Rhetorische Floskel
Eigentlich sollte der Bestseller «Ein Festtag» sein letzter Roman bleiben, drei Jahre später nun ist vom britischen Erfolgsautor Graham Swift mit «Da sind wir» erneut ein Kurzroman erschienen, in dem er sein Zentralthema des Erinnerns aus anderen Blickwinkeln und in einem anderen Milieu nochmals aufgreift. Wie beim Vorgänger handelt es sich hier eher um eine Novelle, es ist nämlich eine ‹unerhörte Begebenheit› im Sinne Goethes, auf die diese neue Geschichte hinsteuert, was im Milieu des Varietés mit einem Zauberer als Held schon fast vorgezeichnet scheint. Ein weiteres literarisches Highlight?
Jack und Ronnie gelingt nach ihrer gemeinsamen Militärzeit der Sprung ins Showbusiness, sie bekommen 1959 im mondänen Seebad Brighton ein Engagement in einer berühmten Bühnenshow auf den Piers. Jack, der dort als Entertainer arbeitet, holt seinen Freund Ronnie erstmals als Zauberer auf die Bühne, und der verpflichtet als publikumswirksame Ergänzung für seine Show eine attraktive Assistentin. Die Drei haben großen Erfolg, sie ergänzen sich optimal, Ronnie und Evie rücken als ‹Pablo und Eve› immer mehr ins Rampenlicht, sie reüssieren als Zugnummer ihres Theaters, werden schon bald ein Paar und verloben sich. Bis passiert, was passieren muss in solcherart Konstellation, der berüchtigte Womanizer Jack bekommt Evie schließlich doch ins Bett, und völlig überraschend ist es für Beide die große Liebe. Sie heiraten, und ihre Ehe hält schließlich bis zu Jacks Tod fünfzig Jahre später. Ronnie aber ist damals, während seines letzten Auftritts, wie von Zauberhand spurlos von der Bühne verschwunden und blieb trotz intensiver polizeilicher Nachforschungen für immer unauffindbar.
Geschickt verknüpft Graham Swift in diesem neuen Roman das Schicksal seines Helden mit dem historischen Geschehen des Zweiten Weltkriegs. Wegen der ständigen Bombardierungen Londons musste der achtjährige Junge von seiner Mutter zu Pflegeeltern aufs Land evakuiert werden und wurde bei einem wohlhabenden, kinderlosen Ehepaar liebevoll großgezogen. Sein Pflegevater war vor dem Krieg ein erfolgreicher Zauberer gewesen, hat auch ihn für seine Kunst begeistern können und dem Pflegesohn bei seinem frühen Tod eine größere Summe hinterlassen. Die konnte Ronnie schließlich als unbedingt erforderliches Startkapital für seine eigene Bühnenshow mit Evie einsetzen. Mit einem melancholischen Grundton erzählt der Autor vom Leben im Varieté, das damals seinen beginnenden Niedergang erlebte, von Ronnies freudloser Kindheit und den glücklichen Jahren bei den Pflegeeltern.
Dabei springt er in diversen Rückblenden in die Vorgeschichte seiner Figuren zurück, erzählt seinen Plot zudem in stark fragmentierter Form und benutzt zuweilen das Stilmittel des unzuverlässigen Erzählers, was im Zusammenspiel mit Zauberei und Magie nicht wenig zur Verunsicherung des Lesers beiträgt. Seine Figuren wirken wenig empathisch und entsprechen diversen gängigen Klischees, vom draufgängerischen Frauenschwarm Jack über die kühl berechnende und leicht zu erobernde Evie in ihrem Glitzerkostüm bis zum hochsensiblen Zauberkünstler Ronnie, der sich seine treulose Verlobte kommentarlos ausspannen lässt. Zu den häufig verwendeten Metaphern im Roman zählt der Spiegel als trügerisches Symbol oder der bunte Papagei als krasser Gegenpol zur weißen Taube als dem typischen Überraschungstier beim Zaubern. Wenig erhellend sind auch die Erinnerungen der fünfundsiebzigjährigen Evie, die ein Jahr nach dem Tod von Jack, der mit ihr als seiner Managerin erfolgreich Karriere im Showbusiness gemacht hatte, immer wieder von Ronnie phantasiert. Der könne jeden Moment zur Tür hereinkommen, als Wiedergänger quasi. Gleiches denkt sie auch von ihrem toten Mann, derartige Illusionen begleiten sie also noch auf ihre alten Tage. «Hier sind wir» mag als rhetorische Floskel beim selbstbewussten Auftritt auf der Bühne funktionieren, dieser Roman jedoch kann mit dem Niveau seines Vorgängers nicht annähernd mithalten!
Fazit: mäßig
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