Wir leben im Verborgenen

Ceija Stojka – Zeitzeugin und Mahnerin

Als das Buch „Wir leben im Verborgenen – Erinnerung einer Rom-Zigeunerin“, 1988 von Karin Berger herausgegeben, im Picus Verlag erschien, 1989 gleich in einer zweiten Auflage, war Ceija Stojka die erste Romni, die ihre Erinnerungen an die Leidensgeschichte ihrer Familie stellvertretend für die vom Nationalsozialismus verfolgten und in den Konzentrationslagern gepeinigten und massenweise ermordeten Roma und Sinti schriftlich niederlegte. Das Buch erregte großes Aufsehen und rückte somit die bis dahin vergessene und verdrängte Leidensgeschichte, aber auch die aktuellen Fragen und Probleme der ins Abseits, ins Verborgene gedrängten Volksgruppe der Roma und Sinti ins Licht der Öffentlichkeit.

Ceija Stojka wurde mit diesem Buch über Nacht bekannt. 1992 folgte, gleichfalls im Picus-Verlag, „Reisende auf dieser Welt“. Ausstellungen ihrer aussagekräftigen Bilder, die das frühere „Zigeunerleben“ und dann die Schreckenszeit in den Konzentrationslagern zum Thema hatten, und musikalische Auftritte, in denen sie die alten, mündlich tradierten Roma-Lieder der Lovara sang, erweiterten ihren Wirkungskreis und rundeten gleichzeitig das Erscheinungsbild ab. Immer stärker trat dabei ein bekenntnishaftes, charismatisches Mitteilungsstreben zu Tage, mit dem sich Ceija Stojka von der Zeitzeugin des Holocaust zur Menschenrechtsaktivistin entwickelte, die sich engagiert für ein friedliches Miteinander aller Menschen einsetzt und zugleich die Rechte für die Volksgruppe der Roma und Sinti, aber auch aller anderen einmahnt.

Peter Paul Wiplinger

Wenn man heute, nach fünfzehn Jahren, das neu aufgelegte Buch wieder liest, so hat es nichts an Eindringlichkeit und unmittelbarer Aussagekraft verloren. Es berührt und erschüttert, indem es die Ereignisse aus einer ganz privaten Sicht und in einer sehr einfachen, fast kindlichen Erzählweise schildert. Gerade diese Einfachheit, mit der Ceija Stojka den Leidensweg ihrer Familie und den ihres Volkes und später das Leben im Verborgenen der wenigen Überlebenden erzählt, ist es, die das Buch zu etwas so Besonderem macht. Wie hier im Rückblick, Jahrzehnte später und mit einem anderen, neuen Leben dazwischen, noch immer über das Unbegreifbare dessen, was Menschen anderen Menschen antun können, ohne geschichtsträchtige Pathosgeste, sondern ganz einfach aus dem eigenen Betroffen- und Verwundetwordensein heraus gesprochen wird, das ist zutiefst bewegend.

Alles was geschehen ist und erzählt wird, haben ja die Augen eines jungen Mädchens, fast noch Kind, gesehen: Die mitleidlose Gewalt, das Elend, das Leid, das alltägliche Sterben, den Tod; die aufgeschichteten Leichen, darauf der kleine, an Bauchtyphus gestorbene Bruder Ossi, dem Ceija das eigene Unterkleidchen als Totenhemd darüberbreitet. Ein kleines Mädchen, das inmitten des Grauens eine solche Geste setzt, ein Zeichen zur Bewahrung der Menschenwürde.
Jahrzehnte später sieht die erwachsene Frau Ceija sich selbst wieder als dieses kleine Mädchen, auch in diesem Augenblick. Da gibt es nichts zu begreifen, wie so etwas überhaupt möglich sein konnte – und auf der Welt immer noch möglich ist. Da spürt man rückblickend bei solcher Erinnerung nur die Trauer, in manchen Stunden vielleicht auch die Verzweiflung über den Menschen. Und trotzdem diese Liebe, diese Kraft des Lebens, diese Wärme und Herzlichkeit, die bei Ceija Stojka durch alles hindurch zu spüren ist. Und der Glaube, daß es besser werden kann; das Wissen um die Notwendigkeit, daß es besser werden muß auf dieser Welt.

Ceija Stojka: „Wir leben im Verborgenen – Erinnerungen einer Rom-Zigeunerin“.
Picus Verlag, Wien, 1988; vierte Auflage, Wien, 2003. 155 Seiten, gebunden, EUR 14,90-
Ceija Stojka – Zeitzeugin und Mahnerin

Neuauflage: 2003

Als das Buch „Wir leben im Verborgenen – Erinnerung einer Rom-Zigeunerin“, 1988 von Karin Berger herausgegeben, im Picus Verlag erschien, 1989 gleich in einer zweiten Auflage, war Ceija Stojka die erste Romni, die ihre Erinnerungen an die Leidensgeschichte ihrer Familie stellvertretend für die vom Nationalsozialismus verfolgten und in den Konzentrationslagern gepeinigten und massenweise ermordeten Roma und Sinti schriftlich niederlegte. Das Buch erregte großes Aufsehen und rückte somit die bis dahin vergessene und verdrängte Leidensgeschichte, aber auch die aktuellen Fragen und Probleme der ins Abseits, ins Verborgene gedrängten Volksgruppe der Roma und Sinti ins Licht der Öffentlichkeit.

Ceija Stojka wurde mit diesem Buch über Nacht bekannt. 1992 folgte, gleichfalls im Picus-Verlag, „Reisende auf dieser Welt“. Ausstellungen ihrer aussagekräftigen Bilder, die das frühere „Zigeunerleben“ und dann die Schreckenszeit in den Konzentrationslagern zum Thema hatten, und musikalische Auftritte, in denen sie die alten, mündlich tradierten Roma-Lieder der Lovara sang, erweiterten ihren Wirkungskreis und rundeten gleichzeitig das Erscheinungsbild ab. Immer stärker trat dabei ein bekenntnishaftes, charismatisches Mitteilungsstreben zu Tage, mit dem sich Ceija Stojka von der Zeitzeugin des Holocaust zur Menschenrechtsaktivistin entwickelte, die sich engagiert für ein friedliches Miteinander aller Menschen einsetzt und zugleich die Rechte für die Volksgruppe der Roma und Sinti, aber auch aller anderen einmahnt.

Wenn man heute, nach fünfzehn Jahren, das neu aufgelegte Buch wieder liest, so hat es nichts an Eindringlichkeit und unmittelbarer Aussagekraft verloren. Es berührt und erschüttert, indem es die Ereignisse aus einer ganz privaten Sicht und in einer sehr einfachen, fast kindlichen Erzählweise schildert. Gerade diese Einfachheit, mit der Ceija Stojka den Leidensweg ihrer Familie und den ihres Volkes und später das Leben im Verborgenen der wenigen Überlebenden erzählt, ist es, die das Buch zu etwas so Besonderem macht. Wie hier im Rückblick, Jahrzehnte später und mit einem anderen, neuen Leben dazwischen, noch immer über das Unbegreifbare dessen, was Menschen anderen Menschen antun können, ohne geschichtsträchtige Pathosgeste, sondern ganz einfach aus dem eigenen Betroffen- und Verwundetwordensein heraus gesprochen wird, das ist zutiefst bewegend.

Alles was geschehen ist und erzählt wird, haben ja die Augen eines jungen Mädchens, fast noch Kind, gesehen: Die mitleidlose Gewalt, das Elend, das Leid, das alltägliche Sterben, den Tod; die aufgeschichteten Leichen, darauf der kleine, an Bauchtyphus gestorbene Bruder Ossi, dem Ceija das eigene Unterkleidchen als Totenhemd darüberbreitet. Ein kleines Mädchen, das inmitten des Grauens eine solche Geste setzt, ein Zeichen zur Bewahrung der Menschenwürde.
Jahrzehnte später sieht die erwachsene Frau Ceija sich selbst wieder als dieses kleine Mädchen, auch in diesem Augenblick. Da gibt es nichts zu begreifen, wie so etwas überhaupt möglich sein konnte – und auf der Welt immer noch möglich ist. Da spürt man rückblickend bei solcher Erinnerung nur die Trauer, in manchen Stunden vielleicht auch die Verzweiflung über den Menschen. Und trotzdem diese Liebe, diese Kraft des Lebens, diese Wärme und Herzlichkeit, die bei Ceija Stojka durch alles hindurch zu spüren ist. Und der Glaube, daß es besser werden kann; das Wissen um die Notwendigkeit, daß es besser werden muß auf dieser Welt.

Ceija Stojka: „Wir leben im Verborgenen – Erinnerungen einer Rom-Zigeunerin“.
Picus Verlag, Wien, 1988; vierte Auflage, Wien, 2003. 155 Seiten, gebunden, EUR 14,90-


Genre: Erinnerungen
Illustrated by Picus Verlag Wien

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