Die Welt hinter Dukla

stasiuk-1Transzendentale Herausforderung

Mit dem im Original 1997 erschienenen Roman «Die Welt hinter Dukla» wurde der polnische Schriftsteller, Literaturkritiker und Journalist Andrzej Stasiuk drei Jahre später schlagartig auch dem deutschen Lesepublikum bekannt, sein Buch wurde 2008 sogar in die Anthologie «Hundert große Romane des 20. Jahrhunderts» der Süddeutsche Zeitung aufgenommen. Zu Recht? Fragt man sich, denn die Rezeption war zwiespältig, einig war sich die Kritik nur darin, dass die Lektüre anstrengend und der Roman weitgehend handlungslos sei.

«Um vier Uhr früh hebt die Nacht langsam ihren schwarzen Hintern, steht vollgefressen vom Tisch auf und geht schlafen. Die Luft ist wie kalte Tinte, sie fließt die Asphaltwege herab, zerläuft und gerinnt zu schwarzen Seen. Es ist Sonntag, die Menschen schlafen noch, und deshalb sollte diese Erzählung keine Handlung haben, kein Ding kann schließlich andere Dinge verdecken, wenn wir zum Nichts streben, zu der Feststellung, dass die Welt nur eine vorübergehende Störung ist im freien Fluss des Lichts.» Dieser Romananfang bestätigt die Adjektive «anstrengend» und «handlungslos» eindrucksvoll, über die Mühe des Lesens vermittelt der zitierte Text einen Eindruck, insbesondere wenn man weiß, so geht es weiter bis zum Schluss, und die fehlende Handlung wird hier explizit durch den Autor bestätigt.

Der Romantitel ist metaphorisch zu verstehen, er weist darauf hin, dass die polnische Kleinstadt Dukla für den Ich-Erzähler mehr ist als ein verschlafenes Provinznest am Rande der Karpaten, er sucht nichts weniger als deren Genius loci, benutzt den Ort als Projektionsfläche transzendenter Betrachtungen. «Ich komme immer wieder in dieses Dukla zurück, um es bei unterschiedlichem Licht, zu unterschiedlichen Tageszeiten anzusehen.» Diese nicht enden wollende Spurensuche nach der eigenen Kindheit, nach magischen Orten, nach dem Geist der Schutzpatronin Amalia von Brühl, deren Sarkophag er immer wieder besucht, ist der eigentliche Gegenstand dieses Erzählbandes. Die wenigen den Roman bevölkernden Figuren bleiben konturlos wie der Ich-Erzähler selbst, man erfährt so gut wie nichts von ihnen, und sie agieren auch nicht. Aus allen Himmelsrichtungen kommend, mit verschiedenen Verkehrsmitteln, zu verschiedenen Jahreszeiten, zu verschiedenen Stunden des Tages, bei Licht und bei Dunkelheit, stets münden diese Besuche in tiefsinnige Beschreibungen von Straßen, Plätzen, Gebäuden, der umgebenden Natur, lebender und toter Materie, behandeln existenzielle Fragen in einer nimmermüden Suche nach dem Sinn hinter alldem.

«Schon immer wollte ich ein Buch über das Licht schreiben.» lässt uns der Erzähler wissen, «Ich wüsste nichts, was mehr an die Ewigkeit erinnert». Das Vergehen der Zeit ist sein Thema, seine rastlose Erinnerungsarbeit kreist um philosophische Grundfragen unserer Existenz. Diese anspruchsvolle Thematik ist sprachlich metaphernreich umgesetzt in Textblöcke ohne inhaltlichen Zusammenhang oder erkennbare Gliederung. Ein breit dahinströmender Gedankenfluss, der den Leser zu häufigen Denkpausen zwingt, will er all den Bildern folgen, die da so zahlreich heraufbeschworen werden. «Das Bild, der Zwillingsbruder unseres Verstandes, wird uns überleben» lautet die Erkenntnis. Auf den letzten Seiten wird die unkonventionelle, zu nichts hinführende Erzählweise konkreter, in kurzen Kapiteln wird von einem glücklosen Viehhirten, verschiedenen Tieren, Wetterphänomenen, zuletzt vom Himmel erzählt, auf dem sich weiße Wolken zeigen. «Sie sehen aus wir Knochen, wie eine zerstreute, nebulöse Wirbelsäule. Denn so wird es ganz am Ende sein. Sogar die Wolken werden verschwinden, nur das himmelblaue, grenzenlose Auge wird bleiben über den Resten.» Ob tollkühne Metaphorik und transzendente Reflexionen allein den Leser zufrieden stellen können, muss jeder für sich entscheiden. Ich jedenfalls war enttäuscht, auch die gekonnte Poetik des schmalen Erzählbandes konnte da literarisch nichts mehr retten.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
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