Der Unberührbare

Sprachgewaltiger Nicht-Thriller

In seinem Roman «Der Unberührbare» erzählt der irische Schriftsteller John Banville die Lebensgeschichte eines Spions und Doppelagenten, der am Ende seiner konspirativen Karriere auffliegt und ins Bodenlose stürzt. Victor Maskell, Sohn eines protestantischen Bischoffs, als promovierter Kunsthistoriker hoch angesehen, Kurator der königlichen Kunstsammlungen mit verwandtschaftlichen Verbindungen zu den Windsors, wird nach seiner Enttarnung von einer jungen Frau aufgesucht, die ein Buch über ihn schreiben will. Der 72Jährige hält den Inhalt ihrer Gespräche schriftlich fest und schreibt damit quasi nebenbei seine Autobiografie, er rekapituliert als plötzlich geächteter und vereinsamter Mann der britischen Oberklasse sein bewegtes Leben. Darin hat er viele Rollen gespielt, ohne je wirklich Empathie entwickelt zu haben, selbst nicht seiner Frau und seinen Kindern gegenüber. Er hat nichts und niemanden an sich heran gelassen, er war stets «Der Unberührbare». Trotz seiner Thematik ist dieser Roman allerdings alles andere als ein Spionagethriller, soviel vorweg!

Der Schwerpunkt der nicht chronologisch angelegten Erzählung liegt im London Ende der wilden ‹Dreißiger Jahre›, wo der Ich-Erzähler als Mitglied der ‹Guten Gesellschaft› ein Leben in Saus und Braus führt. Als Kunstexperte hat Victor Maskell sich einer intellektuellen Szene angeschlossen, in der wilde Diskussionen auch über politische Themen geführt werden. Die kleine Clique, der er angehört, hält den Kommunismus für die bessere Gesellschaftsform und beginnt, dem russischen Geheimdienst Informationen zu liefern und britische Behörden und Institutionen auszukundschaften. Dabei bleibt der Protagonist auffallend distanziert, für ihn ist die Spionage lediglich eine Möglichkeit, etwas Leben in seinen langweiligen Alltag als Wissenschaftler zu bringen. Seine introvertierte Art hilft ihm dabei, später auch als Doppelagent viele Kontakte zu beiden Seiten zu halten, ohne dabei aufzufallen.

Auch privat ist er ein Einzelgänger, der erst spät, als über Zwanzigjähriger, die Schwester seines besten Freundes spontan nachts anruft und sie fragt: «Wollen Sie meine Frau werden?» Nach kurzer Bedenkzeit stimmt Vivienne zu. Er erlebt nach der Hochzeit seine Initiation, denn er hatte bisher noch nie Kontakt zu einer Frau. Aber Vivienne hilft ihm lachend über seine Unbeholfenheit hinweg, sie hatte schon etliche Liebhaber. Seine bisher unterdrückte, latente Homosexualität kommt dann allerdings später umso stärker zum Vorschein. Als Schwuler führt er ein geheimes Leben in den entsprechenden Kreisen, das streng geheim bleiben muss, um ihn nicht zu kompromittieren. Aber auch dabei bleibt er rigoros egoistisch, ohne enge und dauerhafte Bindungen einzugehen. Einzig die Kunst, und dabei speziell der französische Barockmaler Nicolas Poussin, berührt ihn wirklich, ist Balsam für seine Seele.

John Banville zeichnet seinen egoistischen Protagonisten als unberechenbar und kaltherzig, wenn er ihn detailreich davon erzählen lässt, wie er zum Spion wurde. In unendlich vielen, alkohollastigen Gesprächen der unnahbaren Hauptfigur erläutert der Autor kenntnisreich die vielen Querverbindungen und Kontakte der Akteure, die ein dichtes Spionagenetz bilden, in dem kaum noch einer den Durchblick hat, selbst die obersten Chargen nicht. Aber so viel da auch erzählt wird, so wenig erfährt der Leser letztendlich wirklich, alles bleibt im Dunstkreis der Geheimagenten und ihrer chiffrierten Sprache. Sein Held, der als kunstbesessen so gar nicht in die eher profane, politische Welt jener Zeit von vor bis nach dem Zweiten Weltkrieg passt, bleibt auch im Verhältnis zum Leser «unberührbar», er ist und bleibt in seiner emotionslosen Art eine zutiefst unsympathische Figur. So wenig also der Plot selbst zu bieten hat, so kontemplativ ist die Art des Erzählens, stilistisch ein Fest geradezu an intellektuellen Gedankengängen. Die alle nachvollziehen zu können fordert volle Aufmerksamkeit, wirkt anschließend dann aber auch sehr bereichend in seiner imponierenden Sprachgewalt.

Fazit:   lesenswert

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Genre: Roman
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Die See

Der Weg ist das Ziel

Der größte Erfolg für den irischen Schriftsteller John Banville war 2005 die Verleihung des britischen ‹Booker Prize› für den Roman «Die See». Er sei, so die Begründung der Jury, «eine meisterliche Studie der Trauer, der Erinnerung und der Liebe». Damit ist er typisch für die Kunst des Autors, Geschichten über elementare Lebens-Erfahrungen zu erzählen, denen er dann im Stil des unzuverlässigen Erzählers immer wieder den Boden der Realität entzieht. So auch hier, wobei dieser Roman im Feuilleton seinerzeit durchaus kontrovers besprochen wurde. In einer Reihe mit den Großen der irischen Literatur wird John Banville schon lange in Fachkreisen als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt.

Ich-Erzähler ist der Kunsthistoriker Max, dessen Frau Anna an Krebs gestorben ist. Um endlich seine Trauer zu verarbeiten, reist er ein Jahr später an den Badeort, wo er als Schüler regelmäßig die Sommerferien verbracht hat. Dort wird er von vielen Erinnerungen überwältigt, über die er nun als in die Jahre gekommener, desillusionierter Mann berichtet, zu deren positivster insbesondere auch seine damals erwachende sexuelle Neugier gehört. Dabei verleiht die raue irische See als erzählerischer Hintergrund dem Geschehen eine düstere, schwermütige Grundierung. Der zehnjährige Max freundet sich mit einem etwa gleichaltrigen Zwillingspaar aus der Nachbarschaft an, mit der quirligen Cloe und dem rätselhaften Myles, die geradezu symbiotisch aneinander hängen. Die zunächst von deren Mutter ausgelösten, erotischen Phantasien wenden sich bald schon Cloe zu, die ihn mit dem ersten Kuss beglückt. Als beide später bei weiteren Intimitäten überrascht werden, kommt es zu einer tragischen Reaktion. In einer zweiten Handlungsebene berichtet Max von seiner glücklichen Ehe mit Anna. Deren reicher Vater hat ihr eine üppige Erbschaft hinterlassen, die ihm ein sorgenfreies Leben als Privatgelehrter ermöglicht. Die Art und Weise, wie der Autor von dem einjährigen Sterbeprozess Annas erzählt, mit dem sein Protagonist sehr brutal konfrontiert ist, zeugt von seinem tiefgehenden psychologischen Einfühlungs-Vermögen.

In diesem monologartig angelegten Roman geht John Banville den großen Fragen der Menschheit nach, zu denen vor allem ja der Tod gehört, der für ihn «immer überflüssig und unmotiviert» bleibt. Und ergänzend heißt es dazu: «Die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tode oder einer Gottheit, welche die Fähigkeit besitzt, ein solches zu gewähren, ziehe ich nicht in Betracht». In vielerlei Erinnerungen und Reflexionen verliert sein Held zunehmend den Kontakt zur Realität. Immer neue Phantasien vermischen sich dabei, sind als Traum und Wirklichkeit für Max kaum mehr unterscheidbar, bis schließlich nur noch der Alkohol als letzte Zuflucht bleibt. Es ist die Vergänglichkeit, die der Autor hier, stilistisch weitgehend in Form des Bewusstseins-Stroms, an Hand von Verlust-Erfahrungen thematisiert. Im Interview hat er dazu erklärt: «Jeder, der über die Vergangenheit nachdenkt, merkt sehr schnell, dass diese auf einer traum-gleichen Ebene viel mehr Gewicht besitzt als die Gegenwart». Wobei für ihn die Erinnerung, trotz aller gedanklichen Schärfe, immer unzuverlässig bleibe, wie er ernüchtert festgestellt hat.

Der als Autor erkennbare, sich zuweilen an den Leser wendende John Banville bezieht in verschiedenen Anspielungen sehr intensiv Beispiele aus der Malerei in seine gedanklichen Exkurse und philosophischen Deutungen mit ein. Eine zielführende Methode, die man auch aus anderen seiner Romane kennt und die hier durch Rückgriffe auf die Mythologie noch ergänzt wird. Zu Recht wird er als großer Stilist gefeiert, dieser anspruchsvolle, geradezu elitäre Roman aber sei, wie der Guardian schrieb, «kaum für den Normalleser geeignet». Damit teilt er das Schicksal anderer, handlungsarmer Romane, die nicht von einem einprägsamen Plot leben, sondern von ihrer stilistischen Brillanz, immer frei nach der berühmten Erkenntnis von Konfuzius: «Der Weg ist das Ziel»!

Fazit: erstklassig

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Genre: Roman
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Athena

Lug und Trug

Nach der Kopfgeburt des Zeus, nach der Göttin der Kunst also, hat John Banville seinen Roman «Athena» betitelt, dritter Teil der durch ihren Protagonisten lose miteinander verbundenen «Mördertrilogie». Der schon länger als Nobelpreiskandidat gehandelte irische Schriftsteller zeichnet sich insbesondere durch seinen sehr speziellen Schreibstil aus, der metaphernreich und voller philosophischer und mystischer Reflexionen immer wieder alles in Frage stellt, was gerade erzählt wurde. Als postmoderner Autor verwischt bei ihm endgültig der Unterschied zwischen Fiktion und Realität, vermag der Leser partout nicht mehr zu unterscheiden, was denn wahr ist und was unwahr, nichts mehr ist sicher. Er zählt mithin zu den schwierigen, – und zudem ganz unirischen -, Autoren, auf die man sich als geduldiger Leser ernsthaft einlassen muss, «Athena» sei nichts für Analphabeten, hat der begeisterte Marcel Reich-Ranicki süffisant dazu angemerkt.

Ein aus gutem Hause stammender Tunichtgut hat im ersten Band der Trilogie ein Dienstmädchen erschlagen, das ihn beim Diebstahl eines Gemäldes überraschte, und entwickelte sich im zweiten Band, während seiner zwölfjährigen Haft, scheinbar resozialisiert zu einem anerkannten Kunstsachverständigen. Im vorliegenden Band nun, der durchaus selbständig gelesen werden kann, soll er für einen Kunstsammler, – Transvestit und König der Dubliner Unterwelt -, Expertisen für acht gestohlene Gemälde niederländischer Meister zu mythologischen Themen aus Ovids Metamorphosen erstellen. Als Ich-Erzähler, der sich jetzt Morrow nennt, wie wir irgendwann beiläufig erfahren, schreibt er anfangs an seine Geliebte, die ihn verlassen hat, später wechselt zunehmend diese spezielle Erzählperspektive in die dritte Person.

In der leer stehenden alten Villa in Dublin, wo sich die Gemälde befinden, trifft er A., eine rätselhafte, ungehemmte junge Frau, die schon bald seine Geliebte wird und ihn zu exzessiven Liebesspielen verführt. Neben dieser dominanten Liebesthematik wird in einem zweiten, gleichermaßen bedeutenden Handlungsstrang von Tante Corky erzählt, deren Verwandtschaftsgrad ebenso fraglich ist wie ihre gesamte Lebensgeschichte. Morrow holt die greise, kauzige Dame aus dem Alternsheim zu sich nach Hause und betreut sie bis zu ihrem Tod, ein spontaner Akt der Menschlichkeit, den sie ihm völlig unerwartet mit einer hohen Erbschaft vergilt. Liebe und Tod mithin sind hier die beherrschenden Erzählstränge, zu denen sich, personifiziert durch Kommissar Hackett, eine kriminalistische Thematik ebenso gesellt wie die der Malerei, zwischen Kunstdiebstahl, Original und Fälschung.

In Banvilles surrealer Erzählwelt voller Chaos und rätselhafter Unbestimmtheit verwischen die Grenzen zwischen Liebe und Verrat, zwischen Lust und Ekel. Es herrscht darin eine beunruhigend morbide Dekadenz, die er mitunter durchaus ironisch in ausufernden Erzählbögen vor seinen Lesern ausbreitet, damit subversiv unentwegt Zweifel säend am bereits Erzählten. Dabei steht der freie Wille zurück vor dem unentrinnbaren Schicksal, nichts scheint determiniert, alles bleibt vage. Die wirren Obsessionen des Ich-Erzählers, von dessen Person der Leser letztendlich wenig erfährt, folgen unentwegt den Spuren antiker Mythen. All das ist in einer klaren, metaphern- und anspielungsreichen Sprache geschrieben, äußerst detailverliebt, in den Schilderungen der Figuren ebenso wie in denen der Orte, wobei die Geschichte auffallend wenig Dialoge enthält. Fast alles in dieser Erzählung ist ebenso eine Kopfgeburt wie Athena (oder A.?) selbst, es artikuliert sich recht pathetisch als nicht abreißender, oft ziemlich wirrer Gedankenfluss des sinnierenden Ich-Erzählers. Ein typischer Versager übrigens, von dessen Tätigkeit als Gutachter man (leider) gar nichts erfährt, immerhin aber werden den sieben Kapiteln des Romans jeweils kenntnisreiche Beschreibungen der gefälschten Bilder vorangestellt, – allesamt vermutlich ebenfalls Zitate, also auch Lug und Trug.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by S. Fischer

Im Lichte der Vergangenheit

banville-1Ein sprachliches Fest

In seinem Roman «Im Lichte der Vergangenheit» erzählt der irische Schriftsteller John Banville aus der Perspektive eines älteren Mannes, der auf sein Leben zurückblickt und merkt, wie fragwürdig seine Erinnerung ist, ein dramaturgisches Verfahren, das sich auch in anderen Romanen von ihm findet. Im Schatten seiner großen irischen Kollegen James Joyce und Samuel Beckett stehend, wird der mit renommierten Buchpreisen ausgezeichnete Autor von Literatur-Insidern zuweilen auch als Nobelkandidat angesehen. Mit Recht?

«Billy Gray war mein bester Freund, und seine Mutter war meine erste Liebe» lautet der für die Rezeption wichtige erste Satz. In vielen Werken Banvilles ist der Einfluss von Vladimir Nabokov unverkennbar, in diesem Roman hier wird das deutlich schon im Sujet, der Liaison eines altersmäßig ungleichen Paares nämlich, allerdings in konträrer Konstellation zur berühmten Vorlage. Theaterschauspieler Alex Cleave, der sich schon in den Ruhestand zurückgezogen hat, erinnert sich an seine Zeit als fünfzehnjähriger Junge, der eine intime Beziehung zu einer zwanzig Jahre älteren Frau hatte. Das halbe Jahr dieser leidenschaftlichen Affäre, die abrupt beendet wird, als die Beiden in flagranti von Kitty, der Tochter Mrs Grays, überrascht werden, diese sein Leben prägende Episode zieht sich in fortschreitend erzählten Rückblenden durch den ganzen Roman, sie bildet quasi das Gerüst des Plots. Ebenfalls in diversen Fragmenten erinnert sich der Ich-Erzähler immer wieder auch an seine psychisch kranke Tochter Cass, die vor zehn Jahren als Schwangere in Italien Selbstmord beging. Als Alex, für einen reinen Theatermann ziemlich überraschend, das Angebot bekommt, die Hauptrolle in einem Spielfilm zu übernehmen, trifft er am Set auf den berühmten Filmstar Dawn Devonport, die die weibliche Hauptrolle spielt. Vor Abschluss der Dreharbeiten unternimmt der Star einen Suizidversuch, Alex fährt deshalb mit ihr für einige Tage nach Italien, als Reha gewissermaßen, den Spuren seiner suizidalen Tochter folgend.

Banville legt bewusst falsche Fährten an in seiner Geschichte, so zum Beispiel, dass Cass in Italien einen gewissen Swidrigailow getroffen hat, dann vermutet er, es könnte auch der Literaturkritiker Alex Vander gewesen sein, der Mann, dessen Rolle sein Protagonist in dem Film spielt. In den Cinque Terre trifft der Romanheld auf einen geheimnisvollen Mann, der auf ihn gewartet zu haben scheint, auch das eine falsche Fährte. Als er zu einer Festveranstaltung für Alex Vander eingeladen wird, sinniert sein Held: «Ich gehe nach Amerika. Ob ich dort Swidrigailow suchen soll? JB und ich werden zusammen reisen, kein ideales Paar, ich weiß». Der Autor bezieht sich also selbst mit ein, und auch seinen Leser lässt er teilhaben an der Genese seines Textes, spricht ihn direkt an, ein mir persönlich sehr sympathisches Stilmittel, das eine intime mündliche Erzählsituation simuliert. Wie brüchig Erinnerungen sind, «im Lichte der Vergangenheit» betrachtet, wie der Titel es ja vorgibt, das klärt sich am Ende, als Kitty erzählt, wie es wirklich war damals, der Eklat mit ihrer Mutter.

Das Besondere an diesem anspielungsreichen Roman mit seinen vielen Querverweisen und intertextuellen Bezügen ist für mich die mit stimmigen Metaphern und klugen Reflexionen gleichermaßen brillierende Sprache, in der er geschrieben ist, genau beobachtend, äußerst detailreich, gleichwohl im Plauderton, oft auch launig, mit kreativen Wortbildungen erzählt. «Wie herrlich, jung zu sein und frisch gebeichtet» heißt es da zum Beispiel nach der Initiation des jungen Helden und seinem reuevollen Kirchenbesuch. Ein Mann wird beschrieben als «Albert Einstein in mittleren Jahren, in seiner präikonischen Periode». Die kongeniale Übersetzung hat einen wesentlichen Anteil an dem sprachlichen Fest, das die Lektüre dieses Romans für den geduldigen und aufnahmefähigen Leser bedeutet. Ob für die Herren in Stockholm auch, das bleibt abzuwarten.

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln