Vorbeigehuscht

 

KURZREZENSION

Um es gleich zu sagen: Es ist immer wieder geradezu erfrischend, Geschichten zu lesen, die einen realen und persönlichen Hintergrund besitzen. Sie sind nicht irgendwie aufgesetzt, sondern man spürt deren Authentizität.

Wie es Hans Peter Götze in seinem Vorwort beschreibt, besteht das Buch aus Fundsachen, Erinnerungen, Begegnungen, auf Reisen Gesammeltes, Erlebnissen und Alltagsbeobachtungen. Sie führen uns beispielweise auf seine vielfältigen Reisen, in seine Familie oder zu seiner Liebe zur Musik. Bei Hans Peter Götze ist es damit aber nicht getan. In fast jeder Geschichte findet sich ganz schnell ein Bezug zu gesellschaftskritischen Themen, zur Politik oder zur Kunstkritik. Bei aller Ernsthaftigkeit werden diese teilweise satirisch, humorvoll und witzig oder gar sarkastisch verhandelt. Genau das macht dieses Buch so lesenswert. Seine Lektorin Linde Gerster bezeichnet dies als Fabulierkunst des Autors, der von Einfällen übersprudelt und diese gewandt in Worte zu fassen weiß.

Niemand würde etwa erwarten, dass man sich bei der Lektüre der Episode über den Aufenthalt im Frauenkloster Frauenwörth auf Frauenchiemsee mit den Fragen befassen muss, ob Spinnen depressiv werden können oder gar suizidfähig sein könnten. Ähnlich verhält es sich bei der Frage, wie Götze es schafft, bei der Beschreibung seiner Malreise nach Andalusien den Schlenker zu den pannenbehafteten Bauprojekten Berliner Flughafen und Stuttgart 21 hinzukriegen.

Und schon sind wir beim begnadeten Maler und Fotografen Götze. Einige seiner Anekdoten sind mit seinen Aquarellen und Fotografien illustriert und mehrere seiner Werke sind im Anhang zu bestaunen.

Alles in allem ein sehr gelungenes Werk, das insbesondere Freunden der Kurzgeschichte eine amüsante Lektüre bereiten wird.

Format: 17 x 24 cm, 136 Seiten
ISBN: 948-3-00-078563-4
Erschienen 2024

Preis: 18,50 € + 3,50 € Versand

Bücher


Illustrated by Verlag Vor dem Weiher

Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch

 

EINE ETWAS ANDERE REZENSION

Cover der Lizenzausgabe für Bertelsmann, Reinhard Mohn OHG, 1972

Da lag es nun auf meinem Schreibtisch auf einem Stapel anderer Bücher. Wir hatten uns wieder einmal aufgerafft und versucht, unsere Bibliothek zu verschlanken. Viele Bücher konnten schon gar nicht mehr in die Regale eingeordnet werden und lagen, sofern es der Platz zuließ, oben quer über den anderen. Immer wieder nahmen wir uns ein, zwei Fächer vor, entnahmen die Bücher, auch aus der zweiten Reihe, saugten den Staub ab und sonderten die Exemplare aus, von denen wir meinten, sie entbehren zu können. Beim Buchstaben S angelangt hatten wir die früher noch nicht aussortierten Werke von Solschenizyn in der Hand. Der Archipel Gulag musste schon beim letzten Mal weichen und dieses Mal der Rest. So lag das dünne Büchlein „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“ oben auf. Weiterlesen


Genre: Romane
Illustrated by Bertelsmann Bielefeld

Die Pest

Kurzrezension

Um es gleich vorwegzusagen: Das Buch ist ganz schön brutal. Gleich zu Beginn wird man von den vielen verendeten Ratten verschreckt. „…Da sah er aus dem Dunkel des Ganges eine dicke Ratte auftauchen, mit feuchtem Fell und unsicherem Gang. Das Tier blieb stehen, schien sein Gleichgewicht zu suchen, wendete sich gegen den Arzt, blieb wieder stehen, drehte sich mit einem leisen Schrei im Kreis und fiel schließlich zu Boden, wobei aus den halbgeöffneten Lefzen Blut quoll…“

Mir war das so nicht bewusst, als ich das Taschenbuch aus aktuellem Anlass aus den Tiefen unserer Bibliothek hervorkramte. Man sieht es dem Cover schon an, dass ich es bereits Anfang der 70-er Jahre des letzten Jahrhunderts erstanden hatte.

Letztlich ist es aber trotzdem in hohem Maße lesenswert, gerade in den Zeiten unserer Pandemie. Es gibt so viele Parallelen im Verhalten der Menschen und der Behörden. Erstaunlich ist schon, wie treffend Albert Camus die Gegebenheiten und Charaktere in dieser fiktiven Geschichte beschreibt, die in den 40-er Jahren in Oran, einer Stadt an der Küste Algeriens spielt. Zu Recht ist das Buch ein Klassiker der Weltliteratur. Sehr empfehlenswert!


Genre: Romane
Illustrated by Rowohlt

eXperimenta

Viele von Ihnen werden sie bereits kennen. Wer sie nicht kennt, sollte sie unbedingt kennenlernen: die eXperimenta, das Magazin für Literatur, Kunst und Gesellschaft, herausgegeben von Prof. Dr. Mario Andreotti und Rüdiger Heins.

Was macht dieses Magazin so besonders. Aus meiner Sicht ist es die Symbiose aus Literatur und bildender Kunst. Am Beispiel der Ausgabe 5/2022 ist das besonders gut abzulesen. Schon der Titel sagt das wunderbar aus: „Wörter treffen Abstrakte
Fotografie“. Gedichte, Lyrik, Interviews, Berichte und Abhandlungen beleuchte das Thema von allen Seiten.

Schauen Sie doch mal rein. Es wird einem auch besonders leicht gemacht. Denn die eXperimenta ist ein Online-Journal. Also einfach runterladen. Den Link finden Sie unten. Wer dieses schöne Hochglanzmagazin in Händen halten will. Auch kein Problem. Einfach bestellen. Damit und durch Spenden unterstützen Sie dieses unabhängige Projekt, wie ein Auszug aus der Web-Seite zeigt:

„Seit 20 Jahren bietet die eXperimenta dem modernen literarischen und künstlerischen Experiment einen medialen Raum. Monat für Monat stellen dort Autorinnen und Autoren bisher unveröffentlichte Werke vor. Daneben beschäftigt sich die eXperimenta mit Beiträgen aus dem gesellschaftlichen Umfeld von Literatur und setzt sich mit der Wechselwirkung von Literatur und anderen Kunstformen auseinander.
Die eXperimenta finanziert sich dabei ausschließlich durch Spenden ihrer Leserinnen und Leser. Wir haben keine Werbeeinnahmen. Das macht uns in der Auswahl der Themen und der Berichterstattung unabhängig.“

https://experimenta.de/archiv/2022/experimenta-05_22_Mai_ES.pdf

https://experimenta.de/


Illustrated by EDITION MAYA

Per Anhalter durch die Galaxis

EINE ETWAS ANDERE REZENSION

Viele der literaturaffinen Leser werden sofort wissen worum es sich handelt. Dabei ist 42 doch nur eine ganz gewöhnliche Zahl. Weder eine Primzahl noch eine Quadratzahl. Und doch hat sie eine ungewöhnliche Berühmtheit erlangt. Wer nichts damit anfangen kann, braucht die Zahl nur in Google eingeben oder einfach hier weiterlesen.

Mein Sohn hat das Buch im Original, also in englischer Sprache gelesen und war begeistert. Obwohl ich nicht unbedingt ein Freund von Science-Fiction-Romanen bin, habe ich die Empfehlung aufgenommen. Allerdings wollte ich mir das Original nicht antun und besorgte mir die deutsche Ausgabe des bereits 1979 entstandenen Romans „Per Anhalter durch die Galaxis“ des britischen Autors Douglas Adams. Also ein Klassiker!

Den Engländer Arthur Dent trifft es ziemlich hart: Zuerst soll sein Haus abgerissen werden und dann soll auch noch die Erde gesprengt werden, um einer Hyperraum-Expressroute Platz zu machen. Den Ausweg aus der Misere hat sein exzentrischer Freund Ford Prefect parat, der witzigerweise nach einem alten britischen Ford-Model benannt ist und ursprünglich von einem kleinen Stern in der Nähe von Beteigeuze stammt. Der Ausweg ist der in diesem Fall überlebensbringende Reiseführer „Per Anhalter durch die Galaxis“. Notgedrungen machen sie sich auf den Weg, um die Wunder des Weltraums zu entdecken. Bei Wikipedia wird das Buch als „Mischung aus Komödie, Satire und Science-Fiction“ beschrieben. Unbedingt lesenswert!

Wie komme ich nun gerade auf die Zahl 42? Auslöser war die Lektüre des Romans „Die Anomalie“ von Hervé le Tellier, worin die berühmte Episode um die Zahl 42 zitiert wird. Die beiden Protagonisten Dent und sein Freund dringen während ihrer Reise durch die Galaxis zum zweitgrößten Computer aller Zeiten vor, der von seinen Erschaffern zur Beantwortung der Frage aller Fragen programmiert wurde, die „große Frage des Lebens, des Universums und des ganzen Rests“ (“life, the universe and everything”). Um das unglaublich wichtige Ergebnis ja nicht zu verpassen, wurde der Computer „Deep Thought“ rund um die Uhr observiert und das über siebeneinhalb Millionen Jahre. Nach dieser exorbitanten Rechenzeit gibt er endlich die Antwort bekannt. Die Antwort auf die „Frage des Lebens, des Universums und des ganzen Rests“ lautete zur Überraschung aller ganz simpel „42“. Trotz intensiver Bemühungen verschloss sie sich jeglicher Interpretationsmöglichkeit.

Als ich das Zitat in Telliers Roman las, das dort übrigens sehr gut verpackt wurde, war ich etwas konsterniert, weil ich es nicht auch schon in meinem etwas anderen biografischen Roman „August und ich“ verwendet habe. Er ist zwar schon mit mehreren Zitaten aus der Musik, Literatur und Cineastik versehen, doch die zugehörige Episode aus meinem Leben ist mir damals nicht eingefallen.

Denn in meiner Zeit als Technischer Leiter in einem mittelständigen Unternehmen hatte ich in der Entwicklungsabteilung einen der besten Ingenieure, den ich je kennenlernen durfte. Martin ist nicht nur in seinem technischen Metier brillant, sondern ich konnte mich insbesondere auch über kulturelle Themen mit ihm austauschen: ob Musik oder Kabarett und eben auch Literatur. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass er „Per Anhalter durch die Galaxis“ bereits kannte, als ich ihm eine entsprechende Empfehlung aussprechen wollte. Und natürlich war ihm die Zahl „42“ ein Begriff.

Immer wieder, wenn wir gemeinsam mit Managern zu tun hatten, die gerne dazu neigen, auf sehr komplizierte und schwierige Fragen einfache Antworten zu fordern, sahen wir uns an und entgegneten ganz ernsthaft und im Chor: „42“.


Illustrated by Heyne München

Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Murakami versus Ishiguro

Ich bin schon lange ein begeisterter Leser der Bücher vom Haruki Murakami. „Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt“ oder “Die Ermordung des Commendatore“ habe ich geradezu verschlungen. So lernte ich seinen Stil des fantastischen Realismus schätzen. Auf der anderen Seite ist mir nach der Verleihung des Literaturnobelpreises an Kazuo Ishiguro im Jahr 2017 die hervorragende Verfilmung seines Romans „Alles, was wir geben mussten“ aus dem Jahre 2010 in den Sinn gekommen. Ishiguro bedient sich dabei eines dystopischen Genres, also einer eher düsteren Utopie.

Es war reiner Zufall, dass die beiden Bücher von Murakami und Ishiguro gleichzeitig auf dem Stapel noch zu lesender Bücher lagen. „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“ befand sich dort, weil ich unbedingt die „Gefährliche Geliebte“ in der neuen Übersetzung von Ursula Gräfe lesen wollte. Von Ishiguro hatte ich bis dato noch nichts gelesen, so entschied ich mich für „Klara und die Sonne“, das ich mir dann auch zuerst vorgenommen habe und auch eine Kurzrezension schrieb (Rezension).

Im Nachhinein stellte sich heraus, dass sich die beiden Bücher der japanisch stämmigen Autoren ganz gut vergleichen ließen, weil Murakamis fantastischer Realismus nahezu nicht vorhanden ist und Ishiguros Utopie durch den starken menschlichen Aspekt seiner Hauptperson stark in den Hintergrund rückte.

In Murakamis Roman geht es um die Liebe des Schülers Hajime zu seiner Schulkameradin Shimamoto im zarten Alter von zwölf Jahren, von der er letztlich nie mehr loskommt. Das Wiedersehen mit Shimamoto nach mehr als zwanzig Jahren ist genauso mysteriös wie ihr Verschwinden nach einer heißen Liebesnacht. Dazwischen wird die Geschichte eines jungen, erfolgreichen Japaners erzählt. Dabei erhält man einen tiefer gehenden Einblick in das gesellschaftliche Leben des heutigen Japan.

In „Klara und die Sonne“ wird die Künstliche Intelligenz thematisiert, die aber sehr menschlich daherkommt: Klara, die sogenannte künstliche Freundin, die die alleinerziehende Mutter für ihre schwerkranke Tochter Josie als Gefährtin angeschafft hat. Äußerst subtil werden die Grenzen der Künstlichen Intelligenz angesprochen, oder wie weit kann KI spezifische menschliche Züge entwickeln bis hin zu Glauben, Aberglauben oder gar Wahnsinn.

Insgesamt kann ich sagen: Beides sind sehr lesenswerte Bücher. Aber einen aus meiner Sicht wesentlichen Unterschied musste ich doch feststellen: Ich bin der Meinung, bezüglich der sprachlichen Brillanz kann Ishiguro Murakami nicht das Wasser reichen. Unter diesem Aspekt hätte Murakami den Literaturnobelpreis wohl eher verdient.


Illustrated by btb München

Klara und die Sonne

Künstliche Intelligenz

Immer mal wieder stellte ich mir die Frage, kann künstliche Intelligenz eigentlich wahnsinnig werden? Wahnsinn bis zur Selbstaufgabe? Bei der Lektüre von „Klara und die Sonne“ des japanischen Literaturnobelpreisträgers Kazuo Ishiguro  ist diese Fragestellung durchaus legitim.

Es scheint also ein Science-Fiction-Roman zu sein, wobei sich die wissenschaftliche Fiktion weniger auf die technischen als auf die menschlichen Aspekte beziehen. Worum geht es dabei? Die alleinerziehende Mutter schafft für ihre schwer kranke Tochter Josie die künstliche Freundin Klara an. Nicht ohne Hintergedanken. Was auch gleich die Frage aufwirft, wie weit darf die Anwendung von KI gehen?

Diese KFs sind vom Hersteller so konfiguriert, dass sie es als Aufgabe verstehen, das Leben ihrer menschlichen Freunde und Freundinnen so angenehm wie möglich zu gestalten. Gemeinhin würde man unterstellen, dass die KF Klara sicher nicht mit ausgeprägten Emotionen ausgestattet sein kann und ihr somit die Krankheit Josies keine Probleme bereiten sollte. Aber weit gefehlt. Unsere Klara menschelt, warum sollte sie nicht auch wahnsinnig werden können? Josies Freund Rick deutet das aber etwas anders: „Damals dachte ich, das ist alles – na ja – KF-Aberglaube halt“.

Viele interessante Aspekte der künstlichen Intelligenz werden beleuchtet und deshalb ist das Buch auch sehr lesenswert. Mir als Ingenieur  kam die Technik etwas zu kurz, wiewohl gerade der oben genannte „KF-Aberglaube“ durchaus damit zu begründen ist, wobei die Sonne, wie der Titel andeutet, die entscheidende Rolle spielt.


Illustrated by Blessing München

Der achtsame Mama-Begleiter

Es ist ein wunderbares kleines Büchlein, das sich, wie der Titel schon aussagt, an alle Mütter wendet. Die 55 Tipps für mehr Gelassenheit im Familienalltag sind nach dem Drei-Säulen-Konzept aufgebaut: Freude – Zeit – Liebe. Zu jeder Säule gibt es wertvolle Tipps, die kurz und prägnant ausformuliert sind. Und beim Lesen gibt es immer wieder einen Aha-Effekt. Dazu kommt, dass das Büchlein in jede Mama-Handtasche passt und damit jederzeit zur Hand genommen werden kann: am Spielplatz, beim Kinderarzt usw.

Ein Thema, das mich besonders angesprochen hat, ist die Generierung von „Me-Time“. Ein Begriff, den ich bis dato nicht kannte. Das, was dahinter steckt aber schon: Wie ist es möglich trotz Stress in Beruf, Alltag und Familie, der übrigens oft genug selbst gemacht ist, für mich ganz persönlich Zeit zu finden.

Sie werden sich nun fragen, warum ich dieses Buch gerade als Mann thematisiere? Zum einen ist der Ratgeber auch für Väter sehr nützlich und zum anderen finde ich es ein sehr schönes Geschenk für die Partnerin oder die Tochter. Es ist als Taschenbuch und als E-Book erschienen und kann somit auch am Handy gelesen werden.

Für weitere Informationen:

https://www.bod.de/buchshop/der-achtsame-mama-begleiter-isabella-eisen-9783752611823

http://www.achtmomkeit.com


Illustrated by BoD Norderstedt

Der kurze Brief zum langen Abschied

Erinnerungen

Es war überhaupt die Zeit, in der sich meine kulturelle Prägung zum großen Teil vollzog. Zumindest was die Literatur betrifft. Meine Affinität zu den Büchern wurde, wie schon erwähnt, durch unseren Jugendpfarrer und durch meinen Besuch in München bei Irmgard und Toni angeregt. Ich begann die Werke bedeutender Schriftsteller zu lesen wie Kafka, Camus, Hemingway, Böll oder Grass, was mir nebenbei bemerkt, die beste Deutschnote in meiner schulischen Laufbahn bescherte. Nur weil ich mit meinem Deutschlehrer unter anderem über „die verlorene Ehre der Katharina Blum“ diskutieren konnte. Viele meiner bevorzugten Schriftsteller waren oder wurden später Literatur-Nobelpreisträger.

Apropos Literaturnobelpreisträger. Auch der erst 2019 ausgezeichnete und oft nur schwer lesbare Peter Handke gehörte dazu. Als das Nobel-Komitee seinen Namen in den Medien bekannt gab, fiel mir sofort die folgende Geschichte ein.

1972 erschien sein neuestes Buch „Der kurze Brief zum langen Abschied“, und ich wollte es unbedingt haben. Daran konnte auch die Reiberei mit meinem Favoriten Grass nichts ändern, bei der Handke den in Princeton anwesenden Gruppe-47-Dichtern „Beschreibungsimpotenz“ vorgeworfen hat und daraufhin Grass „um bessere Feinde“ gebeten hatte. Ich wollte das Buch also haben, zumal es als Taschenbuch angekündigt war und somit meinem Budget entsprach. So machte ich mich auf, die Straße runter in unsere Buchhandlung. Der „Budow“, wie wir sie einfach nur nannten, war und ist wahrscheinlich auch heute noch eine Institution in Marktredwitz. Auf Frau Budow, die Inhaberin der Buchhandlung, konnte man sich verlassen. Sie kannte mich auch sehr gut, weil ich öfter bei ihr vorbeischaute, und sie hatte immer einen Buchtipp für mich bereit. Dieses Mal wusste ich aber genau was ich wollte, das Taschenbuch von Peter Handke. Sie hatte es nicht vorrätig und fragte, ob sie es bestellen solle. Ich stimmte zu und holte es einige Tage später bei ihr ab. Sie legte es auf den Ladentisch, ein Hochglanz-Taschenbuch, schwarz, darauf der in weißen Lettern geschriebene Titel und eine in zarten Farben gemalte Gebirgslandschaft am Meer. Ich nahm es in die Hand, drehte und wendete es. Es gefiel mir sehr. Frau Budow meinte: sechzehnachtzig. Sechzehnachtzig für ein Taschenbuch? Ich hatte mir noch kurz vorher eines von Handke gekauft, auch vom Suhrkamp-Verlag, und ich bezahlte fünf D-Mark. Mir mussten die Gesichtszüge ordentlich entglitten sein. Ich wusste in diesem Augenblick gar nicht, ob ich überhaupt so viel Geld eingesteckt hatte. Und der Betrag war im Vergleich zu meinem „Gehalt“ als Fachoberschüler schon heftig. Frau Budow sah es mir sofort an und bot mir an, es hier zu lassen. Ich brauche es nicht mitzunehmen. Das ließ ich mir aber nicht nachsagen, zahlte und steckte es ein.

Was mir zum Thema Handke auch noch einfällt, ist das Spiegelinterview mit Reich-Ranicki vom 4.10.1999, wo es um den Nobelpreis für Günter Grass ging. Er meinte, Deutschland sei einfach mal wieder dran gewesen und nun solle man sich vorstellen, Martin Walser wäre der Preis zugefallen: „Das wäre ein schwerer Schlag für mich. Oder gar dem dümmlichen Peter Handke! Eine Katastrophe.“ Fand ich irgendwie amüsant.

Auszug aus einem Kapitel aus meinem biografischen Roman “August und ich”.

https://www.bod.de/buchshop/august-und-ich-werner-haussel-9783751950992


Genre: Roman
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main