ist wirklich spannend, ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen bis zum Schluss.
Wichtiger als der fesselnde Plot aber ist der Blick auf das Alltagsleben während der Nazidiktatur vor dem Zweite Weltkrieg. In dem aus mehr als dreißig Figuren bestehenden Ensemble stehen zunächst die Ausbrecher im Vordergrund, neben Heisler als mutiger Protagonist ein ehemaliger Reichstagsabgeordneter der KPD, ein Trapezkünstler, ein ehemaliger kommunistischer Bürgermeister, ein wohlhabender Kaufmann, dessen Spenden an die falsche Seite geflossen sind, ferner Menschen aus allen soziologischen Schichten und mit den unterschiedlichsten politischen Gesinnungen, also auch die KZ-Wachmannschaften und Kriminalbeamten. Der Geflüchtete versucht äußerst vorsichtig, Kontakt zu ehemaligen Freunden, Arbeitskollegen, politischen Wegbegleitern, zur verlassenen Frau und zu seiner Geliebten aufzunehmen, wobei er – durchaus berechtigt – immer wieder fürchtet, seine Häscher würden alle möglichen Kontaktpersonen lückenlos überwachen. Neben viel Ablehnung stößt er auch unerwartet auf gutwillige Fremde während seiner siebentägigen Flucht, wie den jüdischen Arzt zum Beispiel, der ohne Fragen zu stellen seine verletzte Hand verbindet, – und auch der Zufall spielt natürlich eine Rolle.
Anna Seghers wollte ganz offensichtlich mit ihrem Roman zeigen, dass die Nazis nicht allmächtig sind, das siebte Kreuz also leer bleibt. Der Plot ist stimmig konstruiert, ihre in sieben Kapitel gegliederte Geschichte wird in mehreren Handlungssträngen chronologisch und in einer leicht verständlichen Sprache erzählt. Permanent lauert das Böse in dieser Geschichte, wobei etliche mythische, religiöse und historische Bezüge deutlich werden und die Moral letztendlich den Triumph über das Böse feiert.
Fazit: erstklassig
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