“Ist das Leben ein Strom von Dingen, die an uns vorbeiziehen? Sind wir mitten in diesem Fluss, kommen die Dinge, ziehen sie vorbei und verschwinden?” Oder “ist das Leben vielleicht gar kein Fluss, sondern ein Kanal? Dann sieht die Sache schon anders aus. Ein Kanal führt nirgendwohin, er bliebt schnurgerade, ohne ein Ziel, und kann höchstens hoffen, andere Kanäle zu schneiden und sich ein Zeit lang mit ihnen zu vermischen.”
Man weiß es nicht. Auch Fiorenzo weiß es nicht. Fiorenzo steht kurz vor dem Abitur, schwänzt aber vielleicht ein bißchen zu oft die Schule, um wirklich viel zu wissen.Seine rechte Hand hat er bei einem sinnfreien Experiment mit Feuerwerksböllern verloren und ist auch ansonsten “ein noch größerer Dummkopf als Galileo Galilei.”
Fiorenzo lebt im kleinem toskanischen Muglione, einem trostlosen Kaff, gelegen
an einem stinkenden Kanal, fernab jeder Postkarten-Idylle. Seine Mutter ist gestorben, sein Vater besessen davon, Mirko aus dem Nachbardorf zum kommenden Radrenn-Champion zu formen,nachdem der einhändige Sohn des Vaters Traum nicht mehr erfüllen kann. Fiorenzo musste sein Zimmer dem ungeliebten kleinen Champion überlassen und nächtigt nun im väterlichen Geschäft, einem Kramladen für Anglerbedarf, zwischen all den Würmern und Maden, die nur darauf warten, an die Killerkarpfen im stinkenden Kanal verfüttert zu werden. Einziger Lichtblick sind seine selbst im Land des schmalzigen Italo-Pop bemerkenwert erfolglose Heavy Metal Band und die schöne Tiziana. Tiziana, die nach dem Studium auf ihrem so verheißungsvoll vorgezeichnetem Lebensweg falsch abgebogen ist und sich ebenfalls im trostlosen Muglione wiederfindet. Sie vertreibt sich die Zeit mit einem Blog ohne Leser und ansonsten in ihrem mit viel gutem Willen und keinem Geld eröffnetem Jugendzentrum damit, eine selbsternannte Wächter-Gang, bestehend aus gelangweilten Späthippie- Rentnern in Schach zu halten.
Ein sehr eigenwilliges Panoptikum skurriler Figuren hat der italienische Autor Fabio Genovesi da aus der trüben Pampa der Toskana gefischt und lässt diese einen Sommer lang in einer Geschichte ohne wirkliche Handlung in einer erstickenden provinziellen Welt mit Sehnsüchten und unerfüllbaren Träumen kollidieren. Keiner bleibt in diesem bemerkenswert politisch unkorrektem Buch verschont: Die Jungen nicht, die Alten schon mal gar nicht. Blogger, Angler, Radrennfahrer, Lehrer, Eltern, Gutmenschen, Ehrgeizige – bei keiner Gruppe lässt Genovesi Gnade vor Recht ergehen.
Ohne Zweifel ist “Fische füttern” ein hochintelligentes Buch, subversiv und unkonventionell, in seinen Glanzmomenten frech, witzig und poetisch. Aber – das Buch ist im Niveau höchst schwankend. Der Einstieg ist nur mit gutem Willen noch als holprig zu bezeichnen, bei der Unterteilung von über 400 Seiten in mehr als 70 Kapitel, sehr abrupten Perspektiv- und Stilwechseln wird der Leser auch im Fortgang immer wieder höchst unsanft aus seinem Lesefluss gerissen und ist mehr als einmal geneigt, den Schlusssatz der Danksagung vorwegzunehmen und des Autors Rat zu beherzigen: “Wir leben nicht ewig hier, hier sind wir fertig, also jetzt alle raus um zu sehen, was draußen los ist.”
Seitenweise quält man sich durch aufgeblasenes Schwadronieren von Jugendlichen und renitenten Alten, Palaver mit dem Aussagewert der flachen Landschaft, die der Roman ebenfalls ausführlichst zeichnet und beklagt. Dazu kommt, dass Genovesi gelegentlich der Versuchung eindeutiger Effekthascherei nachgibt, sowie dem anscheinend unbezähmbaren Drang, einfach alles aufzuschreiben, was ihm zu seiner Geschichte einfiel. Weniger wäre in diesem Fall definitiv mehr gewesen. Zu oft endet im Klischee, was als inspiriende Lebensweisheit gedacht war.
Und dann kommt das Schlusskapitel, welches dem Leser einen Einblick in das Leben der Protagonisten zehn Jahre später gibt. Ein Kapitel, das einem die Moral der Geschichte wunderbar formuliert an die Hand gibt: Man kann erst dann gewinnen, wenn einem vorher das Verlieren beigebracht wurde. Ein Epilog, der in seiner Einfachheit berührt und den Leser mit der Geschichte gleichzeitig versöhnt und mit der Frage zurücklässt: Warum nicht gleich so? Genovesi kann es doch. Genauso wie dieser Epilog. das wäre mein Roman gewesen.
So bleibt leider nur ein durchwachsenes Fazit: Interesse am Radsport und Angeln dürfte für durchgehenden Lesegenuss förderlich sein.Für den Rest: Lesenswert, aber kein Muss.
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Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift