Der Klimaatlas- 80 Karten für die Welt von morgen

Luisa Neubauer ist das Gesicht von Fridays for Future, der „unideologischen Bewegung“, leiteten sie doch ihre Aktivitäten von Studienergebnissen ab. „Wissenschaftliche Bekenntnisse sind das stärkste Argument gegen Klimazerstörung,“ dachten sie.

Aber, warum ist FFF verschwunden?

An der Wissenschaft liegt es nicht, und so werden von den Autoren andere Wege gesucht, und gefunden, diese Erkenntnisse bekannter zu machen.

Dazu kommt ein Buch im DIN A4 ähnlichen Format, knapp zweihundert Seiten, mit großflächigen Abbildungen. Die Kapitel werden durch Texte eingeleitet, die in sehr hellem Grau gehalten und für Ältere nicht gut lesbar sind. Umso farbiger sind die Abbildungen.

Die ersten beiden Kapitel beschreiben die Lage, dass weltweit Frühlinge früher beginnen, die Temperaturen ansteigen.

Dass der ökologische Wandel ein komplexeres Geschehen ist, wird im dritten Kapitel eingeleitet: Es ist mehr als der CO2 Anstieg. Lebensräume sind bedroht. Arten sterben. Wie schützen wir unsere Ressourcen, die Böden und das Trinkwasser?

Im Kapitel Gesundheitlicher Wandel wird die Tatsache angesprochen, die sich durch das Werk zieht: Es trifft die Ärmeren stärker. Länder, die am Äquator liegen, sind schon bei einem Anstieg von 1,5° C nicht mehr bewohnbar, andere in deren Nähe werden es bei über 2°C nicht mehr sein. Alle Länder, die deutlich oberhalb des Äquators liegen, ob in Amerika, Europa oder Asien, also die reicheren, bleiben auch dann bewohnbar.

Und wen trifft es hier? Die Ärmeren, die kürzer leben, schlechtere Luft atmen, weniger Parks haben, keine Gärten. Eine Abbildung dazu: Dein Lamborghini schadet meiner Lunge.

Ein gesellschaftlicher Wandel ist gefragt. Dazu ist zu reflektieren, was wir anstreben und was Fortschritt ist. Und: was wer verlieren wird.

Ist unsere Welt die von Hollywood, mit breiten Autospuren, auf denen ein „PS-gestählter Superheld“ dahinbraust? Gerade diejenigen Menschen, die ohne lebensgefährdende Einschränkungen etwas für den Bestand des Planeten tun könnten, genießen diesen Lebensstil und glauben, sie hätten ihn sich verdient.

Gibt es andere Leitbilder? Es geht auch anders. In einer Abbildung werden Popheld:innen bewertet: Batman gehört der Vergangenheit an, Asterix setzt auf Technologien mit geringem Ressourcenaufwand, Lucky Luke hat einen Hauch toxischer Männlichkeit, gepaart mit einer Liebe für Eisenbahn und Empathie. Besser wird es mit Bibi Blocksberg, sie ist klimaneutral und setzt auf Frauen und Pipi sieht Kinder an der Macht, mit PS, aber ohne Auto.

Dann gibt es Vorschläge, wie die Leser: innen sich einbringen können. Die Auswahl ist groß, auf allen Ebenen können Aktivitäten entwickelt werden. Senior: innen können auf Klappstühlen den Eingang einer Bank blockieren. Und neben diesen gut hundert Vorschlägen gibt es nochmal so viele fürs Internet.

Mein Lieblingskapitel folgt: Politischer Wandel. Auf der einen Seite sind das Grundgesetz und das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Klimakrise abgedruckt, auf der anderen die Aussagen aktueller Politiker, schon Bekanntes von Lindner zum Freisein im Auto und Söder zur Bratwurst. Neu war mir das Beste: „Autobahnen sind in Beton gegossene Freiheit“ von Christoph Meyer, FDP von 2024!

Die nächsten Kapitel behandeln den wirtschaftlichen und den technologischen

Wandel mit globalen Beispielen.

In der Einleitung steht: „Wir möchten den Blick weiten, für all das, was sich kulturell, technologisch, gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich gerade verändert. Von der Energiegewinnung über die Gesetzgebung hin zu unserer Sprache und unseren Zukunftsträumen. Die Welt ist im Wandel, und das ist eine gute Nachricht.“

Das ist den Autor:innen gelungen.


Genre: Politik und Gesellschaft, Sachbuch
Illustrated by Rowohlt

Gegen die Ohnmacht: Meine Großmutter, die Politik und ich

gegen die ohnmachtIm Vorwort verteilt Luisas Oma selbst gestaltete Postkarten vor dem Eingang des Hamburger Botanischen Gartens: „Niemand macht einen größeren Fehler, als derjenige, der gar nichts macht, weil er nicht alles machen kann.“ Auf der Vorderseite ein Foto von einem übergewichtigen Adam, der in einen Apfel beißt: „Adam plündert sein Paradies“ heißt die Statue, die dort, am Eingangstor, steht. Hinten sind der Spruch des Philosophen Burke und ein Link zu einer Webseite, die über Ökostromanbieter informiert. Und das im ersten Jahr der Pandemie, sie ist Mitte Achtzig.

„Meine Großmutter ist dreißig Jahre vor mir Aktivistin geworden“. Ausgelöst durch „die atomare Bedrohung, hat sie die wachsenden ökologischen Krisen und weltweiten Ungerechtigkeiten“ auf ihre Art bekämpft, mit Leserbriefen oder Reden auf Aktionärsversammlungen, die als Beispiele aufgeführt werden.

Das Buch, von Luisa geschrieben, führt uns durch zwölf Kapitel, die jeweils einen Schwerpunkt bearbeiten: Erinnern, Rauchen, Empören, Fossilität, Privilegien sind Beispiele für deren Titel.

Ein Hobby schon der Familie der Großmutter sind Filme über das Aufwachsen der Kinder, und Luisa geht gerne zum Filmegucken, so lernen wir auch etwas über die anderen Familienmitglieder. Einige Bilder sind im Buch zu sehen. Es gibt sie schon aus den dreißiger Jahren, als Dagmar Reemtsma in Tilsit aufwuchs, 1933 geboren, nach der Machtergreifung Hitlers.

Der Vater lehnt den Nationalsozialismus ab, rät der Familie vor Kriegsende, inzwischen sind es fünf Kinder, zu fliehen, obwohl der politische Führer der Region genau das verboten hatte. Mutter und Kindern gelingt die Flucht, der Vater kommt wegen Ungehorsam ins KZ Stutthof bei Danzig, „wo er umkommt.“

Die Familie zieht nach Hamburg, wo Dagmar einen Spross der Reemtsma Familie heiratet. Sie genießt die Zuneigung der Schwiegerfamilie (zur Geburt des ersten Kindes schenkt der Schwiegervater „als Kinderwagen“ einen VW-Käfer!), und erst über vierzig Jahre später erfährt sie von der Verstrickung der Zigarettenfirma mit dem Naziregime. Auch in diesem Kapitel geht Luisa dialogisch vor, fragt sie, wie man nicht fragen konnte, warum eben dieser Schwiegervater nach dem Krieg inhaftiert worden war. Oder, was die Schwiegerfamilie zum Tod ihres Vaters im KZ sagte. „Luisa, darüber sprach man nicht. Ich war völlig ahnungslos. Im Geschichtsunterricht kam die jüngere Geschichte nicht zur Sprache, und sonst auch nicht.“

Nachdem Oma ihre Kinder großgezogen und sich von ihrem Gatten getrennt hatte, nahm sie an Demonstrationen teil. Trotz Hippiezeit blieb sie die Bürgerliche: Gut gekleidet und mit Hut. Bei der Aktionärsversammlung von Adidas beklagt sie die Höhe der Dividenden, die wegen der Ausbeutung der Näherinnen in Asien möglich sind.

Durch den Rückblick auf die Aktivitäten der Oma werden wir erinnert an Vorstellungen vom Fortschritt, die inzwischen Zeitgeschichte sind: den Elbausbau in Hamburg, die Flugzeugfabrik, die inzwischen abgerissen wurde.

Besonders lesenswert sind die Leserbriefe an die WELT, wo sie sich, auch schon 2007, gegen den Autowahn wendet: „Nach der mühevollen Einführung des Katalysators haben die deutschen Autohersteller absolut verantwortungslos agiert und produziert, und Herr Verheugen sorgt gerade in Brüssel dafür, dass es auch in Zukunft so bleiben wird.“ Und so kam es auch.

Manchmal spricht Luisa von ihrer Oma so liebevoll wie Großeltern von ihren Enkelkindern: „Der Computer und meine Großmutter führen eine aufreibende Ehe, stundenlang kann meine Großmutter vor mir stehen und sich beschweren: Heute hat er schon wieder dies gemacht …“

Als das Internet aufkam, hatte sie sofort einen Kurs bei der VHS belegt, weil sie ahnte, dass gerade Rentner hier schnell abgehängt werden können.

Im Kapitel Ostfronten geht es von der Flucht der Oma und den Kriegsfolgen weiter mit dem Krieg in der Ukraine. Wieder einen Krieg zu erleben, war für Europäer außerhalb jeder Vorstellung.

Gegen die Ohnmacht schließt mit den Gefühlen, die Aktivisten haben, wenn sie sehen, dass sie ihre Ziele nicht erreichen. Schon der Bericht, wie Aktivisten in Straßburg vor dem EU-Parlament erfahren müssen, dass Gas und Atom nachhaltig sein sollen, berührt. Ein Buch mit viel Informationen und Tiefgang, und auch noch gut zu lesen.


Genre: Biographien, Klimakrise, Zeitgeschichte
Illustrated by Tropen Verlag