Der Verfolger

cortazar-1Phantasmagorien eines Jazz-Idols

Drei Jahre nach dem Tode von Charly Parker erschien die Erzählung «Der Verfolger» von Julio Cortázar, dem argentinischen Schriftsteller, der die zweite Hälfte seines Lebens in Frankreich gelebt hat. Er war als Meister der kleinen epischen Form vor allem bekannt für seine Kurzgeschichten und Erzählungen. In seiner Prosa treibt er die Fiktion bis an den Rand des Phantastischen, ohne je vollends ins Surreale abzugleiten. Auch für «Der Verfolger» gilt, was er ganz allgemein dazu geäußert hat: «…meine Erzählungen sind niemals fröhlich. Sie sind eher tragisch oder dramatisch. Sie sind der Nacht näher als dem Tag».

Gleichwohl schimmert da zuweilen auch Humor durch, dem Lächeln ähnlich, das selbst auf einer Beerdigung manchmal unvermeidlich ist. Womit das Ende vorab schon angesprochen ist. Denn der Held der Erzählung, der begnadete Saxophonist Jonny Carter, für dessen Figur bereits durch die Widmung «In memoriam Ch. P.» deutlich auf die Jazzlegende Charly Parker als Vorlage hingewiesen wird, stirbt zum Schluss. Wir erleben den Niedergang des großen Musikers aus der Sicht des Ich-Erzählers Bruno, eines Jazzkritikers, der zu seinen glühenden Bewunderern gehört, eng mit ihm befreundet ist und eine Biografie über ihn geschrieben hat, die «sich verkauft wie Coca Cola». Die handlungsarme Geschichte kommt einem bekannt vor, vom Absturz berühmter Musiker hat man so oder ähnlich schon dutzend Male gehört, und die Ingredienzien sind auch immer die selben, Alkohol und Rauschgift. Cortázar aber unternimmt hier den Versuch, hinter das Geheimnis einer solch tragischen Entwicklung zu kommen, die Ursachen der nicht kurierbaren Schizophrenie seines Helden herauszuarbeiten.

Dem Besessenen, der Figur seines Saxophonisten auf der Suche nach dem Absoluten in seiner Musik – und nach einem Sinn darüber hinaus -, stellt er den Getreuen gegenüber, den besten Freund, «sei getreu bis in den Tod» lautet das entsprechende Bibelzitat im Buchvorspann. Bruno, Freund und Helfer, aber auch Journalist und Buchautor, lebt in bürgerlichen Verhältnissen, hat Frau und Kinder und repräsentiert damit die Normalität der Außenwelt. In den Dialogen zwischen diesen ungleichen Freunden, die einen großen Teil des Textes ausmachen, offenbart sich das Wirre in den Gedankengängen des Jazz-Idols, verblüfft er seinen Biografen durch eine nur ihm eigene Sicht auf die Welt, die für ihn fast ausschließlich aus Musik besteht. In den Gesprächen ist Bruno überwiegend Zuhörer, ihm fehlt jegliches Verständnis für Jonnys geistige Eskapaden, und er ist auch entsetzt über dessen erschreckende Lebensuntüchtigkeit, aber er profitiert auch nicht gerade wenig von seiner intimen Nähe zu der Musikerlegende. Resignierend merkt er an: «Ich weiß wirklich nicht, wie all das schreiben, auch wenn es mir Frieden bringt, mir die Professur einbringt, diese Autorität, die einem die unangefochtenen Thesen und die gut organisierten Begräbnisse verschaffen».

Letztendlich sind es zwei, die da scheitern, der Musiker an seinen Idealen, der Sucht nach höchster Vollendung, die ihn in den Wahnsinn treibt, und der ihn bewundernde Biograf, der außen vor bleibt bei Jonnys Phantasmagorien, sie weder begreifen kann noch gar nachvollziehen, und der auch keine Worte findet, sie treffend zu beschreiben. In einer präzisen Sprache entwirft Cortázar das Psychogramm eines Getriebenen, den er «Der Verfolger» nennt in Hinblick auf dessen Jagd nach dem Absoluten in seiner Musik. Dem, was der Autor sich vorgenommen hat, die Innenwelt eines künstlerisch Besessenen in Worte zu fassen nämlich, ist er erstaunlich nahe bekommen mit seiner ambitionierten Erzählung. Niemand kann ja berichten, was dem Tode folgt, und auch beim Wahn gibt es keine Berichterstatter mehr, ist die Schwelle erst mal überschritten. Diese ungemein schwierige Thematik glaubwürdig umzusetzen in einen angenehm zu lesenden Plot, das scheint mir hier gelungen, ich empfand die Lektüre genau deshalb als bereichernd.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
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