Lug und Trug
Nach der Kopfgeburt des Zeus, nach der Göttin der Kunst also, hat John Banville seinen Roman «Athena» betitelt, dritter Teil der durch ihren Protagonisten lose miteinander verbundenen «Mördertrilogie». Der schon länger als Nobelpreiskandidat gehandelte irische Schriftsteller zeichnet sich insbesondere durch seinen sehr speziellen Schreibstil aus, der metaphernreich und voller philosophischer und mystischer Reflexionen immer wieder alles in Frage stellt, was gerade erzählt wurde. Als postmoderner Autor verwischt bei ihm endgültig der Unterschied zwischen Fiktion und Realität, vermag der Leser partout nicht mehr zu unterscheiden, was denn wahr ist und was unwahr, nichts mehr ist sicher. Er zählt mithin zu den schwierigen, – und zudem ganz unirischen -, Autoren, auf die man sich als geduldiger Leser ernsthaft einlassen muss, «Athena» sei nichts für Analphabeten, hat der begeisterte Marcel Reich-Ranicki süffisant dazu angemerkt.
Ein aus gutem Hause stammender Tunichtgut hat im ersten Band der Trilogie ein Dienstmädchen erschlagen, das ihn beim Diebstahl eines Gemäldes überraschte, und entwickelte sich im zweiten Band, während seiner zwölfjährigen Haft, scheinbar resozialisiert zu einem anerkannten Kunstsachverständigen. Im vorliegenden Band nun, der durchaus selbständig gelesen werden kann, soll er für einen Kunstsammler, – Transvestit und König der Dubliner Unterwelt -, Expertisen für acht gestohlene Gemälde niederländischer Meister zu mythologischen Themen aus Ovids Metamorphosen erstellen. Als Ich-Erzähler, der sich jetzt Morrow nennt, wie wir irgendwann beiläufig erfahren, schreibt er anfangs an seine Geliebte, die ihn verlassen hat, später wechselt zunehmend diese spezielle Erzählperspektive in die dritte Person.
In der leer stehenden alten Villa in Dublin, wo sich die Gemälde befinden, trifft er A., eine rätselhafte, ungehemmte junge Frau, die schon bald seine Geliebte wird und ihn zu exzessiven Liebesspielen verführt. Neben dieser dominanten Liebesthematik wird in einem zweiten, gleichermaßen bedeutenden Handlungsstrang von Tante Corky erzählt, deren Verwandtschaftsgrad ebenso fraglich ist wie ihre gesamte Lebensgeschichte. Morrow holt die greise, kauzige Dame aus dem Alternsheim zu sich nach Hause und betreut sie bis zu ihrem Tod, ein spontaner Akt der Menschlichkeit, den sie ihm völlig unerwartet mit einer hohen Erbschaft vergilt. Liebe und Tod mithin sind hier die beherrschenden Erzählstränge, zu denen sich, personifiziert durch Kommissar Hackett, eine kriminalistische Thematik ebenso gesellt wie die der Malerei, zwischen Kunstdiebstahl, Original und Fälschung.
In Banvilles surrealer Erzählwelt voller Chaos und rätselhafter Unbestimmtheit verwischen die Grenzen zwischen Liebe und Verrat, zwischen Lust und Ekel. Es herrscht darin eine beunruhigend morbide Dekadenz, die er mitunter durchaus ironisch in ausufernden Erzählbögen vor seinen Lesern ausbreitet, damit subversiv unentwegt Zweifel säend am bereits Erzählten. Dabei steht der freie Wille zurück vor dem unentrinnbaren Schicksal, nichts scheint determiniert, alles bleibt vage. Die wirren Obsessionen des Ich-Erzählers, von dessen Person der Leser letztendlich wenig erfährt, folgen unentwegt den Spuren antiker Mythen. All das ist in einer klaren, metaphern- und anspielungsreichen Sprache geschrieben, äußerst detailverliebt, in den Schilderungen der Figuren ebenso wie in denen der Orte, wobei die Geschichte auffallend wenig Dialoge enthält. Fast alles in dieser Erzählung ist ebenso eine Kopfgeburt wie Athena (oder A.?) selbst, es artikuliert sich recht pathetisch als nicht abreißender, oft ziemlich wirrer Gedankenfluss des sinnierenden Ich-Erzählers. Ein typischer Versager übrigens, von dessen Tätigkeit als Gutachter man (leider) gar nichts erfährt, immerhin aber werden den sieben Kapiteln des Romans jeweils kenntnisreiche Beschreibungen der gefälschten Bilder vorangestellt, – allesamt vermutlich ebenfalls Zitate, also auch Lug und Trug.
Fazit: lesenswert
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