Im Schnellzug nach Haifa

Gabriele Tergit ist eine anerkannte Journalistin von Gerichts Reportagen und Bestsellerautorin (Käsebier erobert den Kurfürstendamm) im Berlin der zwanziger Jahre, verheiratet mit einem Architekten; nie wären sie auf die Idee gekommen, nach Palästina auszuwandern.

Von Theodor Herzls Plan, Juden aus aller Welt dort zu beheimaten, hielten sie nichts. Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen mussten sie fliehen, erst nach Tschechien, später nach Palästina, damals eine britische Kolonie.

Das Buch beginnt während der Überfahrt mit einer Vorstellung der anderen Reisenden; eine Beschreibung nicht nur der Menschen, ihren Sprachen und Kulturen, auch von ihren sehnsüchtigen Erwartungen an das Land. Sie fremdelt. Das Kapitel endet bei der Ankunft, als sie bemerkt, dass die Mondsichel liegt: „Niemand bemerkte es.

Die Freiheit war untergegangen und der Humanismus und sie bemerkten es nicht. Aber sie sahen auch nicht, dass die Gestirne ihrer Jugend eine andere Bahn liefen.

Und so stand ich einsam im unbefreundeten Kosmos.“

Die Herausgeberin Nicole Henneberg hat die Texte gesichtet, dabei manche entdeckt, die noch nicht publiziert waren.

Es ist ihr gelungen, sie so aufeinander folgen zu lassen, dass dieses Gefühl Tergits, nicht hinzugehören, durch immer mehr Beobachtungen verstärkt wurde. Nach fünf Jahren konnten sie, als Bewohner eines britischen Protektorats, in England einwandern.

In Palästina sind es erst Reiseberichte im feuilletonistischen Stil: wie anders sind doch Fellachen und Beduinen, das Wetter, die Natur: meist eine unfruchtbare Wüste, die aber von eingewanderten Siedlern mit Tatkraft, und auch mit mehr Wissen als dem der Palästinenser, bearbeitet wird.

Bei den Kwuzah, den Vorstufen der Kibuzzim, zweifelt sie zwar an den Kinderhäuser, die Familienstrukturen auflösten, nimmt aber anerkennend war, dass Frauen in Debatten auch zu Wort kamen und gehört wurden.

Auch fortschrittliche Technologien von Lastauto über Traktoren zu Dreschmaschinen, mit denen die jüdischen Siedler arbeiten, sind etwas, worauf sie stolz sein kann.

Aber das Erlernen des Hebräischen fällt allen schwer, es ist aber für Alle vorgeschrieben. Bei einem Elternabend des schulpflichtigen Sohnes spricht ein Lehrer an, wie schwer die neue Sprache besonders für Kinder ist, die schon durch andere Länder gezogen waren. Und sie, die Autorin, kann nicht publizieren, anders als in Tschechien gibt es keine deutschsprachige Zeitung.

Es gibt unter den Einwanderern Feindseligkeiten: Deutsche Juden werden von denen aus anderen Ländern weniger geschätzt. Die seien keine wahren Juden, sondern Assimilanten, die das Judentum nicht gelebt hätten.

Sie besucht Veranstaltungen, mit anderen Frauen, auf einer Versammlung spricht ein fundamental zionistischer Redner von der wahren Lehre. Nur das hebräische Wort gälte, und manches neumodisches Zeug, etwa die Gleichberechtigung seien „Schmonzetten“. Mal wird sie gefragt: „Kommen Sie aus Überzeugung oder aus Deutschland?“

Im Nachwort berichtet Frau Henneberg von Versammlungen, bei denen Hitler gelobt wurde, durch ihn kämen die „Jecken“ (deutsche Juden) endlich hierher, in das ihnen von Gott gegebene Land. Den gut und empathisch geschriebenen Text 90 Jahre später zu lesen, trägt zu einem Verständnis der heutigen Probleme in Palästina bei.

In den über vierzig Jahren, die sie dann in England lebte, wurde ihr Werk, die Effingers, zu Ende geschrieben. Im „befreundeten Kosmos“ war sie nicht einsam: sie wurde eine englische Gärtnerin, und schrieb Bücher über Pflanzen.


Genre: Autobiografie, Politik und Gesellschaft, Reisen
Illustrated by Schöffling & Co Frankfurt am Main

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