Falken

Vom Strippenzieher im Hintergrund

Auch für den zweiten Teil ihrer Cromwell-Trilogie mit dem Titel «Falken» hat Hilary Mantel 2012 wieder einen Booker-Prize verliehen bekommen, drei Jahre nach dem ersten Teil. Ein weiterer Riesenerfolg für die 2014 von der Queen zur Dame Commander des Order of the British Empire ernannte britische Schriftstellerin. Ein wenig erklärt diese altmodisch wirkende Adelstümelei auch die große Begeisterung der Briten für historische Stoffe, und ‹Dame Hilary› hat da mit ihren historischen Romanen unbestritten Maßstäbe gesetzt. Zumal der ebenso populäre wie berüchtigte Heinrich VIII. auch hier wieder den geschichtlichen Dreh- und Angelpunkt bildet, es geht mal wieder um seine Frauen.

Der englische König hat mit Rom gebrochen, die anglikanische Kirche gegründet und damit endlich seine Scheidung von Katharina von Aragon möglich gemacht. Seine zweite Frau Anne Boleyn und ihr familiärer Clan reüssieren nun bei Hofe, und Lordkanzler Thomas Cromwell, der all dies geschickt und intrigant eingefädelt hat, beginnt durch seine Skrupellosigkeit fast synchron zur neuen Königin ebenfalls einen allseits beneideten Aufstieg. Er wird einer der mächtigsten Männer im England des sechzehnten Jahrhunderts. Aber nachdem auch Anne dem König keinen männlichen Thronfolger schenkt, verliebt sich Heinrich VIII. bei einem Besuch auf dem Stammsitz der Familie Seymour in die stille Jane. Neben der Unfähigkeit seiner Frau, männliche Nachkommen zu gebären, für ihn also ein weiterer guter Grund, sich endlich von Anne zu trennen, er will nun unbedingt Jane Seymour heiraten. Wieder zieht Cromwell im Hintergrund die Fäden und bewirkt, dass Anne Boleyn wegen angeblicher Untreue und Hochverrat zum Tode verurteilt wird.

In der Zeit des Übergangs vom späten Mittelalter zur Renaissance angesiedelt, wird in diesem Roman das Panorama einer höfischen Gesellschaft beschrieben, deren Vorstellungen und Gedanken uns Heutigen völlig fremd erscheinen. Sich eng an die historische Wahrheit haltend beschreibt die Autorin minutiös ein unbekümmert herbei phantasiertes, fiktives Geschehen, das gleichwohl sehr real wirkt, nicht zuletzt auch durch seine sprachlich ‹heutigen› Dialoge. Neben ihrer beneidenswerten Fantasie ist dies insbesondere Hilary Mantels bewährtem Schreibstil zu verdanken. Sie erzählt nämlich konsequent im Präsens und erzeugt damit eine Gegenwart, in die man sich unmittelbar eingebunden fühlt als Leser, man ist quasi Zaungast des komplizierten höfischen und fast undurchschaubaren politischen Geschehens. Welches zudem dann auch noch spannend ist, denn selbst wenn man die Tudor-Geschichte in groben Zügen bereits kennt, kommen dank der akribischen Recherche der Autorin hier noch etliche weitgehend unbekannte Details ans Licht. Fern jeder Romantik und ohne psychologische Tiefenlotungen stattet sie zudem ihre sehr lebendig wirkenden Figuren mit viel Menschlichkeit aus und hält sich als Erzählerin unsichtbar im Hintergrund, wodurch ein fast reportageartiger Prosatext entsteht.

Ein Höhepunkt gekonnten Erzählens ist sicherlich die grausige Hinrichtung von Anne Boleyn, von der kein noch so winziges Detail unerwähnt bleibt, wahrlich nichts für empfindliche Gemüter. In ihrem Nachwort weist die Autorin auf die kontroversen Diskussionen über die näheren Umstände von Annes gewaltsamem Sturz hin und auf die eher spärliche und zudem auch noch unsichere Beweislage. Insbesondere aber geht es ihr um den einflussreichen und undurchschaubaren Sekretär des Königs. Im Nachwort schreibt sie dazu, sie versuche zu zeigen, «wie ein paar entscheidende Wochen aus Sicht Thomas Cromwells ausgesehen haben mögen», dem Strippenzieher im Hintergrund. Und weist mit dem Konjunktiv darauf hin, dass sie da wohl manches ergänzen musste. Ohne Zweifel ist der Königin des historischen Romans mit «Falken» wieder ein großes Werk gelungen. Die Begeisterung deutscher Leser dafür dürfte sich allerdings mangels spezifisch britischen Nationalgefühls in engen Grenzen halten.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by DuMont

Wölfe

Stilistisch hochmodern

Soviel vorweg: Auch wer dicken Historien-Romanen eher ablehnend gegenübersteht, wird in «Wölfe» von Hilary Mantel eine spannende Geschichte finden, die schnell vergessen lässt, dass es so wohl nicht war. Aber durchaus hätte sein können, mit jenem Heinrich VIII, der Kulminations-Figur, um die sich hier letztendlich alles dreht, der mit den sechs Frauen! Pünktlich zu dessen 500ten Thronjubiläum veröffentlicht, bedient dieses Buch ein nationales englisches Mythos. In ihrem Opus magnum vom Ende des Mittelalters widmet sich die streitbare britische Autorin dem politischen Strippenzieher jener Epoche, Thomas Cromwell, mit einer Trilogie. Deren erster Band weist bereits in seinem beziehungsreichen Titel auf die berühmte Sentenz «homo homini lupus» von Thomas Hobbes hin, ‹der Mensch ist dem Menschen ein Wolf›. Der 2009 mit dem Booker-Prize prämierte Erfolgsroman gilt in Großbritannien als ein Jahrhundertwerk.

Es beginnt gleich mit einer wüsten Szene, in der Cromwell von seinem Vater so brutal niedergeschlagen wird, dass er ernstlich um sein Leben bangt. Jahre später bereist er Italien, ist dort als Tuchhändler erfolgreich und absolviert nach seiner Rückkehr ein Studium der Rechtswissenschaft. Schon bald tritt er in die Dienste des Kardinals und Lordkanzlers Thomas Wolsey ein und erweist sich als sehr geschickt und umsichtig in den politischen Ränkespielen am Hofe. Es geht dabei politisch vornehmlich um die Annullierung der Ehe von Heinrich VIII. mit Katharina von Aragon, seiner ersten Frau, die ihm keinen überlebenden männlichen Thronfolger geboren hat. Der König hat ein Auge auf Anne Boleyn geworfen, die aber nicht seine Mätresse sein will, sie will geheiratet werden! Er setzt deshalb alle Hebel in Bewegung, um beim Papst die Ungültigkeit seiner Ehe durchzusetzen. Als Wolsey 1529 sein Amt als Lordkanzler verliert, weil er nicht in der Lage war, in Rom die ersehnte Annullierung durchzusetzen, steigt Thomas Morus zu dessen Nachfolger auf. Cromwell wird vier Jahre später Schatzkanzler, dann königlicher Sekretär und zweithöchster Richter. Skrupellos setzt er durch, dass der König anstelle des Papstes das Oberhaupt der anglikanischen Kirche wird, und genau damit ermöglicht er endlich die Scheidung. Thomas Morus hingegen weigert sich aus moralischen Gründen, einen entsprechenden Eid zu leisten, und wird deshalb 1539 hingerichtet.

So weit der reale Handlungskern, dem der Roman eine fiktional üppig angereicherte Rahmen-Geschichte hinzufügt, deren verwickelte Intrigen und politischen Winkelzüge in epischer Breite vor dem Leser ausgewalzt werden. Emsig tätig in all dem turbulenten Geschehen ist ein schier unüberschaubares Figuren-Ensemble, bei dem selbst die Autorin Schwierigkeiten hatte, den Überblick nicht zu verlieren. Wie sie im Interview erklärte, hat sie sich dabei eines Zettelkastens mit Dateikarten über jede der handelnden Personen bedient, – im Buch kann sich der Leser immerhin auf eine fünfseitige Liste aller Akteure stützen. Hilary Mantel erzählt im Präsens, was ihren Stoff sehr gegenwärtig wirken lässt, weit entfernt vom schwülstigen Mief konventioneller Historien-Romane. Sie enthält sich dabei jeder Interpretation des turbulenten Geschehens, das in seiner dramatischen Wucht zuweilen durchaus an Shakespeare erinnert.

Bleibt die Frage, welche Lesefrüchte einen nicht-britischen Leser ohne emotionale Bindung an vaterländische Mythen erwarten. Da ist zunächst mal die Auffrischung und Ergänzung historischen Wissens über den schlagwortartig ja allgemein bekannten königlichen Blaubart sowie über seinen skrupellosen Drahtzieher Cromwell und dessen Intimfeind Thomas Morus. Dann aber auch die stilistisch hochmoderne Form, in der hier zuweilen sogar recht amüsant erzählt wird, ohne dabei vor lauter unterhaltsamer Fiktion je die gesicherten Fakten zu vergessen. Die vielen kammerspiel-artigen Szenen in diesem Machtpoker überspielen in ihrer Privatheit gekonnt die Düsternis der blutrünstigen historischen Realität.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by DuMont