Der langsame Walzer der Schildkröten

Der_langsame_Walzer_der_SchildkrötenVor einem Jahr faszinierten uns die gelben Augen der Krokodile, in diesem Jahr nun dürfen wir mit Joséphine den langsamen Walzer der Schildkröten tanzen. Teil zwei der Erfolgssaga von Katharine Pancol um Joséphine Cortès und ihre bunt chaotische Familie ist da! Klare Warnung vorab: Es besteht erneut erhöhte Suchtgefahr!

Zwei Jahre, nachdem Joséphine überraschend zur Bestseller-Autorin avancierte, hat sich in ihrem Leben einiges verändert. Mit Zoé, ihrer jüngeren Tochter ist sie in einen noblen Stadttteil von Paris gezogen. Hortense, ihre Älteste, studiert in London und verfolgt äußerst zielstrebig ihren Traum von einer Karriere als erfolgreiche Modedesignerin. Iris, Joséphines gleichermaßen schillernde wie farblose Schwester, hat sich selbst in eine Nervenheilanstalt weggeschlossen, kann sie sich doch in der guten Pariser Gesellschaft nicht mehr blicken lassen. Keine gute Zeit für die geheime Liebe zwischen ihrem Mann und Joséphine. Auch Liebhaber Luca sorgt für Komplikationen. Josephine selbst tut sich schwer, mit den Ereignissen Schritt zu halten, ihr geht das alles zu schnell. Sie ist noch dabei, sich in ihrem neuen Viertel einzuleben, zudem sind es merkwürdige Nachbarn, die sie dort vorfindet. Schlimmer noch, sie sind nicht nur merkwürdig, sondern auch äußerst gefährlich – für ihr eigenes und das Leben ihrer Liebsten. Mehr kann hier an dieser Stelle über den Inhalt nicht verraten werden, ohne die Freude am Buch zu schmälern.

Leben und Schreiben gehen oft Hand in Hand.” So sagt es Joséphine im Buch und bedauert dabei, dass heutzutage niemand mehr en Detail schreibe, niemand mehr sich richtig Zeit lasse. Katherine Pancol hat einen Roman geschaffen, der auch Joséphine gefallen würde. Denn genau das ist es, was den Stil der französischen Überraschungs-Erfolgsautorin ausmacht: Sie gibt einer Familiengeschichte Raum und Zeit, erzählt ihre Geschichten sorgfältig und mit großer Beobachtungsgabe aus, getragen von einer spürbaren, empathischen Liebe zum Leben und den Menschen. Auch der langsame Walzer ist wieder ein Schmöker im besten, traditionellen Sinne, mal bittersüß, mal fröhlich, gelegentlich auch grausam. An keiner Stelle gleitet Pancol ins Triviale, gerne aber ins Absurde, ja Phantastische. Aber ist es nicht genau das, was wir gerne lesen möchten? Gibt es Schöneres, als eine Geschichte erzählt zu bekommen? Gut erzählt zu bekommen, berührt von ihr zu sein, unterhalten, beglückt und gleichzeitig traurig. Eine Geschichte, deren Erzählerin das Kunststück fertig bringt, ihre Figuren bei aller Phantasie lebensnah so zu gestalten, dass man sich an jeder Stelle mit ihnen identifizieren kann.

Es ist ein ganzes Füllhorn wundersamer Überraschungen, die Katherine Pancol in die Waagschale des Buches wirft. Dazu bedient sie sich all jener Zutaten, die man seit jeher an guten Märchen schätzt. Es gibt die weiße Königin, die gute Fee, eine Hexe, einen schwarzen todbringenden Ritter, den Ritter in schimmernder Rüstung, böse Mütter und Stiefmütter, einen Fluch und den Tod als läuterndes Element, dazu Legionen von Nebenrollen und Nebenhandlungen. In diesem Sinne ist Katherine Pancol wohl so etwas wie die Scheherazade unserer Zeit. Eine Geschichtenerzählerin, die ein leidenschaftliches Plädoyer für das Leben hält und dafür, ihm eine Chance zu geben, sich langsam entwickeln zu dürfen. Sich wie Joséphine dem Tempo unserer Zeit, der Oberflächlichkeit und der Geltungssucht auch mal entziehen zu dürfen. So wie die Schildkröten, mit denen man einen Walzer auch nur langsam tanzen darf.

Teil zwei hält, was Teil eins versprach. Am Anfang kommt man schwer in die Geschichte hinein. Trotz der geschickt in Teil zwei eingebrachten Erklärungen und Verknüpfungen zu den gelben Augen ist es doch viel, was man aus seinem Gedächtnis kramen muss, um dem Roman folgen. Es empfiehlt sich daher meines Erachtens zwingend, die Trilogie in der entsprechenden Reihenfolge zu lesen. Es ist zwar möglich, den langsamen Walzer zu tanzen, ohne vorher in die gelben Krokodilsaugen geblickt zu haben, aber sicher nur der halbe Spaß.

Gespannt darf man sein auf Teil drei, dessen poetischer Titel: “Am Montag sind die Eichhörnchen im Central Park traurig” neugierig macht, dem aufmerksamen Lesen aber auch schon ein klein wenig verrät, wer wohl im Mittelpunkt des dritten und letzten Teils steht.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Romane
Illustrated by C. Bertelsmann München

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