Was man sät

Der Debütroman «Was man säht» der holländischen Autorin Marieke Lucas Rijneveld bekam 2020 den hochdotierten International Booker Prize für fremdsprachige Romane. Die geografisch im niederländischen Bibelgürtel und zeitlich in den späten neunziger Jahren angesiedelte Geschichte berichtet von den Verstickungen einer orthodox kalvinistischen Bauernfamilie aus der Sicht eines der vier Kinder. Ich-Erzählerin ist Jas, die oft auch Jacke genannt wird, weil sie Tag und Nacht die gleiche Jacke trägt. Eine hartnäckig verteidigte Marotte, die sie angeblich vor Gefahren und den Anfeindungen ihrer Umgebung beschützt. Lapidar lautet denn auch der erste Satz: «Ich war zehn und zog meine Jacke nicht mehr aus.»

Ihre Erzählung beginnt kurz vor Weihnachten, als sie bemerkt, dass ihr Vater ihr geliebtes Kaninchen mästet. Offensichtlich, weil es als Festbraten auf dem Esstisch landen soll. Sie versucht vergebens, ihren Vater davon abzubringen. Insgeheim fleht sie zu Gott, er möge ihr Kaninchen verschonen und stattdessen ihren ältesten Bruder zu sich nehmen. Auf den ist sie gerade sauer, weil er sie nicht mitgenommen hat zum Schlittschuhlaufen. Ihr Wunsch erfüllt sich auf makabre Weise, der Bruder bricht ins Eis ein und ertrinkt! Und Weinachten fällt komplett aus für dieses Jahr, das Kaninchen bleibt also unbehelligt, es gibt nichts zu feiern. Für die Familie ist der Tod des Ältesten eine Strafe Gottes, die man geduldig zu ertragen hat. Diesem erzählerischen Paukenschlag gleich zu Beginn folgen Schilderungen des harten Lebens auf dem Bauernhof mit hundertachtzig Kühen, wo auch die Kinder mithelfen müssen. Es ist kein Lobgesang auf das idyllische Landleben, ganz im Gegenteil, und Jas flüchtet sich in ein Traumleben hinein, welches von dem entbehrungsreichen Alltag geprägt ist, dessen extreme Anspruchslosigkeit durch die Bibel vorgegeben ist. Für jedes Problem, für alle Lebens-Situationen haben die bibelfesten Eltern stets und ständig einen frommen Spruch parat. Auch den Kindern sind diese Pseudo-Weisheiten in Fleisch und Blut übergegangen, auch sie können für jede Situation eine passende Bibelstelle zitieren. Sie nehmen sie spöttisch vorweg, wenn es darum geht, was denn die Eltern oder der Herr Pfarrer zu bestimmten Ereignissen jetzt gleich sagen werden. Hier profitiert die Autorin offensichtlich von eigenen Erfahrungen, sie selbst wuchs in einem streng religiösen Heim auf.

Jas wird von Schulgefühlen geplagt, auf die sie durch Gewalt gegen sich selbst reagiert. So drückt sie sich, zur Strafe quasi für das heraufbeschworene Unheil, eine Reiszwecke in den Bauchnabel, die dort auch bleibt, als ständige Mahnung! Überhaupt prägt offene, aber auch unterschwellige Gewalt das Familienleben. Der Bruder von Jas nimmt eines Tages seinen geliebten Hamster aus dem Käfig und drückt ihn in einer Schüssel unter Wasser. Ungerührt sieht er zu, wie das Tierchen strampelt und sich dann nicht mehr bewegt. Bald darauf muss der Hahn dran glauben, mit einem Hammer schlägt der Bruder ihn tot, als Mutprobe. Zu den ständigen Ängsten von Jas gehört auch ein vom Balken herabhängender Strick, sie fürchtet, die depressive Mutter könne sich damit erhängen. Und Vater droht öfter mal, dass er fortgehen werde und nicht mehr zurückkommt, – der reinste Psychoterror für die Geschwister!

In einer der Erzähler-Figur Jas angepassten, naiven Sprache werden in diesem Roman unzählige, teilweise poetische Bilder herauf beschworen. Die wirken anfangs sogartig, werden mit der Zeit aber langweilig, weil im Grunde wenig passiert, Landleben halt! Tod und erwachende Sexualität hingegen prägen, immer wieder geschickt eingestreut, die Gedanken der jugendlichen Protagonistin. Sie sind denn auch bestimmend für den Plot, der zielgerichtet auf ein apokalyptisches Ende hinsteuert, welches man sich, weil es listiger Weise geradezu beiläufig erzählt wird, dann schockierender kaum vorstellen kann!

Fazit:  lesenswert

Meine Website: https://ortaia-forum.de

 


Genre: Roman
Illustrated by Suhrkamp Berlin