Berlin, April 1929: In der von ökonomischen Krisen geschüttelten Hauptstadt bereitet sich die Arbeiterschaft auf ihren hohen Feiertag vor, den 1. Mai. Allerdings droht in diesem Jahr Ärger, denn der Polizeipräsident, ein SPD-Mann, hat sämtliche Umzüge und Versammlungen unter freiem Himmel verboten, die Herrschenden befürchten massive Proteste der Kommunisten gegen die »Hungerregierung«.
Im roten Wedding beratschlagen der Betonträger Kurt Zimmermann und seine Genossen von der KPD, wie mit dieser Situation umzugehen ist und beschließen, wie gewohnt ihre Demonstration abzuhalten. Immer noch besteht die leise Hoffnung, dass die Stadtregierung zur Besinnung kommt und das Verbot rechtzeitig aufhebt. Vergeblich, denn die Sozialdemokraten befinden sich auf knallhartem Konfrontationskurs und rüsten sich zur Schlacht mit den verhassten Konkurrenten von links; die tollwütige Polizei sorgt für ein tagelanges Blutbad.
Klaus Neukrantz hat mit seinem historisch detailgetreuen Kultroman um den »Blutmai« 1929 ein erstaunliches Buch geschrieben, eine atemlose Reportage, die klar Position bezieht und kaum Raum lässt für Zwischentöne. Es verwundert nicht wirklich, dass »Barrikaden am Wedding« sofort nach Erscheinen von der Obrigkeit verboten und der kommunistisch engagierte Autor später von den Nazis ermordet wurde.
Ein zentrales Thema ist (wie beispielsweise auch in Alfred Döblins »November 1918«) die unrühmliche Rolle der Sozialdemokraten in der deutschen »Revolution« von 1918, das Zurückscheuen der SPD immer dann, wenn sich eine wirkliche Chance zur Veränderung bietet und die Anbiederung an die Mächtigen, die diese Partei bisweilen zeitweise dulden (müssen), aber sie stets nur zum Nutzen der eigenen Interessen einsetzen und niemals bereit sind, echte Zugeständnisse zu machen. Wer dabei Parallelen zum aktuellen Zeitgeschehen entdeckt, liegt wohl so falsch nicht.
Natürlich ist das Buch auch eine Propagandaschrift für die damalige KPD, fein säuberlich werden die Lügen der (gegnerischen) Presse über die Ereignisse aufgelistet, die wehrhaften Arbeiter sind allesamt edel und heroisch, die Polizisten dagegen feige und brutal. Kurt und seine Frau erfahren am Ende eine Katharsis, die sie zu (noch) besseren Menschen und Klassenkämpfern macht. Allein, man würde dem Werk nicht gerecht, täte man es als bloße Agitationspolemik ab, denn es ist weitaus mehr: Ein packendes zeitgeschichtliches Zeugnis und ein verzweifelter Aufruf für Humanität und Gerechtigkeit.
Herausgeber Frieling hat zu »Barrikaden am Wedding« ein höchst informatives Vorwort verfasst, das die historischen Zusammenhänge aufzeigt und auch die Biographie des Autors beleuchtet. Erschienen ist der Roman in Frielings Reihe »Bücher gegen den Strom« und es bleibt zu hoffen, dass er bald noch mehr solcher Schätze hebt.
Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift