Kafkaeske, ich-bezogene Unbehaustheit
Lange zehn Jahren nach ihrem Debüt als Schriftstellerin ist mit «Die Sprache meines Bruders» der zweite Roman von Gesa Olkusz erschienen, er wurde für den diesjährigen Deutschen Buchpreis nominiert. Der schmale Band erzählt in sieben Kapiteln die ebenso einfache wie absurde Geschichte zweier Brüder, die in ihrer Rätselhaftigkeit und mit ihren Leerstellen unwillkürlich an Franz Kafka erinnert. Der im Februar erschienene Roman hat in den Feuilletons praktisch keine Beachtung gefunden und wurde auch in Leserkreisen eher skeptisch beurteilt. Zu Recht?
In Rückblenden und aus verschiedenen Perspektiven rollt Gesa Olkusz die Vorgeschichte ihrer Erzählung auf. Zusammen mit ihrer Mutter kamen Kasimir und Parker aus Polen in die USA, sie sollten es im eigenen Haus einmal besser haben, den American Dream für sich selbst erleben. Ihr Vater blieb zurück, ein frühes Trauma für die Söhne, er fehlte den Brüdern als Bezugsperson. Die Mutter verfiel in Lethargie, kaum das sie angekommen waren, und hat sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Jegliche Verbindung in die Heimat wurde von ihr abgebrochen, sie pflegt auch keinen Kontakt zu den Nachbarn, spricht allenfalls mal ein paar Worte mit der aufdringlichen Mrs. Carpenter von nebenan. Und auch die Brüder hegen eine tiefe Abneigung gegen die Nachbarn, sie sind mental nie richtig angekommen in ihrer neuen Heimat. fühlen sich nicht zugehörig in dem fremden Land. Diese Vereinsamung zweier junger Männer eskaliert nach dem Tod der Mutter in fast völlige Sprachlosigkeit untereinander. Wobei Kasimir dumpf in seinem Schweigen verharrt und nur bewundernd seinen stets agilen Bruder beobachtet. Ihre Sinnsuche, die Frage nach ihrer eigenen Identität, wirft unwillkürlich beim Lesen Fragen auf nach den tieferen Ursachen, die aber im Roman ganz bewusst unbeantwortet bleiben: Was war der Grund für die Auswanderung? Warum ist der Vater in Polen geblieben? War geplant, dass er nachkommen würde? Warum gibt es keinerlei Kontakte zu den anderen Verwandten in Polen? Die Brüder haben sich nie getraut, danach zu fragen, ihre Mutter hat das Geheimnis dieser dysfunktionalen Familie mit ins Grab genommen.
Soweit die Ausgangslage dieser lethargischen Geschichte einer vergeblichen Identitäts-Suche. Daran ändert sich dann auch nichts, als Parkers vergleichsweise lebenslustige, neue Freundin Luzia in das Zimmer der verstorbenen Mutter einzieht, sie hat sich notgedrungen schon bald an die allgemeine Sprachlosigkeit im Hause angepasst. Parker arbeitet als Chauffeur, während Kasimir gedankenverloren zu Hause bleibt, den Haushalt führt und ansonsten antriebslos den Tag vertrödelt. Eines Tages hat Parker einen mysteriösen Fahrgast, der seinen sich sträubenden Chauffeur in ein Gespräch hineinzieht und ihn schließlich sogar dazu überreden kann, seinen Job kurzzeitig aufzugeben. Er soll gegen ein äußerst großzügiges Honorar für ihn tätig werden, ihm behilflich sein. Durch das viele Geld verlockt, quittiert Parker seinen Job und verlässt ohne Abschied oder irgendeine Erklärung das Haus. Am nächsten Tag zieht auch Luzia aus, sie emigriert kurz entschlossen in südliche Gefilde. Kasimir bleibt allein zurück und wacht schließlich, ganz am Ende der Erzählung, aus seiner Lethargie auf.
Die fehlende Kommunikation ist zentrales Thema dieses psychologisch feinsinnigen Romans, dessen Stilmittel darin besteht, die Interaktion zwischen den wenigen Figuren auf unterhaltsame Weise kafkaesk absurd erscheinen zu lassen. Die von den Akteuren geübte Rücksichtnahme erweist sich als völlig falsch, sie ist der eigentliche Grund für die seelischen Verwerfungen, an denen die Brüder mit ihrer gegenseitigen Hassliebe leiden und dann letztendlich auch daran scheitern. In stilistischer Strenge wird nichts erklärt in diesem verstörenden Roman von der ich-bezogenen Unbehaustheit seiner Protagonisten, wobei es gerade dieses Unausgesprochene ist, das nachhallt beim Leser. Die Ignoranz der Feuilletons ist hierbei also völlig unverständlich!
Fazit: erfreulich
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Auf der Suche nach Identität
Hier erscheint die deutsche Übersetzung einer Neuauflage, die 2021 erschien. Geschrieben hatte die Autorin das Buch 1953, mit siebzehn Jahren. Sie legte die Handlung in die letzten Jahre des 2. Weltkrieges. Es erschien dann 1962 und wurde ein Erfolg. Im Vorwort von 1998 schreibt die dann über Fünfzigjährige, dass sie es nun wie ein Jugend Foto betrachte.
Magerer Plot und stilistisches Können
Parodie auf den Literaturbetrieb


Ein gar nicht stiller Roman
Ein Wink an den Leser
Sterben als Therapie
1984 erhängt sich die Mutter der Fotografin Bettina Flitner. 33 Jahre späte wiederholt sich dasselbe Schicksal bei ihrer Schwester Susanne und dessen Ehemann Thomas. Mit ihrem 2023 erschienen Roman “Meine Schwester” legte die Autorin schonungslos die eigenen Wunden offen. Nun legt sie mit “Meine Mutter” noch einmal nach.
Noch persönlicher als das Nachfolgewerk “Meine Mutter” ist allerdings der Vorgänger aus dem Jahre 2023, “Meine Schwester”. Die Autorin beschreibt darin sachlich und zugleich erschütternd ihre Beziehung zu ihrer Schwester, die ebenfalls Suizid beging. Susanne, ihre ältere Schwester, war eine Art “trauriger Clown”. Sie konnte meisterhaft andere nachahmen und sich über alles und jeden lustig machen. Auch ihr Vater hatte ein komödiantisches Talent und als er bei der Ford Foundation in New York einen Job bekommt, geht die ganze Familie mit. “Wir vier”, denkt sich Bettina oft, aber bald schon muss sie feststellen, dass sie einer Fiktion unterliegt. Denn der Vater geht fremd und bald auch die Mutter. In den Siebziger Jahren als die beiden Schwestern aufwuchsen war dies eine Normalität. Bettina sucht in ihrem Text nach den Vorzeichen für den bevorstehenden Selbstmord, den ersten Anzeichen, wann es begann und natürlich steht die Frage im Raum, ob es nicht vielleicht doch genetisch sein könnte? Oder waren die Depressionen der Mutter eine gewollte Flucht? Wieder zurück in Deutschland besuchen sie Waldorfschule, ihre Schwester dann auch die Montessori-Schule. Als die Eltern sich sogar vor den Kindern streiten, beginnen auch die beiden sich zu zanken. Wenn Flitner das Bild des Familienautomobils als faradayschen Käfig zeichnet, wird deutlich, wie sich die Emotionen entwickelt hatten. Und bald muss sie erkennen, dass Liebe etwas war, das man mit Demütigung bezahlte, “etwas, das einen am Ende vernichten konnte”.
Eine unerhörte Begebenheit
Irritierend eigenständig